Von Bernhard Stier und Otto Zimmerer | Mai 2024
Hier ihr Bericht:
Der Beitrag schildert den Aufbau der Elektrizitätsversorgung in Zeutern. Das Beispiel dieses Dorfes mit etwa 300 Wohngebäuden, 390 Haushalten und gut 1.600 Einwohnern im Jahr 1913 steht für die landwirtschaftlich-kleinbäuerlich geprägten Gemeinden in der damals noch weitgehend ‚stromlosen‘ Region nördlich von Karlsruhe.
Für die Elektrizitätsversorger war der dünn besiedelte und verbrauchsschwache ländliche Raum zunächst weniger attraktiv, als Städte und Industrieregionen. Erst die staatliche Elektrizitätserzeugung im Murgwerk bei Forbach im Nordschwarzwald (in Betrieb seit Ende 1918) und die Elektrizitätsverteilung durch den Staat brachten den elektrischen Strom aufs Dorf. Das bedeutete besseres Licht in Haushalt, Scheune und Stall sowie mit dem Elektromotor in beliebigen Stärken eine praktische Antriebskraft für landwirtschaftliche Arbeiten – zum Schneiden von Futter und Häckseln von Rüben, zum Antrieb von Dreschmaschinen und Schrotmühlen oder zum Pumpen von Wasser und Gülle – sowie für das dörfliche Handwerk der Schreiner, Wagner und Schmiede, Metzger und Bäcker.
Die folgenden Ausführungen basieren auf der einschlägigen Akte des Gemeindearchivs (Abb. 2). Für Stettfeld ist ebenfalls eine Akte aus den Anfangsjahren der Elektrizität überliefert – und zeichnet ein ähnliches Bild –, nicht jedoch für die Gemeinden Ubstadt und Weiher.
Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts der elektrische Strom die Beleuchtung im öffentlichen Raum und im privaten Haushalt sowie die Kraftversorgung von Handwerk und Industrie revolutionierte, kamen die Segnungen dieser „neuen Culturmacht“ (so wurde die Elektrizität damals wahrgenommen), zunächst den größeren Städten und dichter besiedelten Regionen zugute.
Im Amtsbezirk Bruchsal, der ungefähr das Gebiet des späteren Landkreises umfasste, existierten vor dem Ersten Weltkrieg nur elektrische Anlagen einzelner Industriebetriebe und lokale Werke, wie z.B. Mühlen, die mit Wasserturbine und Generator Strom erzeugten, aber noch längst kein flächendeckendes Stromnetz (Abb. 3).
1913 bestand nur in fünf der 30 Gemeinden eine öffentliche Elektrizitätsversorgung, und von den insgesamt 71.000 Einwohnern des Bezirks besaßen nur knapp 12.000 (16,3%) Zugang zur Elektrizität. Diese Zahl sagt allerdings noch nichts darüber aus, wie viele Haushalte sie auch tatsächlich nutzten.
Selbst die Amtsstadt Bruchsal besaß kein Elektrizitätswerk. Dahinter stand die Sorge der Verwaltung, dass der elektrische Strom dem stadteigenen Gaswerk Konkurrenz machen könnte.
Der Amtsbezirk Bruchsal vor 1914: ein weitgehend „stromloser“ Raum
Im nördlich anschließenden Amtsbezirk Heidelberg bestand dagegen in 16 von 37 Gemeinden mit 84% der Einwohner eine Möglichkeit zum Stromanschluss. Ausgehend vom Elektrizitätswerk in Wiesloch entstand hier seit 1898 eine elektrische „Überlandzentrale“. Ihr Netz reichte bis nach Kronau, Langenbrücken und Östringen.
Im Raum Bruchsal erhielt die Elektrifizierung erst durch die Weichenstellungen der Landespolitik kurz vor dem Ersten Weltkrieg den entscheidenden Impuls. Ende 1912 beschloss der badische Landtag den Bau eines großen Wasserkraftwerks an der Murg oberhalb von Forbach im nördlichen Schwarzwald. Die staatliche Elektrizitätserzeugung sollte dafür sorgen – so das Ergebnis der parlamentarischen Debatte –, dass die „elektrische Energie zu möglichst billigen Preisen den weitesten Kreisen zugänglich gemacht“ wurde. Dahinter stand die Kritik an der bis dahin üblichen Vergabe von Wasserkraftkonzessionen an Privatunternehmen und an der „kapitalistischen“ Ausnutzung des Stromgeschäfts.
Im Sommer 1912, während das Gesetz über das Murgwerk im Landtag beraten wurde, erkundigte sich das Bezirksamt Bruchsal beim Bürgermeisteramt in Zeutern, ebenso wie bei den anderen Gemeinden des Bezirks, nach bestehenden Planungen, fragte den voraussichtlichen Bedarf von Landwirtschaft und Gewerbe ab – und verbot trotz des deutlich geäußerten Wunschs nach Einführung der Elektrizität zunächst einmal den Abschluss von separaten Konzessionsverträgen mit Stromversorgern. Denn geplant – und letztlich auch sinnvoll – war, die ganze Region flächendeckend und einheitlich zu erschließen. Damit war die Gemeinde auch daran gehindert, auf ein seit März 1911 vorliegendes Angebot der „Rheinischen Schuckert-Gesellschaft für elektrische Industrie AG“ (RSG) aus Mannheim, einer Tochtergesellschaft des Siemens-Schuckert-Konzerns, einzugehen. Diese wollte in Bruchsal ein Kohlekraftwerk bauen und von dort aus die umliegenden Dörfer elektrifizieren.
In Karlsruhe dagegen planten die zuständige Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaus und ihre 1912 eingerichtete „Abteilung für Wasserkraft und Elektrizität“, den Strom aus Forbach zu verwenden und ihn über eine gemischtwirtschaftliche, von der RSG und den Städten im Versorgungsgebiet getragene Gesellschaft zu vertreiben. Diese kam allerdings nicht zustande. Nach jahrelangen Verhandlungen scheiterte das Projekt an den Forderungen der RSG, während sich im Lauf des Kriegs die Knappheit an Kohle und Petroleum – damals das wichtigste Leuchtmittel – immer mehr verschärfte. Hinzu kam eine kriegsbedingte stärkere Einmischung des Staates in wirtschaftliche Fragen und schließlich der politische Linksruck in der Novemberrevolution, der eine große Sozialisierungseuphorie nach sich zog. Im Dezember 1918, kurz nach Inbetriebnahme des Murgwerks, erteilte die provisorische Regierung allen privatwirtschaftlichen Plänen eine Absage und entschied, „daß der Vertrieb des Murgstroms … vom Staat selbst in die Hand genommen werden solle“.
Vom staatlichen Kraftwerksbau zur staatlichen Elektrizitätsverteilung
Die neue staatliche „Landeselektrizitätsversorgung“ bestand aus dem Forbacher Murgwerk und der „Stromvertriebsstelle“ in Karlsruhe als Netzbetrieb. An diese wandte sich im Juli 1919 der Gemeinderat mit der Bitte um Anschluss und verwies zur Begründung darauf, „daß am hiesigen Platze eine große Lederfabrik[,] mehrere Mahlmühlen u. ein Sägebetrieb, Öhlmühlenbetrieb und sonstige Geschäfte sind, welche den Anschluß dringend benötigen; auch ist es in Anbetracht der schwierigen Beschaffung des Leuchtmaterials dringender Wunsch der gesamten Bevölkerung[,] baldmöglichst Wandlung zu schaffen.“ Die entscheidende Abstimmung im großen Bürgerausschuss fiel deshalb mit 36:1 deutlich aus, ebenso die über den abzuschließenden Stromlieferungsvertrag.
Zur Enttäuschung der Gemeinde wurde Zeutern angesichts der bestehenden Materialknappheit jedoch erst in das „Bauprogramm“ für 1920 aufgenommen. Der Leitungsplan sah den Anschluss über eine Stichleitung vor, die bei Weiher von der 110.000 V-Haupttrasse zwischen Karlsruhe und Mannheim-Rheinau abzweigte, über Stettfeld führte und in Zeutern an der Transformatorenstation in der Althohlstraße endete, wo die Mittelspannung auf die 380/220 Volt des Ortsnetzes gebracht wurde (vgl. Abb. 8). So erreichte man einen günstigen Übergabepunkt etwa auf Höhe der Ortsmitte, ohne das bebaute Gebiet mit mehreren Tausend Volt durchfahren zu müssen. Die von der Gemeinde geforderte Verbindung nach Odenheim, um auch den Ortsteil Waldmühle mit der Lederfabrik und der Böhmschen Mahlmühle anzuschließen, wurde von der Stromvertriebsstelle jedoch abgelehnt. Denn Odenheim sollte über die zweite „Hochspannungshauptleitung“ von Bruchsal zur Überlandzentrale Meckesheim-Bammental angebunden werden und erhielt wegen der Bedeutung dieser Trasse auch zeitlichen Vorrang – sehr zum Unmut der Zeuterner.
Der Stromlieferungsvertrag vom März 1920 sah zunächst einen Baukostenzuschuss der Gemeinde von zehn Mark je Einwohner vor, um die kriegs- und inflationsbedingte Teuerung aufzufangen. Er wurde aber noch vor Unterzeichnung auf 40 Mark angehoben. Bei etwa 1.600 Einwohnern machte das 64.000 Mark aus. Einen Monat später waren daraus schon 88.000 Mark geworden. Sie sollten durch einen „ausserordentlichen Holzhieb“ (70.000 M) und aus Überschüssen der örtlichen Sparkasse (18.000 M) bestritten werden. In diesem Gesamtpreis für die Gemeinde war für jeden Hausanschluss ein Betrag von 25 Mark einkalkuliert. Wenn sich der Eigentümer sofort für den Strombezug entschied und die Zuführung keinen besonderen Aufwand erforderte, bekam er den Anschluss bis zum Stromzähler also kostenlos und musste nur die Installation im Haus bezahlen. Höhere Kosten – etwa für längere Zuleitungen – wurden allerdings in Rechnung gestellt. Wer am Haus einen Dachständer oder Wandhalter für die Stromleitung akzeptieren musste, bekam 40 Mark vergütet.
Aufbau und Inbetriebnahme
Im Frühsommer 1920 begann der Bau von Zuleitung und Ortsnetz. Die Gemeinde hatte für „Unterbringung und Verpflegung des die Anlagen erstellenden Arbeitspersonals zu sorgen“ sowie die Anfuhr des Materials von der nächstgelegenen Station der Staatsbahn, also von Ubstadt oder Langenbrücken, zu organisieren – die bewilligten Sätze: „für Gittermaste pro 100 kg 1,40 Mk, für Holzmaste pro Stück 2,60 Mk., für sonstige Baustoffe pro 100 kg 0,50 Mk.“ Die Herstellung des Ortsnetzes wurde in 5 Baulose aufgeteilt, bei denen zwar die Mannheimer BBC mit 40% den größten Anteil erhielt, aber auch kleinere Handwerksbetriebe aus den umliegenden Ortschaften (Bruchsal, Langenbrücken, Eppingen) berücksichtigt wurden. In Zeutern selbst gab es damals noch keinen Elektroinstallateur.
Zur Aufstellung der Strommasten auf privaten Ackerflächen musste die Zustimmung der betroffenen Grundstückseigentümer eingeholt werden und jeweils ein Duldungs- bzw. Pachtvertrag gegen geringe Entschädigung geschlossen werden. Für das laufend erforderliche „Ausästen“ von Obstbäumen und Freihalten eines Mindestabstands von vier Metern zur Stromleitung wurden einmalige Zahlungen bewilligt.
Und schließlich machten sich Landes- und Reichspolitik angesichts der politisch unruhigen Zeit jetzt schon Gedanken über die Sicherheit der Stromleitungen: „Von besonderer Bedeutung“, so das Bezirksamt im Oktober 1920 an die Gemeinde, „ist der Schutz der Hochspannungsleitungen. Im Fall größerer Unruhen, bei denen die Gegner des Staats mit Anwendung des Terrors arbeiten, ist es anderwärts schon öfters vorgekommen, dass die Hochspannungsleitungen und Umformer beschädigt worden sind.“ Eine seit Herbst 1919 reichsweit aufgebaute „Technische Nothilfe“ – der Vorläufer des heutigen Technischen Hilfswerks – „wird den Betrieb in den Kraftwerken bei Arbeitseinstellungen weiterführen.“ Für die Bewachung der Leitungen sollte die Gemeinde freiwillige „Nothelfer“ aufrufen.
Je weiter das Jahr vorrückte, desto drängender wurden die Nachfragen von Gemeinderat und Bürgermeister in Karlsruhe. Wegen Lieferschwierigkeiten beim Transformator verschob sich der Termin mehrfach, aber am 21. Januar 1921 war es schließlich soweit: Zur „Inbetriebnahme des elektrischen Ortsnetzes Zeuthern“ versammelten sich Vertreter der Karlsruher Oberdirektion, der Baufirmen und der Gemeinde „vor der Transformatorenstation. Nach Besichtigung derselben punkt 2 Uhr nachmittags zog Bürgermeister [Andreas] Kunz den Schalter hoch und das Ortsnetz war unter Strom. Alsdann begab man sich nach dem Rathause[,] wo dann sofort die Einschaltung der Straßenbeleuchtung vorgenommen wurde. Auch wurden am gleichen Abend noch sämtliche Wirtshäuser und einige Privathäuser unter Strom gesetzt … Im Gasthaus z. Engel versammelte man sich zu einem gemütlichen Abend[,] woselbst auch die Musikkapelle mitwirkte und so die Feier vervollkommnete“. Eine Woche später berichtete auch die Regionalpresse über das Ereignis und über die „100. Gemeinde Mittelbadens …, die vom Murgwerk mit elektrischer Energie gespeist wird“.
Die Gründung des „Badenwerks“ und der „elektrische Alltag“ in Zeiten der Inflation
Neben den Gebieten „Unterbaden“ (Neckartal-Bauland) und „Oberbaden“ (rund um den nördlichen Teil des Bodensees) bildete „Mittelbaden“ zwischen Achern und Bruchsal den dritten Schwerpunkt der Landeselektrizitätsversorgung. Und hier war der Ausbau im Sommer 1921 mit 140 fertiggestellten von insgesamt 150 Ortsnetzen so gut wie abgeschlossen, während das in den beiden anderen, allerdings sehr viel weitläufigeren Gebieten mit ihren zahlreichen Klein- und Kleinstsiedlungen noch längst nicht erreicht war. So verfügte der Bodenseebezirk nur über 30% der Einwohner von „Mittelbaden“, hatte aber beinahe ebenso viele Ortsnetze (135 gegenüber 150).
Im Juli 1921 wurde die staatliche Stromversorgung in eine Aktiengesellschaft überführt, um die Kapitalbeschaffung für den weiteren Ausbau zu erleichtern und die Vermögenswerte, d.h. Kraftwerke und Netze, in den finanziell und politisch unsicheren Zeiten – erinnert sei an das Problem der Reparationsverpflichtungen – vom Staatshaushalt zu trennen. Allerdings wurde per Gesetz festgeschrieben, dass die neue „Badische Landeselektrizitätsversorgung AG“, bald unter dem Namen „Badenwerk“ bekannt, auf ewige Zeiten in Staatsbesitz zu bleiben habe.
Zurück nach „Mittelbaden“ und zurück nach Zeutern: Wie sah es hier mit der Elektrizität im Alltag aus? Leider sind im Gemeindearchiv so gut wie keine Informationen über die privaten Stromverbraucher – Anzahl der Kunden, typische elektrische Ausstattung und Anwendungen, Stromverbrauch etc. – überliefert. Sicher ist jedoch, dass angesichts der Kosten an allen Enden gespart wurde, so wie auch die Gemeinde selbst sparen musste. Das Schulhaus erhielt zwar in jedem der vier „Schulsäle“ eine relativ starke Hängelampe sowie im Treppenhaus zwei Pendelleuchten, aber offenbar kein elektrisches Licht in den anderen Räumen. Die „Kinderschule“ in der Kappelgasse, deren elektrische Ausstattung ebenfalls aktenmäßig belegt ist, wurde mit insgesamt sieben Glühbirnen versehen, davon eine zu 40 und sechs zu 30 Watt. Ähnlich sparsam fiel die Installation im Rathaus selbst, im Spritzenhaus und im Farrenstall aus, während die Pfarrkirche, deren Ausstattung von der Gemeinde bezahlt wurde, aufgrund ihrer Größe einen höheren Aufwand erforderte.
Das wichtigste Thema war natürlich der Strompreis. Er setzte sich beim Licht für Privathaushalte aus einer Grundgebühr je nach Zahl der Lampen und Steckdosen [!], sowie aus dem Arbeitspreis je Kilowattstunde zusammen. Für gewerbliche Betriebe mit hoher Benutzungsdauer galten reine Zählertarife mit gestaffelten Rabatten. Dazu gehörten auch Wirtshäuser. In Sonderfällen waren Pauschaltarife ohne Zähler möglich, die nur nach Stärke der Lampen und nach der Jahreszeit abgerechnet wurden. Das verleitete natürlich zum Missbrauch. Wie wirksam die Vorschrift war, „mit der Beleuchtung sparsam umzugehen“ und nur die angemeldeten Lampen zu betreiben, sei dahingestellt.
Beim Kraftstrom – er wurde nicht wegen der Spannung, sondern aufgrund des abweichenden, gleichmäßiger verlaufenden Lastprofils unterschieden und war günstiger – richtete sich die Grundgebühr nach der Leistungsaufnahme. Vor allem aber galten Sperrzeiten während der abendlichen Lichtspitze, in denen die Motoren nicht benutzt werden durften bzw. die Kilowattstunde als eine Art Strafgebühr 70% teurer war. Der Strom für Gemeindegebäude wurde billiger abgegeben. Das kam einer Konzessionsabgabe für die Benutzung der öffentlichen Wege gleich.
Strompreise zu nennen, macht immer nur im Vergleich zu den Löhnen und zu den Preisen anderer Verbrauchsgüter Sinn, aber das ist bei extremer und rasch verlaufender Preissteigerung so gut wie unmöglich. Spätestens mit Einsetzen der Hyperinflation seit Sommer 1922 und vor allem in der katastrophalen Endphase ab Juni/Juli 1923 verlor das Geld schneller an Wert, als das Badenwerk die Tarife anpassen konnte. In den Jahren 1920/21, als die Elektrizitätsversorgung aufgebaut wurde, lagen die Großhandelspreise für Industriegüter, wie z.B. elektrische Ausrüstungen, „nur“ etwa 20 Mal höher als 1913. Am Ende – im Herbst 1923 – betrugen sie das Zweihunderttausendfache. 1913 lag der Preis für die Kilowattstunde Lichtstrom bei ca. 40 Pfennig, im Februar 1923 kostete sie bereits 1.600 Mark, im Juni 4.320 M. Der als Referenzwert zugrunde gelegte Kohlenpreis, ein Versuch, in einem Chaos, in dem die Währung jede Aussagekraft verlor, noch irgendwie an realen Werten Orientierung zu finden, stieg allein in diesem Monat auf mehr als das Doppelte. Im August 1923 wurde deshalb auch Vorauszahlung eingeführt und die fällige Rechnung doppelt erhoben: Denn momentan, so das Badenwerk, „genießt der Abnehmer infolge des rapiden Markverfalls den erheblichen Vorteil, daß er den im Monat vorher verbrauchten Strom mit sehr stark entwertetem Geld begleicht, wodurch uns ein unerträglicher Geldentwertungsschaden erwächst.“ Ausgenommen waren jedoch Kirchen, karitative Einrichtungen, Kleinrentner, Sozialrentner, Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene.
Verbrauchsbeschränkungen und Stromsperren – die Verwaltung des Mangels
Neben der Preissteigerung bildete die Stromknappheit das dominierende Thema in den ersten Jahren des elektrischen Betriebs. Gegenüber der permanent wachsenden Nachfrage beeinträchtigte saisonaler Wassermangel die Erzeugung des Murgwerks. Gleichzeitig litten die im Verbund mit dem Murgwerk arbeitenden Dampfkraftwerke in Achern, Karlsruhe und Mannheim unter extremer Kohleknappheit. Das Bergbaurevier an der Saar war durch den Versailler Vertrag unter französische Verwaltung gekommen, das Ruhrgebiet wurde im Januar 1923 von Franzosen und Belgiern wegen des Streits um die Reparationslieferungen besetzt. Verbrauchseinschränkungen und andere rigide Eingriffe waren die Folge. Schon im Februar 1921, keine vier Wochen nach Inbetriebnahme des Ortsnetzes, bemängelte die Mannheimer Landeskohlenstelle gegenüber dem Bürgermeisteramt Zeutern, dass beim „Kraftanschluss“ in der Metzgerei Essenpreis „der 4 P.S. Motor für die Metzgereimaschinen und den Schleifstein zu groß gewählt ist. Es genügt vollkommen ein 3 P.S. Motor. Wir können unter keinen Umständen zu starke Motoren genehmigen angesichts der ungünstigen Lage der Stromversorgung und der zahlreich bei uns vorliegenden Gesuche … Angesichts der sich immer mehr verschärfenden Stromnot können wir nicht gestatten, dass Maschinen gleichzeitig in Betrieb genommen werden und [bestehen darauf, dass] die Motorstärke nur so gewählt wird, wie sie unbedingt zum Antrieb der Maschinen benötigt werden“.
Jeder Verbraucher musste deshalb einem von der Kohlenstelle als Kontrolleur eingesetzten „Vertrauensmann“ Zutritt zu seinen elektrischen Anlagen gewähren. Dieser kritisierte im April 1921, dass auch „die Motore der Landwirte Karl Michenfelder und Küfermeister Max Zimmerer in Zeutern in Höhe von 3 PS zum Antrieb ihrer Kreissäge und Kelterei entschieden zu hoch gewählt sind. Es genügt hierzu eine Motorstärke von 2 PS, wie dies auch Versuche gezeigt haben“. Die Betroffenen hatten jedoch Glück und bekamen wenige Wochen später eine Ausnahmegenehmigung, allerdings „unter den üblichen Vorbehalten/Stromreduktion oder Abschaltung bei erheblichen Kohlen- oder Wassermangel im Murgwerk und in den mit diesem zusammenarbeitenden Dampfzentralen“.
Im Sommer des Jahres erhielt das Bürgermeisteramt schließlich folgendes Rundschreiben des Badenwerks:
„Infolge der zurzeit herrschenden grossen Wasserklemme und der schlechten Kohlenlieferung der Dampfwerke ist äusserste Einschränkung in Bezug elektrischer Energie geboten. Es wird daher ersucht, die Straßenbeleuchtung in mondhellen Nächten bis auf weitere Mitteilung nicht mehr einzuschalten und die dortigen Bewohner darauf aufmerksam zu machen, dass äusserste Sparsamkeit zur Verhütung einschneidender Massnahmen unbedingt erforderlich ist. Mit Ausnahme von lebenswichtigen Betrieben wie Dreschmaschinen, Metzgereien und Bäckereien, die nicht mehr in der Lage sind, ohne maschinellen Betrieb auszukommen, dürfen in der Zeit von 7 vorm. bis 11 00 Abds. keine Motoren in Betrieb sein und ersuchen wir Sie, diese Massnahme durch die dortige Ortspolizeibehörde bekanntzugeben und überwachen zu lassen.“
Kaum war die Elektrizität eingeführt und teuer bezahlt, wurde ihre Benutzung also schon wieder drastisch eingeschränkt.
Normalisierung und rasche Elektrifizierung des ganzen Landes
Was damals ebenfalls zum elektrischen Alltag gehörte, waren Merkblätter und Rundschreiben „An unsere Stromabnehmer“. Sie gaben Tarifänderungen bekannt oder erklärten, wie mit „Zahlungsverweigerungen“ umgegangen werden sollte und dass das Werk auf Beschwerden, „der Zähler laufe zu rasch und es wäre nicht so viel Strom verbraucht worden“, gar nicht erst eingehen würde. Verhaltensvorschriften und Warnungen, „dass das Steigenlassen von Papierdrachen in der Nähe der Freileitungen des Badenwerks und ähnlicher Leitungen – wegen der damit verbundenen Lebensgefahr – verboten ist“, wurden regelmäßig am Schwarzen Brett ausgehängt und in der Zeitung veröffentlicht (Abb. 15).
Und anlässlich eines tödlichen Unfalls in Mutschelbach beanstandete das Badenwerk im Sommer 1925, dass auch in Zeutern „in einem großen Teil der elektrischen Anlagen provisorische Lampen aus meist ganz ungeeignetem Material, selbst in nassen Räumen, wie beispielsweise Kellern, Ställen, Höfen und dergl. Verwendung finden“. Das würde im Versorgungsgebiet „durchschnittlich jeden Monat einen Todesfall zur Folge haben … auch aus dortiger Gemeinde ist uns ein Unglücksfall mit jedoch glücklicherweise günstigerem Ausgang bekannt geworden“.
Ab Dezember 1923 kostete die Kilowattstunde Lichtstrom 60, Kraftstrom 40 Pf. Das waren annähernd Vorkriegsverhältnisse – wie 1913 musste ein Facharbeiter in der Industrie für die Kilowattstunde Lichtstrom eine Stunde arbeiten, ein Hilfsarbeiter 80 Minuten. Dieser hohe Preis erklärt auch den sparsamen Umgang mit der Elektrizität, an den sich heute noch manche von ihren Eltern und Großeltern her erinnern. Wehe, wenn man das Licht unnötig „brennen ließ“. Auf den Anachronismus dieses Ausdrucks, der an die Zeiten von Talgkerze und Petroleumlampe erinnert, sei dabei nur am Rande hingewiesen.
In den 1920er Jahren hörten Stromsperren und Verbrauchseinschränkungen nach und nach auf, und seitdem breitete sich die Elektrizität im Haushalt wie im Gewerbe weiter aus. Ende 1924 bot das Badenwerk in einem Rundschreiben an alle Bürgermeisterämter sogar an, „minderbemittelten Verbrauchern“ Wasserkocher, Bügeleisen und andere kleine „Wärmegeräte“ günstig zu vermieten. Hinter dieser neuen Politik der Absatzförderung standen das große Ausbauprogramm, welches das Unternehmen ab 1924 begann, und die zu erwartenden Mengen an Elektrizität, die abgesetzt werden mussten: Errichtung der Schwarzenbachtalsperre als zweite Stufe des Murgwerks, Bau des Schluchseewerks im Südschwarzwald und des großen Laufwasserkraftwerks Ryburg-Schwörstadt am Hochrhein, Aufbau eines landesweiten Verbundnetzes und Anbindung an die Netze und Kraftwerke der Pfalzwerke, des RWE und der späteren EVS.
1929 war Baden vollständig elektrifiziert, und von den 2,3 Mio. Einwohnern des Landes mussten nur 2.486 in neun Dörfern – also etwa 0,1% – noch bis in die 1930er Jahre ohne elektrischen Strom auskommen. In Zeutern mit einem Bestand von knapp 400 elektrischen Anlagen (vgl. Abb. 16) nutzten mittlerweile so gut wie alle Haushalte die Elektrizität mit durchschnittlich 5,5 „Brennstellen“, d.h. angeschlossenen Lampen.
Aber mehr als die Hälfte der Anlagen hatte keine Steckdose. Diesen „Nur-Licht-Nutzern“ standen die „gemäßigt fortschrittlichen“ Stromkunden gegenüber, die elektrische Bügeleisen und Radioapparate besaßen, während die kleine Avantgarde der weitgehend „Elektrifizierten“ auch schon elektrische Kochtöpfe, Tauchsieder, Staubsauger, Heizkissen und Ventilatoren betrieb.
Quellen: Gemeinde Ubstadt-Weiher, Gemeindearchiv Zeutern, A 86: „Die Einführung elektrischer Energie, Stromlieferungsbedingungen, Lieferungsverträge, Schutz elektrischer Starkstromleitungen, Zulassung von selbständigen Elektro-Installateuren, 1911 – 1933“, hier auch alle Zitate; A 87: „Revision der elektrischen Anlagen“ [1936]. Literatur: Statistisches Jahrbuch für das Großherzogtum [ab Bd. 42: Land] Baden 40 (1913) ff.; Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 34 (1913) ff.; Bernhard Stier: Politische Steuerung großtechnischer Systeme. Elektrizität und Energiepolitik in Baden 1890–1935, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 142 (1994) S. 249–300.
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