Von Theodor Stengel | November 2021
Hier sein Bericht:
Genau wie auch in Stettfeld und andernorts gab es früher bei uns in Zeutern weder einen Pflegedienst noch eine Leichenhalle. Wir hatten aber das Glück, vier katholische Schwestern vom Orden Sankt Josef des Klosters Sankt Trudpert im Münstertal zu haben, von denen zwei ehrenamtlich den Dienst der Krankenpflege ausübten. Dies waren Schwester Oberin Veronika und Schwester Euphrasia. Sie waren fachlich ausgebildet, wohnten in der oberen Etage des ehemaligen Kindergartens, wo es auch einen speziellen Raum für Verletzte und Kranke gab.
Als katholischer Zeuterner war man damals meistens im Vincentius-Verein, für dessen Mitgliedschaft man jährlich einen kleinen Betrag zu entrichten hatte. Es war aber die Versorgung aller gewährleistet.
Die Ordensschwestern betreuten und versorgten die Kranken in deren Häusern in mühevollster Hingabe und konnten aufgrund ihrer Erfahrung das Ableben von Schwerkranken meist Tage vorhersagen. In diesem Fall kam bis in die Mitte der 1950er Jahre, begleitet von einem Messdiener mit einer Schelle, wie sie heute noch bei der Wandlung benutzt wird, der Seelsorger, um den Kranken die Sterbesakramente zu bringen. Auf dem Weg läutete der Messdiener in kurzen Abständen, wobei die vorübergehenden Passanten aus Ehrfurcht eine Kniebeuge machten und sich bekreuzigten. Jüngere Burschen verschwanden allerdings beim Herannahen des Priesters oft gerne in einem Hof, um dem zu entgehen. Beim Eintreffen des Priesters hatte man im Krankenzimmer auf einem Tisch einen Altar mit Kruzifix, Kerzen, Weihwasser, Watte und Salz aufgebaut. Die Watte und das Salz dienten zur Reinigung der Hände des Priesters von Resten des geweihten Öls (Oleum Infirmorum = Öl der Kranken). Viele Familien besaßen einen kleinen, gepolsterten Fußschemel, oft mit Barockfüßen, der eigens dafür da war, dass der Priester bei einem Hausbesuch darauf knien konnte.
Wenige Familien besaßen eine spezielle Versehgarnitur, Kreuz mit Leuchter, die ausschließlich für die Krankenkommunion verwendet wurde.
Lag bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts ein Kind im Sterben, was damals häufig vorkam, und man wusste in seiner Verzweiflung keinen anderen Ausweg mehr, konsultierte man oft eine Frau, die des „Brauchens“, wie man es in Zeutern nannte, also des Gesundbetens, kundig war. Dann schickte man einen Knaben, oft älteren Bruder des Kindes, zum Katzbach, um in den drei höchsten Namen, also im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, mit einer „Boll“ Wasser zu schöpfen. Nachdem der Knabe das Wasser gebracht hatte, besprengte die Gesundbeterin das Kind, indem sie die Wiege mehrfach umrundete, wobei sie leise Gebetsformeln murmelte. Da man meistens nicht wusste, an was die Kinder schließlich dann doch gestorben waren, erklärte man sich den Tod mit einer der verschiedenen Formen von „Gichter“, damals der Kinderkrankheit schlechthin.
In Zeutern gab es den Spruch: „Alla Jóh a Kind un alla Jóh a Kindsleichdl.“
Wurde ein Säugling oder Kleinkind beerdigt, war es nicht üblich, den Leichenwagen zu bestellen, denn ein meist größeres Mädchen trug den kleinen Sarg mit einem sogenannten „Wisch“, einem Polster, auf dem Kopf in Begleitung des Priesters, der engsten Familie und oft den Kommunionmädchen des entsprechenden Jahres vom Trauerhaus zum Kirchhof.
Das erzählte mir eine ältere Verwandte, selbst dürfte sie Jahrgang 1900 gewesen sein, die im Alter von zwölf Jahren noch selbst ein verstorbenes Kind aus der Nachbarschaft auf den Kirchhof getragen hatte.
Lag ein Erwachsener im Sterben, wurde von den Angehörigen Tag und Nacht Wache am Sterbebett gehalten, wobei man betete und dem Sterbenden, meist auf Verlangen, ein sogenanntes „Sterbekreuz“, das sich die Person oft selbst beim Schmerzensfreitag in Zeutern oder in Walldürn gekauft hatte, in die Hände gab. Starb ein Mensch, betete man zunächst drei Sterbevaterunser, dann informierte man umgehend die Krankenschwester, den Priester sowie auch den Messner und den Leichenbeschauer. Meist war es eine der beiden Ordensschwestern, die mit einer Angehörigen den Toten wusch und ankleidete. Die dafür benötigten Sachen holte man in Zeutern „bei’s Fridolins“, dem heutigen Kaufhaus Michenfelder
Jedoch gab es auch noch Leute, die sich wie in ganz früheren Zeiten noch zu Lebzeiten ihr Sterbehemd selbst angeschafft haben. Meine Urgroßmutter zum Beispiel hatte es ganz unten in ihrem Schrank verwahrt und zeigte es mir, für alle Fälle, als ich zehn Jahre alt war.
Der Verstorbene wurde dann in seinem Bett von der Schlafkammer in die Stube gestellt und dort aufgebahrt. Man schmückte ihn mit Rosmarinzweigen und jahreszeitlichen Blumen. In den gefalteten Händen hielt er sein Sterbekreuz und seinen eigenen Rosenkranz.
Der Leichenbeschauer war in Zeutern in damaliger Zeit Johann Michael Händel von der Grabenstraße. In meiner Kindheit wurde mir von verschiedenen älteren Leuten erzählt, dass man ganz früher den Tod eines Menschen überprüfte, indem man mit einem sogenannten „kleinen Stupfer“ in bestimmte Reflexzonen der Fußsohlen piekste. Später gab es die Methode mit dem Spiegel, den man vor Mund und Nase des Verstorbenen hielt. Wenn dieser nicht beschlug, war man sicher, dass der Mensch nicht mehr atmet.
In der Stube, in der ein Toter lag, hielt man die Uhr an. An einer unauffälligen Stelle platzierte man einen Eimer mit Wasser, das die Luft verbessern sollte. Wenn es im Sommer sehr heiß war, tupfte man den Verstorbenen mit Schnaps ab. Im Extremfall holte man Eisblöcke vom Eiskeller, die im Winter im Eisweiher beim Bruchgraben gebrochen worden waren und im Eiskeller in der Spermeler Hohl normalerweise den Sommer überdauerten. Dieses Eis stellte man in einem flachen Kübel unter das Totenbett.
Eine ältere Frau erzählte mir einmal die Geschichte, dass, wenn in einer Familie der Vater gestorben war, angeblich die Mutter in den Keller ging, um in den drei höchsten Namen an jedes Weinfass zu klopfen, damit der verbliebene Wein nicht schlecht werden sollte.
Am Totenbett stellte man eine Schale mit Weihwasser auf und ließ während des Tages eine geweihte Kerze brennen. Da man sich aber in der Nacht, im Gegensatz zum Beginn des 20. Jahrhunderts, nicht mehr bei dem Verstorbenen aufhielt und deshalb eine unbeobachtete Kerze gefährlich gewesen wäre, entzündete man am Abend ein sogenanntes „Totenlicht“. Man benutzte ein einfaches Trinkglas, das zu zwei Dritteln mit Rapsöl gefüllt wurde. In dieses legte man einen sogenannten „Schwimmer“, dies war ein kleines Blechkreuz, das in der Mitte eine Öffnung hatte. An der Unterseite waren an den Enden flache Korkteile. In die Mitte des Kreuzes kam ein kleiner weißer Docht, der auf einem runden Plättchen, das aus dem gleichen Material bestand, saß, das Öl ansaugte und ganz bescheiden brannte. Eben ein Totenlicht. Dieses stellte man auf einen Stuhl neben dem Bett.
Da es im Sommer oft Fliegen hatte, bedeckte man das Gesicht des Verstorbenen mit einem Leinentuch. Bei sogenannten „besseren“ Leuten waren manchmal schwarze Blumen und oft auch die Worte „Ruhe sanft“ oder „Auf Wiedersehen“ eingestickt. Dieses Tuch wurde anscheinend über Generationen hinweg immer wieder benutzt. Bei Kondolenzbesuchen, die früher üblich waren, wurde es von einem Angehörigen jedes Mal zur Verabschiedung emporgehoben.
Starb jemand in der Nacht, waren die Ordensschwestern jederzeit erreichbar. Sodann konnte der Priester das Ableben gleich bei der Morgenandacht verkünden und der Messner läutete am gleichen Tag noch „Schiedling“ durch das Läuten aller Glocken, egal zu welcher Tageszeit.
Der Sarg wurde vom Schreinermeister nach Auftragseingang angefertigt. Schreinermeister Rupert Geiß erzählte mir, dass man in früheren Zeiten die Toten mit einem „Hollaschdogg“, einem Stab aus Holunder, gemessen hat. Und dies nicht nur, um unnötigerweise zu viel Holz zu verbrauchen, anscheinend hatte der „Hollaschdogg“ auch eine magische Schutzfunktion.
Lag ein Verstorbener im Haus, blieben meist zwei Angehörige vorwiegend in der Küche, denn oft kam das halbe Dorf, um sich von dem Toten zu verabschieden. Fast alle brachten eine zuvor beim Messner Wilhelm Knaus in der Kapellgass‘ gekaufte, lange Wachskerze mit.
Nahe Angehörige brachten Kränze. Man ging zu dem Toten in die Stube, gab Weihwasser und betete ein Vaterunser und ein Ave Maria. Die Kränze stellte man je nach Platzverhältnissen auf dreibeinige Metallständer um das Totenbett oder im Zimmer verteilt. Die Kerzen gab man normalerweise nach der Beerdigung der Schwester, die dafür sorgte, dass sie später in der Kirche als Altarkerzen für den Verstorbenen brannten.
Meistens erst am Tag der Beerdigung brachte der Schreinermeister mit einem Gesellen den Sarg für den Verstorbenen. Bevor es Sargausstattungen gab, waren die Särge nur mit Hobelspänen ausgelegt und man benutzte einfach noch das Betttuch des Toten.
Vor der Beerdigung stellte man den geschlossenen Sarg in den Hof oder, je nach Wohnverhältnissen, auf zwei Stühlen vors Haus. Im 19. Jahrhundert war es bei uns noch üblich, dass eine Braut als Hochzeitsgut von ihrem Vater deshalb auch immer zwei gleiche Brettstühle bekam.
Auf den Sargdeckel stellte man in die Mitte ein Kruzifix, zwei Kerzenleuchter und ein oder zwei gläserne Weihwasserschälchen mit Buchsbaumzweigen. An die Sarggriffe band man weiße Taschentücher für die Träger, in die man Rosmarinzweige und eventuell jeweils einen Geldschein mit einband. Vorher hatte man ja auch schon Rosmarinzweige als Zeichen der ewigen Liebe in den Sarg gelegt.
Ein alter Zeuterner Spruch lautet: „Rossamrói, Rossamrói, dudd ma an mói Dòdalad nói, gäbd ma an mói kalda Hend an móim selich End.“
Die Familie bestimmte die Träger, die meistens aus der Nachbarschaft kamen. War aber ein Verstorbener Mitglied in einem Verein oder bei einer Organisation, so war es für seine Kameraden eine Ehre, ihn zu Grabe zu tragen.
Bis gegen Ende der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts waren die Särge prinzipiell schwarz und hatten silberfarbene Beschläge, die in Wirklichkeit, abgesehen von den Griffen, aus gepresster Pappe waren. An beiden Seiten des Deckels waren meistens zwei gekreuzte Palmwedel angebracht. Auf dem Deckel war der Korpus Christi, da Sarggestecke noch nicht üblich waren. An der Kopfseite des Deckels standen meistens die Worte „Auf Wiedersehen“. Diese konnte man lesen, wenn man dem Leichenwagen hinterherging. Die silberfarbenen, hölzernen Füße, die unten übers Eck angebracht waren, waren Löwentatzen nachempfunden.
Nur Kinder oder ledige Personen bekamen einen weißen Sarg.
In Zeutern lebte früher einmal ein älterer, eingefleischter Junggeselle. Dieser soll des Öfteren die Bemerkung gemacht haben: „A paa schwarza Dipfelen kehnda se ma awwa schu mol druff macha.“
Der Leichenwagen von Zeutern war eine hochherrschaftliche Karosse. Er hatte einen von vier gedrechselten Säulen getragenen Baldachin. Dieser war von gebogten, schwarzen Stoffschabraken mit Silberfransen aus Brokat umkränzt.
Hoch auf dem Bock saß Eduard Götz von der Kapellgass‘ oder in Vertretung sein Schwiegersohn Karl Hirsch, jeweils in Gehrock und Dreispitz. Die stattlichen Kaltblutpferde zogen in eleganten, frisch polierten Geschirren den Leichenwagen. Bedeckt waren sie mit rabenschwarzen Pferdedecken mit ebenfalls silbernen Brokatfransen.
Wenn die Trauergäste, die den Verstorbenen zur letzten Ruhe begleiten wollten, am Sarg ankamen, gaben sie Weihwasser, beteten leise „Herr, gib ihr / ihm die ewige Ruhe, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ und bekreuzigten sich dabei.
Zur gegebenen Zeit kam dann der Priester mit drei Messdienern. Der erste mit dem Kreuz, der zweite mit dem Weihwasserkessel und der dritte mit dem Rauchfass. Der Fahnenträger war in Zeutern einer der vier Sargträger, da die Fahne für einen Messdiener zu groß und zu schwer gewesen wäre. Auf der Fahne war mit Silberfäden eingestickt: Heute mir und morgen Dir.
Zu Beginn der Beerdigung betete der Priester vor und segnete den Sarg mit dem Verstorbenen. War der Kirchenchor beauftragt, sang dieser noch ein Lied und danach setzte sich der Leichenzug in Bewegung. Eine allgemein gültige Anordnung des Leichenzuges kann es meiner Meinung nach nicht gegeben haben, da meine Informationen hierzu unterschiedlich und sehr widersprüchlich sind. Sicherlich gab es schon den Fall, dass der Leichenwagen als erstes vorausfuhr, aber anzunehmen nur dann, wenn ein Pferd mit der Sache noch nicht sehr vertraut war. Nach meinen eigenen Erinnerungen ging es folgendermaßen vonstatten: Zuerst gingen der Ministrant mit dem Kreuz und der Fahnenträger. Dann folgten die Schulkinder. Da man an den Leichenwagen nur vier Kränze hängen konnte, trugen die Buben die restlichen Kränze bis zum Friedhof. Gestecke oder Blumenschalen gab es damals noch keine. Ich erinnere mich, dass ich im Alter von neun Jahren einen Kranz vom Ende des Oberdorfs bis auf den Friedhof geschleppt habe.
Nach den Schulkindern kamen die Jugendlichen, danach der Leichenwagen. Direkt dahinter ging der Priester, rechts und links begleitet von den Messdienern mit Weihwasser und Rauchfass. Danach kamen die engsten Angehörigen und Verwandten. War der Kirchenchor, der Gesangverein oder der Musikverein dabei, ging dieser hinter den Verwandten. Ich glaube mich zu erinnern, dass oft Frauen und Männer getrennt gingen, da ich Gruppen von älteren Männern, damals noch in Gehrock und Zylinder, in Erinnerung habe. Überhaupt gingen wirklich alle in Trauerkleidung.
Während des Leichenzuges wurde oft vom Priester das „Benediktus“ (nach der Übersetzung von Ignaz Heinrich von Wessenberg) angestimmt: „Gepriesen seist du, Herr des Lebens, der seinem Volke Rettung sandte.“ War der Weg zum Friedhof weit, betete man auch Gesätze des Schmerzhaften Rosenkranzes.
Am Friedhof angekommen, schoben die vier Träger den Sarg aus dem Leichenwagen und trugen ihn zum vorbereiteten Grab, das der Totengräber Hugo Staudt in mühevollster Handarbeit ausgehoben hatte.
Zunächst segnete der Priester dieses und betete für den Verstorbenen. Danach ließen die vier Sargträger mit Hilfe von Seilen den Sarg sanft in das Grab gleiten.
Der Kirchenchor, der meistens oberhalb des Grabes stand, sang noch ein Lied. Darüber hinaus konnten Nachrufe gehalten werden.
Am Schluss wurden noch ein Vaterunser und ein Gegrüßet seist du Maria für den Nächstversterbenden gebetet.
Herr Pfarrer Dischinger beendete in Zeutern jede Beerdigung mit den Worten:
Hier Mensch, hier lerne, was du bist.
Lern‘ hier, was unser Leben ist.
Ein Sarg nur und ein Leichenkleid
bleibt dir von aller Herrlichkeit.
Wer ist hier arm, wer ist hier reich,
im Grabe sind wir alle gleich.
Sei gleich entfernt von Stolz und Neid,
in Hoheit und in Niedrigkeit.
Wer weiß, wie bald auch dich zur Gruft
der Herr des Todes ruft.
Drum halte dich zu jeder Zeit
für einen guten Tod bereit.
Dieser Vers ist einem Buch von Pater Aegidius Jais, Benediktiner zu Benediktbeuern, von 1829 entnommen. Das Buch, das von meinen Dutzi-Vorfahren stammt, ist heute noch in meinem Besitz.
Danach ging die Trauergemeinde noch nacheinander ans Grab, um dem Verstorbenen abermals die letzte Ehre zu erweisen. Man gab mit einer kleinen Schaufel Erde von dem an der Seite des Grabes aufgeschütteten Erdwall und sprengte Weihwasser, indem man nochmals leise betete: Herr, gib ihr / ihm die ewige Ruhe und das ewige Licht leuchte ihr / ihm.
Nahe Angehörige warfen manchmal noch kleine Sträußchen ins Grab und gleich nach der Beerdigung war fast immer das erste Seelenamt in der Pfarrkirche. Die drei Rosenkränze für den Verstorbenen waren manchmal schon vor der Beerdigung gebetet worden.
Bei den Seelenämtern wurde im Mittelgang der Kirche vor der Kommunionbank immer eine sogenannte „Tumba“ aufgestellt. Die Tumba war eine Art Sarg-Nachbildung, die mit einem schwarzen Tuch bedeckt war. Sie war begrenzt von vier jeweils einen Meter hohen, gedrechselten, schwarz und silbern abgesetzten Leuchtern, auf denen Kerzen flackerten. Die Tumba befand sich genau zwischen den Kleinkinderbänkchen der alten St. Martinskirche, in denen wir Kinder bis zur Erstkommunion knieten.
In den Schülergottesdiensten, die dienstags und donnerstags vor dem Unterricht stattfanden und die auch gleichzeitig manchmal Totenmessen waren, schauten wir oft mit kaltem Schauder auf die Tumba, da wir nie absolut sicher waren, dass auch wirklich kein Verstorbener dort lag.
Heilige Messen wurden damals noch am Hochaltar in lateinischer Sprache zelebriert. Priester und Ministranten sah man nur von hinten.
Die meisten Frauen hatten in ihren Bänken neben dem Gesangbuch ihren brennenden Wachsstock, da im Volksglauben eine Arme Seele nur dahin gehen darf, wo eine geweihte Kerze brennt.
Bei jedem der drei Seelenämter gingen die Gläubigen nochmals an der Tumba vorbei, um den Verstorbenen abermals symbolisch zu ehren.
Das zweite und dritte Seelenamt folgte immer bald nach dem ersten.
War eine Beerdigung, gingen die meisten älteren Kinder des Dorfes auch mit. Selbst in der Kindheit meiner Eltern sagte man zu ihnen noch: „Auf dem Heimweg von der Beerdigung müsst ihr aber über den Bach oder über einen Wassergraben hüpfen, damit der Verstorbene eure Fährte verliert und euch nicht holen kann.“
Die Stube, in der ein Verstorbener gelegen hatte, wurde nach geraumer Zeit immer frisch getüncht. Denn die Schlafkammer mit dem Bett war von größter Wichtigkeit, weil in diese zuweilen die Hebamme, die Krankenschwester, der Arzt, der Notar und nicht zuletzt der Herr Pfarrer kamen. Und deshalb musste immer alles ordentlich sein.
Mathilde Becker, die Tochter von Karl Götz, erzählte mir, dass der Leichenwagen des Öfteren im Haus ihrer Eltern stand und sie und ihre Geschwister als Kinder nicht nur keine Scheu davor hatten, sondern es ihnen großes Vergnügen bereitete, mit den sich darin befindlichen Rollwägelchen hin und her zu fahren.
Wenn ein Toter obduziert werden musste, wurde er des Nachts mit dieser nur von Petroleum-Chaisen-Lampen beleuchteten Karosse nach Heidelberg oder Karlsruhe gefahren. Dabei hat Mathilde Becker als Kind ihren Vater sehr gern begleitet.
Die Beerdigungen, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnere, hat in Zeutern fast alle unser Hochwürdiger Herr Pfarrer Alfons Dischinger gehalten. Wir sehen, dass eine Beerdigung ehemals einen viel höheren Stellenwert als heute hatte. Deshalb gab es bei den alten Leuten früher ja auch den Spruch: „D’Haubdsach‘ isch, ma griegd mol a schene Laichd!“
Zum Schluss noch einiges zur früheren Grabgestaltung. In Zeutern hatten bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts fast alle Gräber kunstvoll ausgesägte, weiß gestrichene Eichenkreuze mit schwarzer, schnörkeliger Beschriftung. Diese umfasste den vollen Namen, bei Frauen auch den Geburtsnamen, sowie das Geburts- und Todesdatum. Oft stand noch ein kleiner Spruch, wie z. B. „Ruhe sanft“, auf diesen Kreuzen. Auf ganz alten Kreuzen waren diese Sprüchlein noch wesentlich aussagekräftiger.
Nach einer Beerdigung wurde der Grabhügel außen nur schräg angeklatscht und so blieb er bis oft erst nach fast einem Jahr ein steinerner Rahmen gesetzt wurde. Erst ab ca. 1960 hatte man als Überbrückung einen hölzernen Rahmen.
Bei einem Begräbnis gab es fast ausschließlich Kränze, die im Winter auch mit Wachsblumen geschmückt waren. In alten Zeiten war auf Gräbern die Ringelblume sehr beliebt, man nannte sie in Zeutern wahrscheinlich deshalb auch „Dódabluma (Totenblumen). Sehr oft hatten auch Gräber eine Umrandung aus beschnittenem Buchsbaum. Kerzen gab es bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts auf Gräbern kaum, dafür aber fast immer Weihwasser.
Auf Allerheiligen schmückte man die Gräber mit Chrysanthemen und bis in die 1950er Jahre mit Perlenkränzen.
Perlenkränze waren ein um ein gläsernes, gewölbtes Medaillon kunstvoll geflochtenes Drahtgestell, in welches in dezenten Farben gehaltene Glasperlen eingefädelt waren. Das Medaillon beinhaltete meistens einen figürlich dargestellten Christus oder eine weinende Madonna. Diese Kränze waren unverwüstlich und hingen an den Holzkreuzen oft bis Ostern. Manche hängten sie auch auf dreibeinige Metallständer.
Zum Schluss noch eine Anekdote, die sich nach Erzählungen alter Zeuterner tatsächlich so zugetragen haben soll:
Um das Jahr 1903 war in Zeutern ein älterer Mann gestorben, den man vielleicht aufgrund seines Erscheinungsbildes den „krummen Nikolaus“ nannte. Er soll in einem alten, baufälligen Häuschen an der Stelle gewohnt haben, wo heute der alte Kindergarten steht. Die lehmgefüllten Riegel des Fachwerks waren bereits so zerbröselt, dass die Wände an verschiedenen Stellen schon Löcher hatten. Damals war es noch üblich, dass auch über Nacht sogenannte „Wachweiber“, wie man sie bezeichnete, Totenwache hielten und für den Verstorbenen beteten. Nun stand das Bett, auf dem der Verblichene lag, direkt an einer Außenwand, die auf der Höhe der Bettkante ein kleines Loch hatte. Einige übermütige junge Burschen sollen auf die makabre Idee gekommen sein, einen Metallstab von außen unter den Rücken des Verstorbenen zu schieben und nach unten zu drücken, sodass der Tote sich scheinbar im Bett erhob. Gedacht, getan. Die betenden Frauen sollen vor Angst und Schrecken schreiend aus dem Haus geflohen sein.
Das Ganze blieb nicht ungestraft. Und einige der Übeltäter sollen deswegen sogar über Nacht nach Amerika emigriert sein!
Bei allen, die mich bei den Recherchen über dieses Thema unterstützt haben, darf ich mich ganz herzlich bedanken. Einen besonderen Dank möchte ich Doris Keibl sagen, die meinen Bericht zu Papier brachte.
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