66 Jahre Ende des II. Weltkriegs – In Erinnerung an Sergeant Percy Albert George Ragg und seine Kameraden des RAF Bombers Handley Page HP.52 Hampden
Von Tony Löffler, Dr. Waldis Greiselis, Karl Simon und Roland Pfenninger
Bericht 1 – Enkel eines britischen Fliegers auf Spurensuche in Baden¹
Martin Armstrong wirkt sichtlich aufgewühlt. Etwas verloren steht er auf dem zugigen Acker im Gewann “Weidlach” am Pferdswassergraben zwischen Weiher und Ubstadt. In der Hand hält er einen Strauß roter Nelken, an seinem Jackett trägt der 46-Jährige drei Militärorden. “Die sind von meinem Großvater Percy”, erklärt Armstrong. Denn Percy Ragg war britischer Flieger und stürzte vor genau 70 Jahren an dieser Stelle mit seinem brennenden Bomber ab. Begleitet wird Martin Armstrong – von Beruf Einkäufer bei einem großen Autohersteller – von seiner Ehefrau Jennie. Mit dabei sind auch Ubstadt-Weihers Bürgermeister Tony Löffler, Waldis Greiselis, der (damalige) Vorsitzende des örtlichen Heimatvereins, der das Besuchsprogramm arrangierte, sowie sein Vereinskollege Karl Simon. Der 81-Jährige stand damals als Elfjähriger Zeitzeuge an der Absturzstelle und sah, wie die sterblichen Überreste des Bordfunkers Percy Ragg und des Bordschützen Ronald Walker aus dem verbrannten Flugzeugwrack geborgen wurden.
Damals, in der Nacht zum 23. Oktober 1941, flogen 148 britische Bomber einen Angriff auf den Mannheimer Hauptbahnhof. Wegen der dichten Wolkendecke fanden nur 52 Besatzungen das Ziel. Eine davon war die Crew von Flight-Sergeant Francis Titcomb, zu der auch Percy Ragg gehörte. Die Mannheimer Flak aber schoss die zweimotorige Handley Page “Hampden” in Brand, die in einer großen Rechtskurve nach dem Bombenwurf auf den alten Landkreis Bruchsal zusteuerte. Die Einwohner von Weiher sahen die brennende Maschine über sich hinweg fliegen, bevor sie kurz vor Forst eine scharfe Linkskurve zog, zurück kam und am südöstlichen Ortsrand von Weiher in der Luft zerbrach. Eine Tragfläche fiel ins Gewann “Oberer Brühl” hinter der heutigen Avia-Tankstelle, das Flugzeug selbst bohrte sich tief in den Acker in der “Weidlach”. Pilot Francis Titcomb hatte noch abspringen können, doch öffnete sich sein Fallschirm zu spät. Der Brite stürzte auf einem Feld neben der Straße Forst-Weiher (an der Stelle des heutigen Heidesees) zu Tode. Lediglich dem Navigator, Sergeant Randal Gifford, gelang der rettende Fallschirmabsprung. Percy Ragg – damals 28 Jahre alt – und die beiden anderen Gefallenen wurden mit militärischen Ehren auf dem Bruchsaler Friedhof beerdigt und 1946 vom britischen Gräberdienst exhumiert. Sie ruhen heute zusammen mit 2652 anderen gefallenen Fliegern der Royal Air Force auf dem britischen Soldatenfriedhof in Dürnbach am Tegernsee.
Dieser Friedhof steht am heutigen Mittwoch ebenfalls auf dem Besuchsprogramm der Armstrongs. Tief bewegt steckt Martin Armstrong indes kleine Holzkreuze neben dem Nelkenstrauß in den Boden an der Absturzstelle. Rote Nelken hat er deswegen gewählt, weil sie einst seine Großmutter und den Opa zusammen brachten: Sie war Gärtnerin, er lieferte die Nelken als Lkw-Fahrer auf dem Londoner Großmarkt aus, wobei sich die beiden Ende der 1930er Jahre kennen- und lieben lernten. Auch einen Löffel Erde schüttet Armstrong in eine kleine Dose. “Zur Erinnerung, für meine Mutter”, meint er. Die heute 69-Jährige wohnt noch immer in Rayleigh in der Grafschaft Essex östlich von London, wo sie fünf Monate nach dem Absturz ihres Vaters Percy Ragg zur Welt kam.
Gerührt von der Szene zeigt sich Bürgermeister Tony Löffler – eine Ehrensache für ihn, dabei zu sein, wie er zugibt. Löffler überreicht Martin Armstrong einen Bildband über die Gemeinde Ubstadt-Weiher. Karl Simon übergibt dem Gast ein Foto der Absturzstelle, das am 23. Oktober 1941 just an dieser Stelle aufgenommen wurde. Und dann eine großherzige Geste, die alle berührt: Martin Armstrong legt am Gefallenen-Ehrenmal auf dem Weiherer Kirchplatz einen Blumenstrauß nieder: “Der ist für alle Kriegsopfer dieser Gemeinde.” Die Umstehenden – alle mit der Geschichte bestens vertraut staunen, als der Mann aus England leise sagt: “Es tut uns so leid, was unsere Bomber den Menschen hier angetan haben.” Völlig überrascht ist Martin Armstrong wenig später in Karlsdorf, wo er in einem kleinen Privatmuseum unvermittelt mit der Geschichte seines Großvaters konfrontiert wird: Dort liegt ein Propellergetriebe des “Hampden” Bombers als letztes noch vorhandenes Wrackteil. Es wurde vor einigen Jahren bei Bauarbeiten in Weiher gefunden und restauriert. Der Fund erinnert noch heute an den ersten Flugzeugabsturz des Zweiten Weltkrieges im ehemaligen Landkreis Bruchsal. Bis zum Kriegsende 1945 sollten allerdings noch 69 weitere folgen.
Das Symbol der Mohnblumen²
Am Kragenrevers von Martin Armstrong, an den drei kleinen Holzkreuzen an der Absturzstelle und am Kreuz beim Gefallenendenkmal in Weiher sehen wir künstliche Mohnblumen (engl. “poppy”, Plural “poppies”). Sie sind in vielen englischsprachigen Ländern, aber auch in Frankreich und Belgien, Symbole des Gedenkens an die im Krieg Gefallenen.
Der Ursprung dieses Symbols liegt im I. Weltkrieg, in der Zweiten Flandernschlacht im Frühjahr 1915. Am 3. Mai 1915 verfasste der kanadische Sanitätsoffizier Oberstleutnant John McCrae in tiefer Trauer um den am Vortag gefallenen 22-jährigen Leutnant Alexis Helmer, der sein Student gewesen war, ein Gedicht: “In Flanders Fields” (“Auf Flanderns Feldern”):
In Flanders fields the poppies blow Between the crosses, row on row, That mark our place; and in the sky The larks, still bravely singing, fly Scarce heard amid the guns below. |
We are the dead. Short days ago We lived, felt dawn, saw sunset glow, Loved, and were loved, and now we lie In Flanders fields. |
Take up our quarrel with the foe: To you from failing hands we throw The torch; be yours to hold it high. If ye break faith with us who die We shall not sleep, though poppies grow In Flanders fields. |
Deutsche Übersetzung – Auf Flanderns Feldern von John McCrae (1872-1918)
Auf Flanderns Feldern blüht der Mohn Zwischen den Kreuzen, Reihe um Reihe, Die unseren Platz markieren; und am Himmel Fliegen die Lerchen noch immer tapfer singend Unten zwischen den Kanonen kaum gehört. |
Wir sind die Toten. Vor wenigen Tagen noch Lebten wir, fühlten den Morgen und sahen den leuchtenden Sonnenuntergang, Liebten und wurden geliebt, und nun liegen wir Auf Flanderns Feldern. |
Nehmt auf unseren Streit mit dem Feind: Aus sinkender Hand werfen wir Euch Die Fackel zu, die Eure sei, sie hoch zu halten. Brecht Ihr den Bund mit uns, die wir sterben So werden wir nicht schlafen, obgleich Mohn wächst Auf Flanderns Feldern. |
Die zwischen den Gräbern blühenden roten Mohnblumen waren für ihn Sinnbilder des Blutes der Gefallenen, zugleich aber Zeichen der Fortdauer des Lebens. Das Gedicht wurde am 8. Dezember 1915 in einer englischen Zeitschrift erstmals veröffentlicht, erreichte eine große Popularität und wurde zum bekanntesten Gedicht des “Großen Krieges”.
Die künstliche Mohnblume wird von Mitgliedern des Königshauses, Politikern und zahllosen Bürgern nicht nur am 11. November, dem Remembrance Day, dem Gedenktag für die Kriegstoten, als Zeichen der Verbundenheit mit den Gefallenen, sondern auch bei verschiedenen anderen Anlässen getragen.
Bericht 2 – Ein Flugzeugabsturz bei Weiher³
In der Nacht vom 22. zum 23. Oktober 1941 griff die RAF mit mehreren Staffeln die Stadt Mannheim an. Eine Maschine des Typs „Handley-Page-Hampden“, P1218 die zur 408. Squadron⁴ gehörte, stürzte in den frühen Morgenstunden des 23. Oktober 1941 zwischen Ubstadt und Weiher, etwa 200m westlich der Bahnlinie Bruchsal- Heidelberg, ab und zerschellte. Der Navigator des Flugzeugs, Sgt. R. M. Gifford, konnte sich mit dem Fallschirm retten und geriet in Gefangenschaft. Die übrigen drei Besatzungsmitglieder, F/Sgt. F. A Titcomb (Pilot), Sgt. P. A G. Ragg (Bordfunker) und F/Sgt. R. F. Walker (Bordschütze), kamen bei dem Absturz ums Leben. Sie wurden mit militärischen Ehren auf dem Friedhof in Bruchsal beigesetzt. Nach dem Krieg wurden diese Gefallenen auf den britischen Soldatenfriedhof Dürnbach bei Bad Tölz umgebettet⁵.
Dieses Ereignis beschäftigte einige Tage lang die Bewohner Bruchsals und der umliegenden Gemeinden. Obwohl die Absturzstelle bald militärisch abgesperrt wurde, soll es einigen Souvenirjägern gelungen sein, Teile des Flugzeugs als „Trophäe” nach Hause zu schaffen. Einem jungen Mann aus Weiher gelang sogar die „Bergung“ eines der Bordmaschinengewehre. Den Schülern einer Klasse der Volksschule Weiher diente das Geschehen als Vorlage für einen Bericht⁶.
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¹ Auszugsweise aus der BNN vom Mi 26.10.2011 von Peter Huber.
² von Dr. Waldis Greiselis.
³ Ausschnitte aus dem Buch Stadt im Inferno – Bruchsal im Luftkrieg 1939/45, Autor Hubert Bläsi S.54–56.
⁴ Schriftliche Mitteilung von Herrn John Tyler, Chipping Ongar, Sussex, England, vom 11.11.1982 an den Verfasser.
⁵ Schriftliche Mitteilung von Herrn Eugen Lux, Offenbach, vom 02.03.1983 an den Verfasser.
⁶ Original dieses Berichts im Besitz von Herrn Karl Simon (Weiher), der dem Verfasser eine Kopie überließ.
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