950_150_ubstadt1

Auf dieser Seite möchten wir Ihnen den Vortrag des damaligen 1. Vorsitzenden des Heimatvereins Dr. Waldis Greiselis, anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Heimatvereins Ubstadt-Weiher in 2010, vorstellen.

Ubstadt-Weiher, im Oktober 2010

Von Dr. Waldis Greiselis

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs setzte eine schon zuvor sich ankündigende fundamentale Veränderung der Erwerbsstruktur unserer Bevölkerung ein: Die Landwirtschaft, die jahrhundertelang das Leben der Menschen in unserer Region und in unseren Dörfern geprägt hatte, verlor rapide an Bedeutung und wurde meistens nur noch Nebenerwerb für einige wenige. Das traditionelle Handwerk wurde von fabrikmäßig arbeitenden Produktionsstätten überlagert. Diese Entwicklung erreichte in der Mitte der 80er Jahre auch im Ortsbild sichtbar ihren Höhepunkt: Das äußere Erscheinungsbild der meisten Dörfer veränderte sich grundlegend – Bauernhäuser, ältere Gebäude wichen Neubauten oder Parkplätzen, in der Peripherie entstanden Gewerbegebiete, ehemals bäuerliche Siedlungen wurden zu Wohnstätten der in diesen Gewerbegebieten oder in größeren Orten arbeitenden Menschen, neue Straßenführungen sollten dem kontinuierlich wachsenden Verkehr freiere Fahrt gewähren. Auch die vier Ortsteile von Ubstadt-Weiher waren natürlich hiervon betroffen.Logo

Doch es gab in unserer Mitte Menschen, die diese Entwicklung mit gewisser Besorgnis verfolgten: Liefen wir nicht Gefahr mit den Zeugnissen der Vergangenheit, des überlieferten Kulturerbes, auch zumindest Teile unserer Identität zu verlieren? Können wir erkennen, wohin wir gehen, wenn wir nicht mehr wissen, woher wir kommen?

So fanden sich in unserer Gemeinde Mitbürgerinnen und Mitbürger anfangs der zweiten Hälfte der 80er Jahre zu einem noch lose zusammengefügten „Arbeitskreis zur Pflege der dörflichen Kultur“ zusammen. Nicht Verhinderung des Fortschritts, sondern Mitnahme des bewahrenswerten Alten in die neue Zeit war das Ziel. Man diskutierte, man mischte sich ein, man suchte Entscheidungen mit zu beeinflussen – ich erinnere z. B. an die lebhaften Diskussionen in Ubstadt um die Führung der B 3 quer über die Hinterwiese.

Dabei reifte allmählich der Entschluss, aus diesem Arbeitskreis einen Heimatverein entstehen zu lassen. Nach einer etwa einjährigen Vorbereitungsphase, in der z. B. eine Satzung erarbeitet wurde und Kandidaten für den Vorstand gewonnen werden konnten, luden Plakate in allen vier Ortsteilen für den 13. Juni 1990 in den Gewölbekeller des Zeuterner Fachwerkhauses zur Gründungsversammlung ein. Rund ein halbes Hundert Interessierte erschienen, der Verein wurde gegründet, 45 Personen erklärten ihren Eintritt in den neuen Heimatverein und wählten den Vorstand, der sich wie folgt zusammensetzte: Vorsitzender Hans Stöhr, stv Vorsitzender Dr. Bernhard Stier, Schriftführer Reiner Dick, Kassenwart Wolf-Dieter Freier, Beisitzer Elisabeth Schmitt, Doris Simianer, Konrad Kröll, Ortsteilbeauftragte für Ubstadt Dr. Helmut Engler, für Zeutern Wolfgang Stier, für Stettfeld und Weiher noch vakant. (Besonderer Gruß an die hier anwesenden Gründungsmitglieder!)

Die Eintragung ins Vereinsregister war eine notwendige Formsache, die Aktivitäten begannen, aus deren Vielzahl ich hier einige herausgreife: Fotoausstellungen mit den Themen „Unsere Dörfer in alten Ansichten” und “Unsere Dörfer heute – eine fotografische Bestandsaufnahme“, Vorarbeiten für die Archivierung von Bild- und Textdokumenten, Teilnahme am Wettbewerb Landespreis für Heimatforschung, heimatkundliche Veröffentlichungen im Gemeindeblatt („Wirtshausschilder“, „Madonnen in unseren Ortsteilen“, „Was damals in der Zeitung stand“), heimatkundliche Fahrrad-Rallye durch alle Ortsteile, Teilnahme am Festzug beim Winzerfest in Ubstadt 1993, Anlage eines „steinernen Geschichtsgartens“ mit 9 historischen Grenzsteinen bei der Alten St. Martinskirche in Zeutern, Vertrag mit dem Kath. Pfarrgemeinderat über Nutzung des Speicherraumes über Alt St. Martin als Lagerraum für den Verein, dazu Lichtbilder- und Filmvorträge usw. – kurzum, das Vereinsleben blühte vielversprechend.

Es fand ein jähes Ende, als am 17.08.1995 der Vorsitzende und „Motor“ vieler Aktivitäten Hans Stöhr völlig überraschend verstarb. Aus persönlichen und beruflichen Gründen konnte unter allen Angesprochenen trotz intensiver Bemühungen kein Nachfolger gefunden werden – mehrere Mitgliederversammlungen verliefen ergebnislos. Der Heimatverein versank in ein „Dornröschenschlaf“. 1996 wurde der Einzug der Mitgliedsbeiträge eingestellt, das Gespenst der Auflösung pochte an die Vereinstür, der Verbleib des bisherigen Vereinsvermögens wurde schon beschlossen.

Jetzt zeigte sich, wie wichtig die Badische Revolution 1848/49 bis in die Gegenwart nachwirkend war, denn sie rettete 150 Jahre nach ihrem Scheitern den vom Scheitern bedrohten Heimatverein Ubstadt-Weiher: Anlässlich der Veranstaltungen zur Erinnerung an die damaligen Ereignisse und angesichts verschiedener Aktivitäten von Heimatvereinen aus unserer Umgebung fasste unser Bürgermeister Helmut Kritzer, selbst natürlich Mitglied des Heimatvereins, den Entschluss, durch persönliches Engagement eine Wiederbelebung des Vereins zu erreichen. Es ist sein unvergängliches Verdienst, dass er in einer Reihe von persönlichen Gesprächen Mitbürger fand, die sich für die Vorstandsaufgaben des Heimatvereins zur Verfügung stellten – die Revitalisierung war geglückt! (Danke!)

Am 16.03.2000 fand im Fachwerkhaus Zeutern auf Einladung des Bürgermeisters eine außerordentliche Generalversammlung statt, die im Ergebnis einen arbeitsfähigen Vorstand erbrachte, der sofort die Tätigkeit aufnahm. Er setzte sich zusammen aus: 1. Vors. Dr. Waldis Greiselis, 2. Vors. Benno Sischka (†), Schriftführer Tony Löffler, Kassenwart Alfred Fuchs, Beisitzer und zugleich Ortsteilbeauftragte für Ubstadt Roland Pfenninger, für Weiher Karl Simon, für Stettfeld Gerd Simonis, für Zeutern Wolfgang Stier.

Auch für die nun vergangenen zehn Jahre will ich nur überblicksartig die Aktivitäten des Heimatvereins skizzieren. Wir haben eine beachtliche Anzahl von Ausstellungen zu sehr unterschiedlichen Themen gestaltet: Den Anfang machte das Thema „50 Jahre Glockenweihe in Weiher“, noch ganz bescheiden im Aushangkasten platziert (Dank an unser Ehrenmitglied Karl Simon!), es folgte die Ausstellung alter Ansichtskarten unserer Ortsteile. Dann wagten wir uns an größere, umfangreichere Themen: Das Jahr 2002 brachte die Erinnerung an das Ende der geistlichen Territorialherrschaften vor 200 Jahren und für unsere Ortsteile damit den Übergang vom Hochstift Speyer zur Markgrafschaft Baden. In einer umfangreichen Dokumentation präsentierten wir Bilder und Texte zu diesem epochalen Einschnitt und zeigten die weitere politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung bis zum Entstehen des Südweststaates Baden-Württemberg im Jahre 1952. Anlässlich der Einführung des Euro blickten wir in einer weiteren Ausstellung auf die Geschichte der Mark zurück und überschritten mit diesem Thema auch die Grenzen unserer Gemeinde, in dem wir diese Ausstellung auch in Forst präsentierten. Ein anderes Ausstellungsthema war der Weinbau in unserer Gemeinde, womit wir im Firstständerhaus unseren Beitrag zum Weinwandertag beisteuerten.

Mit zahlreichen eigenen Exponaten ergänzt übernahmen und zeigten wir die von anderen Institutionen konzipierten Ausstellungen zu den Bauernaufständen des frühen 16. Jahrhunderts in unserer Region (Joß Fritz und Bauernkrieg 1525), dann über die Nachkriegssituation in unserem Land 1945 bis 1960 mit der Überschrift „Vom Notstand zum Wohlstand“. Es folgte ein Rückblick auf die Geschichte des Fußballs in unserer Region, wobei wir besonders auf die Entwicklung der Fußballvereine in unseren Ortsteilen eingingen.

2008 gestalteten wir eine Ausstellung über das Leben des wohl bedeutendsten Sohnes unseres Ortsteils Ubstadt, Johann Michael Geither. Unter der Doppelüberschrift „Vom leibeigenen Bauernbub zum napoleonischen General“ und „Des Kaisers treuester General“ präsentierten wir in zahlreichen Texten und Bildern einen umfassenden Überblick über diese außergewöhnliche Persönlichkeit. 2009 gingen wir mit dieser Exposition auf Reisen und zeigten sie aus Anlass des 20-jährigen Bestehens der Deutsch-Französischen Brigade in Müllheim im Markgräfler Land, dann in den zwei Pfälzer Ortschaften Maikammer und Geinsheim, wo Geither seine Jugend und seine Zeit im Ruhestand verbracht hatte, und schließlich im Wehrgeschichtlichen Museum im Rastatter Schloss. Aus Anlass des 60. Jahrestages unseres Grundgesetzes blickten wir 2009 in Bildern und Texten auf die Jahre des Entstehens unseres Staates zurück und zeigten diese Ausstellung im Herbst auch im Foyer des Alten Rathauses in Eppingen.

Mit der letzten Ausstellung griffen wir wieder ein lokales Thema auf: Im August 2009 gedachten wir der Glockenweihe von St. Andreas in Ubstadt vor 50 Jahren.

Der Heimatverein dankt allen, die diese Ausstellungen gestaltet und beim Auf- und Abbau mitgewirkt haben – es waren viele fleißige Köpfe und Hände.

Aber wir haben nicht nur eigene Ausstellungen gestaltet, sondern auch auswärtige besucht, so die Hannibal-Ausstellung in Karlsruhe, die Hunnen- und Wikingerausstellungen in Speyer, die Ausstellung „Der Preis der neuen Kronen“ über die Standeserhöhung der badischen und württembergischen Dynastien durch Napoleon im WGM in Rastatt und zuletzt die Ausstellung über Alexander den Großen in Mannheim.

Der Heimatverein wurde Mitglied in zwei überörtlichen Institutionen: im Arbeitskreis Heimatpflege im Regierungspräsidium Karlsruhe und im Heimatverein Kraichgau, für dessen Mitglieder wir zwei Exkursionen in unsere Gemeinde mit entsprechenden Programmen organisierten. Mit einigen anderen Heimatvereinen pflegen wir freundschaftliche Verbindungen, so mit Philippsburg, Wiesental und Untergrombach, und seit über einem Jahr mit dem Heimatverein Kirrweiler in der Pfalz. (Besonderer Gruß!)

Auf unserem Programm standen einige Vorträge, so über Johann Michael Geither, über das Weinfest in Zeutern 1970, über die Seidenraupenzucht in unserer Gegend, über Auswanderer aus unserer Region nach Südosteuropa, über die Natur in und um Zeuten u. a. mehr, während Mitglieder des Heimatvereins über heimatkundliche und geschichtliche Themen bei anderen Vereinen und Institutionen referierten. Wir führten Gäste durch Sehenswürdigkeiten unserer Ortsteile und betreuten Kinder und Jugendliche in den Ferienprogrammen der Gemeinde. Wir wirkten mit beim Festzug zur Erinnerung an den Bauernrebell Joß Fritz in Untergrombach und bei der Bertha-Benz-Gedächtnisfahrt 2008.

Unter vielen weiteren Aktivitäten des Heimatvereins möchte ich zunächst noch eine besonders herausstellen, weil ihr Ergebnis unsere Arbeit den Mitbürgerinnen und Mitbürgern sichtbar macht: das Aufstellen von Erklärungs- und Erinnerungstafeln an bemerkenswerten Objekten oder Plätzen. Davon haben wir in unseren Ortsteilen viele, und wir wollen mit diesen Tafeln die Erinnerung an heimatbezogene Themen für die heutige und für künftige Generationen bewahren.

In die Öffentlichkeit wirken wir in besonderer Weise auch durch unsere Rubrik im Mitteilungsblatt der Gemeinde: Mittlerweile sind Hunderte von historischen Fotos, für deren Überlassung wir vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern danken, erschienen, haben breite Beachtung gefunden und zahlreiche persönliche Erinnerungen an längst vergangene Zeiten wachgerufen.

Die uns am meisten fordernde Aufgabe stellte sich 2003: Als unser Gemeinderat im Frühjahr die Übernahme und Restaurierung des Firstständerhauses in Zeutern zunächst ablehnte, schlug unsere Stunde: Wenn wir den Abriss dieses bedeutenden Baudenkmals, für dessen Restaurierung sogar die bundesweit agierende Deutsche Denkmalstiftung einen beträchtlichen Betrag zur Verfügung gestellt hatte, hingenommen hätten, hätten wir unseren Namen nicht verdient. Die Zeit drängte, denn die öffentlichen Gelder wären bald verfallen. So entschlossen wir uns, unter dem Dach des Heimatvereins einen Freundeskreis Firstständerhaus ins Leben zu rufen, der der Gemeinde einen Beitrag von 50000 €, 1000 Arbeitsstunden und die Betreuung des Hauses durch den Heimatverein nach der Restaurierung zusagte. Damit waren bedeutende neue Fakten geschaffen, die eine Neubewertung des Vorhabens im Gemeinderat rechtfertigten. In einer neuen Abstimmung wurde nach leidenschaftlichen Plädoyers Für und Wider mit klarer Mehrheit die Übernahme beschlossen – Bürgermeister Helmut Kritzer, der sich vehement für die Erhaltung des Gebäudes eingesetzt hatte, konnte erfreut und erleichtert feststellen: „Wir haben uns eine große Freude gemacht.“

Mitglieder des Heimatvereins und des Freundeskreises gingen sofort ans Werk: Wir arbeiteten am Bau und sammelten Geld über Spenden und Benefizveranstaltungen verschiedenster Art. Nach vierjähriger Bauzeit unter dem sachkundigen Projektmanagement von Roland Pfenninger war im Sommer 2007 die Restaurierung und teilweise Rekonstruktion des Hauses vollendet. Mehr als 50 Mitbürger hatten statt der zugesagten 1000 Arbeitsstunden über 3200 eingebracht und statt der 50000 € stellten wir 56000 € zur Verfügung. Ein herzlicher Dank an alle, die, in welcher Form auch immer, zu diesem Erfolg beitrugen. Bei der Einweihung des Hauses konnten wir mit den Worten der ehemaligen DDR-Hymne sagen: „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt…“ Unser Ziel für die Zukunft war ein Gebäude, das zwei Funktionen zugleich erfüllen sollte: museales Baudenkmal und offenes Bürgerhaus zu sein. Dieses Ziel ist erreicht: Mittlerweile haben Tausende das Bauwerk besichtigt und bewundert, und in ihm finden die verschiedenartigsten Veranstaltungen statt, von Trauungen über VHS-Kurse und Vereinssitzungen bis zu privaten Feiern.

Wir haben uns gefreut, dass in diesem Jahr unser Einsatz für das Firstständerhaus von der Landesregierung Baden-Württembergs im Rahmen des Wettbewerbs zur Auszeichnung kommunaler Bürgeraktionen gewürdigt und damit öffentlich anerkannt wurde. Wir sind stolz darauf, doch noch stolzer sind wir auf das gemeinsame Werk, denn wir haben es nicht um der Anerkennung, sondern um der Sache willen getan.

Unser Engagement für das Firstständerhaus hat uns auch unter den Mitbürgerinnen und Mitbürgern bekannter gemacht: Wir hörten immer wieder die anerkennenden Worte: „Die tun was!“ Und das schlug sich auch in der Mitgliederzahl nieder: Vor der Arbeit am Firstständerhaus waren wir rund 80, jetzt sind wir rund 130.

So geht der Heimatverein frohgemut in das dritte Jahrzehnt seines Bestehens, dankt allen Mitgliedern für ihr vielfältiges Engagement, der politischen Gemeinde für ideelle und materielle Unterstützung und verschiedensten Institutionen und Persönlichkeiten für fruchtbare Zusammenarbeit. Der Heimatverein freut sich über jede Mitbürgerin und jeden Mitbürger, die sei es als aktive oder als fördernde Mitglieder den Weg zu uns finden, um gemeinsam an der großen Aufgabe, wie sie in der Satzung niedergelegt ist, zu wirken – „die Geschichte der Gemeinde Ubstadt-Weiher und ihrer Ortsteile zu erforschen, überliefertes und gegenwärtiges Kulturgut zu erhalten und zu fördern, sowie das dörfliche Brauchtum zu pflegen“.

Right Menu Icon