Unsere Autorin Maria Staudt berichtet im nachfolgenden Artikel über das Wirken der Franziskanerinnen vom Göttlichen Herzen Jesu aus Gengenbach von 1945 bis 1960 in Stettfeld.


 

 Von Maria Staudt | April 2024 

Hier ihr Bericht:

Die älteren Einwohner von Stettfeld können sich heute noch kaum vorstellen, was gewesen wäre, wenn es in den Kriegs- und Nachkriegsjahren die Franziskanerinnen vom Göttlichen Herzen Jesu aus Gengenbach (siehe Foto) in Stettfeld nicht gegeben hätte. So gab es damals drei Schwestern im Ort: eine Nähschwester, eine Kindergartenschwester und eine Krankenschwester.

Luftbild Mutterhaus. Quelle: Mutterhaus Gengenbach

Die Stettfelder Nähschule war weit über die Grenzen von Stettfeld hinaus bekannt. Die meisten auswärtigen Näherinnen waren aus Weiher und Zeutern. Aber auch bei Frauen und Mädchen aus Tiefenbach und Hilsbach war die Stettfelder Nähschule sehr beliebt. Diese scheuten keine Mühe und kamen mit dem Entenköpfer (Nebenbahn) nach Stettfeld gefahren. Leiterin der Nähschule war die Nähschwester Valeres. Diese kleine zierliche Frau konnte sehr streng und resolut sein und duldete nicht, wenn geredet wurde. Wahrscheinlich konnte sie sich dann nicht genug konzentrieren. Die Nähschule begann um 14 Uhr und endete um 17 Uhr. Zum Beginn der Nähschule wurde gebetet: „Zur Arbeit gib uns deinen Segen, Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist, dann tu‘ ich alles Gott zur Ehre, was mein Beruf zu tun mich heißt. Mit Jesus im Herzen, Maria im Sinn, mit Jesus, Maria und Josef die Arbeit ich beginn.“ Zum Schluss der Nähschule um 17 Uhr wurde das Gebet „Der Engel des Herrn” gebetet.

Wenn eine Frau oder ein Mädchen am ersten Tag in die Nähschule ging, wurde ihr von Schwester Valeres ein nach ihren Körpermaßen gemessenes Schnittmuster angefertigt, das die Schwester aufbewahrte und bei Bedarf zum Zuschneiden eines Kleides hervorholte. Die Nähschule war im oberen Stockwerk des Josefshauses (siehe Foto), in dem sich auch die Wohnräume der Schwestern befanden.

Stettfeld St. Josefshaus. Quelle: Ortsbuch Stettfeld

Wenn jemand vom Gang im Treppenhaus die Nähschule betrat, stand am Ende des Nähraumes ein großer langer Tisch, an dem sich die Näherinnen hintereinander anstellten, um die Dienste und die Beratung der Schwester in Anspruch zu nehmen. An manchen Tagen konnte es sein, dass bis zu 30 Personen die Nähschule besuchten und die Nähschwester ihre ganze Flinkheit und ihr Können einsetzen musste, damit jede Näherin einmal am Nachmittag in den Genuss ihrer Hilfe und ihrer Beratung kam. Um nicht immer alles in der Hand zu halten, konnten die Nähschüler ihre Utensilien auf dem Tisch ablegen. Es war eine Freude, der Nähschwester zuzusehen, wie sie als Linkshänderin mit ihrer langen scharfen Schere unheimlich flink die Kleidungsstücke zuschnitt. An manchen Tagen, wenn viele Mädchen und Frauen die Nähschule besuchten, waren die langen Wartezeiten schon ziemlich langweilig und irgendwann wagten manche Mädchen eine kleine Unterhaltung. Aber ein Blick von Schwester Valeres, so von unten herauf, und alle waren mucksmäuschenstill.

Schwester Valeres war gebürtige Karlsruherin, wo auch noch ihre alte, pflegebedürftige Mutter wohnte. Darum durfte die Nähschwester öfters nach Hause fahren, um ihre Mutter zu besuchen. Aus dieser Stadt brachte sie uns die modernsten Spitzenkragen und Spitzeneinsätze mit, die wir in Bruchsal nie bekommen hätten. Auch bekam sie hier die neueste Mode mit. Wir überließen immer der Nähschwester, wie unser Kleid aussehen sollte und es war immer viel schöner, als wenn wir es vorgesagt hätten. Wir sahen erst bei der Anprobe, wie unser Kleid einmal aussehen könnte.

Ein Nachmittag in der Nähschule kostete damals 30 Pfennige. Wenn wir noch nicht lange in die Nähschule gingen, brauchten wir schon acht bis zehn Tage, sodass das Kleid dann 3 Mark kostete. Als wir später dann schon geübter waren, reichten uns meistens drei Tage, das waren 90 Pfennige. Wenn wir bedenken, dass ein Kleid damals bei einer guten Schneiderin 70 bis 80 Mark gekostet hat!

Wenn ein Herrenhemd noch ganz gut und nur der Kragen kaputt war, wurde aus dem hinteren Unterteil ein neuer Kragen genäht und dann irgendein anderes Stück Stoff, das oft farblich überhaupt nicht passte, eingenäht. Aber ganz egal, niemand konnte es sehen, das Hemd war ja in der Hose drin.

Als unser Jahrgang 1938 im Jahr 1952 aus der Volksschule kam, nähten wir zu dritt aus meiner Klasse unser Schulentlassungskleid in der Nähschule. Ein Mädchen bekam ihr Kleid von ihrer älteren Schwester genäht.


Wir haben Schwester Valeres auch von einer anderen Seite kennengelernt, nicht nur immer streng und ernst, sondern, dass sie bei bestimmten Anlässen auch laut und herzhaft lachen konnte. Zum Beispiel stand in der Ecke der Umkleidekabine eine Drahtpuppe, diese wurde im Ortsdialekt „Bawett“ (Dialektform von Barbara) genannt. Meistens wurde sie zum Abfüttern einer Jacke benötigt. Zur gleichen Zeit war eine Frau in der Nähschule, die auch Bawett hieß. Als eine Frau, die noch nicht so lange in der Nähschule war, die Hilfe der Schwester in Anspruch nahm, sagte diese: “Bringen Sie mir bitte mal die Bawett her.“ Sie ging zu dieser Frau, die Bawett hieß, und sagte zu ihr: “Ich soll Sie zur Schwester bringen!“ Die erschrockene Frau wusste gar nicht, was sie jetzt angestellt hatte. Als bei der Schwester das Rätsel aufgelöst war, da konnte sie schon einmal herzhaft lachen.


Die Stoffreste, die beim Zuschneiden anfielen, lagen neben der Schwester in einem Körbchen. Wir durften uns da jederzeit bedienen und herausholen, was wir mochten. Da hat sich mit der Zeit ein sehr schönes Spiel entwickelt. Wir suchten uns immer die längsten und schmalsten Stücke heraus. Wenn sie nicht lang genug waren, wurden zwei zusammengenäht. Am Schluss der Nähschule um 17 Uhr, wenn gekehrt und alles aufgeräumt und auch das Abschlussgebet gesprochen war, versuchten immer ein paar Mädchen, jede der anderen ein langes, schmales Stoffstück an den Rocksaum zu stecken. Es musste darum lang sein, damit es nicht um die Beine herumbaumelte und sonst bemerkt wurde. Wenn wir dann durch den Ort liefen, um nach Hause zu gehen, haben wir uns immer gewundert, warum heute die Leute besonders nett und freundlich waren und sich auch noch umdrehten, bis uns irgendjemand darauf aufmerksam machte. Aber das schöne Spiel war bald beendet: Immer wenn wir von der Nähschule weggingen und wir hörten Schwester Valeres laut und herzhaft lachen, wussten wir, dass jetzt die Rocksäume abgesucht werden müssen und das schöne Spiel hatte keinen Reiz mehr. So aber haben wir mitbekommen, dass auch Schwester Valeres, wenn sie nicht in der Verantwortung war, ein sehr netter und fröhlicher Mensch sein konnte.

Schwester Valeres war nicht nur eine hervorragende Nähschwester, sondern auch eine sehr begabte Organistin und Chorleiterin und spielte in der Zeit als sie in Stettfeld war die Orgel und leitete den Kirchenchor. Man kann heute noch hören, dass sie auch hier eine strenge Chorleiterin war. Wenn jemand am Sonntag um 15 Uhr bei der Kirche vorbeilief, konnte er die Schwester schnellen und leichten Schrittes der Kirche zueilen sehen, so als käme sie nicht schnell genug zu ihrer Orgel. Und gleich darauf hörte man auch ihr Orgelspiel, das profihaftes Können war und niemals Üben. Da waren an der Orgel alle Register gezogen. Somit war Schwester Valeres für Stettfeld in den schweren Zeiten, wo die meisten Kirchenmusiker im Krieg waren, ein enormer Gewinn. Im Ort wurde gemunkelt, dass Schwester Valeres einen Freund gehabt hätte, der im Zweiten Weltkrieg gefallen sei und sie darum ins Kloster gegangen wäre. Auch, dass sie Abitur gehabt hätte.

Als wir wieder einmal nach den Schulferien in die Nähschule kamen, erlebten wir einen gewaltigen Schreck. Schwester Valeres war nicht mehr da, ohne dass wir vorher irgendetwas vernommen hatten. Wie wir hörten, war sie nach Viernheim bei Mannheim versetzt worden. Wahrscheinlich wurde da dringend eine gute Chorleiterin und Organistin benötigt.

Den Stettfelder Kirchenchor übernahm Hauptlehrer Rudolf Schnepf, der kurz zuvor nach Stettfeld gekommen war, und seine Tochter Maria spielte die Orgel. Dafür musste die Familie in der Lehrerwohnung im Schulhaus keine Miete bezahlen.

Die Stettfelder Nähschule war trotzdem nicht verwaist, denn nach den Schulferien war nicht nur Schwester Valeres weg, es war auch schon wieder eine neue, sehr gut aussehende, ganz junge Schwester mit Namen Reinharda da, die ihre erste verantwortungsvolle Stelle angetreten hatte, um in den Diensten der Nächstenliebe außerhalb des Klosters zu arbeiten. Leider wusste niemand, wo Schwester Reinharda geboren war. Zur Freude aller Nähschüler kam mit Schwester Reinharda auch noch eine neue Pfaff-Nähmaschine in die Stettfelder Nähschule, die Nähschwester Reinharda von ihren Eltern als Geschenk zu ihrer ersten öffentlichen Stelle als Nähschwester bekommen hatte. Alle Nähschüler wollten nur noch auf dieser Nähmaschine nähen und niemand mehr auf den alten Klapperkisten. Lieber wurden lange Wartezeiten vor der Nähmaschine in Kauf genommen.

Schwester Reinharda war genau wie Schwester Valeres eine sehr gut ausgebildete und talentierte Nähschwester. Im Gegensatz zu Schwester Valeres organisierte sie ab und zu Ausstellungen der in der Nähschule genähten Kleidungsstücke, die teils auf einem großen Tisch lagen und teils auf Spanplatten an der Wand angesteckt waren. Da gab es dann einen Tag der offenen Tür und jeder Bürger konnte sich von den verschiedenen gefertigten Teilen ein vollständiges Bild machen, was in der Nähschule alles geleistet wurde. Da inzwischen die Zeiten schon besser waren und die Menschen schon mehr Geld verdienten, wurde schon vieles von der Stange gekauft. Die Nähschule war dann nicht mehr so überfüllt. Selbst wenn Schwester Valeres das hätte machen wollen, sie hätte nicht die Zeit dazu gehabt.

Hochzeitskleid aus der Nähschule. Bildautor: Maria Staudt

Im Jahr 1958 nähte ich bei Schwester Reinharda mein Hochzeitskleid (siehe Foto), ganz einfach und schlicht. Das einzige Auffallende daran war, dass es am Rücken mit vielen kleinen Schlaufen und mit Stoff überzogenen Kugelknöpfchen bis zur Taille zugeknöpft wurde. Es war zu meiner vollsten Zufriedenheit ausgefallen. Noch am Hochzeitstag kam von Schwester Reinharda eine Postkarte, auf der Vorderseite das Bildnis der Mutter Gottes und auf der Rückseite folgende Glück- und Segenswünsche: „Zu Ihrem entscheidungsvollen Tag darf ich Ihnen sowie von allen Schwestern des Hauses meine allerherzlichsten Glück- und Segenswünsche entbieten. Möge der liebe Gott Ihren Bund segnen und Ihnen seine Gnade dazu geben. Das erbete ich für Euch heute. Ihre Schwester M. Reinharda.“ Noch am selben Tag gab es für die Schwestern Hochzeitskuchen.

Dank der hervorragenden Nähschulschwestern konnten wir nach einigen Jahren Nähschule unsere Kleider eigenhändig und selbständig nähen. Die noch vorhandenen Probleme waren die Schnittmuster. Dafür gab es auch eine Superlösung! Wir kauften uns in einem Geschäft eine Modezeitschrift, „Burda“ oder der „Neue Schnitt“, und rädelten mit einem dafür geeigneten Rädchen die Schnittmuster zu den ausgesuchten Kleidermodellen aus. Auch wenn Vaters Hose zu eng geworden war, wurde eine kleinere für die Buben genäht. Diesen gefiel das leider nicht so gut, sie hätten viel lieber die damals neueste Mode „Jeans“ getragen. So konnten wir doch in unserem Leben so manches Geld einsparen.

Das ganze Erdgeschoss des Josefshauses abzüglich des Treppenhauses war ein einziger Raum, der in der Mitte durch drei große Rollläden in zwei größere Räume getrennt war, den Bühnenraum und den Kindergartenraum. Wenn man durch die Haupteingangstür das Josefshaus betrat, ging es noch einige Steintreppen hoch, dann war auf der linken Seite eine Tür, die in den Bühnenraum führte. Geradeaus ging es in den Kindergartenraum. Die Bühne konnte sich sehen lassen, sie war wirklich schon ganz ansehnlich und der ganze Stolz der Stettfelder Einwohner. Hier wurde jedes Jahr, schon in der Adventszeit und auch an den Weihnachtsfeiertagen, von verschiedenen Vereinen Theater gespielt. Auch der Kirchenchor und die Katholische Jugendgruppe machten keine Ausnahme. Doch vor allem die Kindergartenschwester Fridiana konnte kaum die Weihnachtszeit abwarten, bis sie Theater spielen konnte. Sie war eine begeisterte Regisseurin. Wenn sie mit ihren Kindern Theater spielen konnte, war sie ganz in ihrem Element. Die Schwester versuchte immer, viele ihrer Kindergartenkinder in das Theaterstück einzubinden, wenn das vom Stück her nicht so passte, wurde noch ein Reigen eingefügt.

Kinder St. Josefshaus mit Sr.Fridiana. Quelle: Ortsbuch Stettfeld

Es wurde die allseits begabte Nähschwester Valeres dazu geholt, diese tänzelte ein wenig herum und schon war ein neuer Reigen kreiert. So gab es jedes Jahr, wenn es nicht anders ging, immer einen neuen Reigen. Wenn Theater gespielt wurde, kam der Schwager von Schwester Fridiana, der in Mannheim in einer Theatergruppe war, nach Stettfeld und schminkte die Kinder profihaft und sachgerecht. Danach konnte man nur noch stolze und glückliche Kindergesichter sehen. Schwester Fridiana war eine gebürtige Mannheimerin. In ihrem Wesen war sie sehr quirlig und lebhaft. Das musste sie aber sein, wenn man bedenkt, wie viele Kinder eine Kindergartenschwester damals, meistens ohne zusätzliche Hilfskraft, zu betreuen hatte.
Als wir nochmals um 1954 bei der Kindergartenschwester im Theaterstück „Das Wunder von Lourdes“ mitmachten, spielte Hilberta Bittlingmaier die Mutter Gottes, die den drei Hirtenmädchen erschienen ist (siehe Foto).

Theatergruppe im Theaterstück „Das Wunder von Lourdes“. Bildautor: Konrad Kröll

Die Rolle war ihr direkt auf den Leib geschrieben. Hilberta Bittlingmaier ist bald nach der Schulentlassung in den Orden der Franziskanerinnen vom göttlichen Herzen Jesu in Gengenbach eingetreten, sie wurde die Nähschulschwester Radegundis (siehe Foto).

Sr. Radegundis Hilberta Bittlingmayer. Quelle: Mutterhaus Gengenbach

Ob sie durch das Theaterstück dazu inspiriert wurde? Sie ist heute altersbedingt in Gengenbach im Haus Bethanien (siehe Foto), Auf dem Abtsberg 4. Das ist das Altersheim des Klosters in Gengenbach.

Haus Bethanien. Quelle: Mutterhaus Gengenbach

Wundern muss man sich, dass aus dem früher so religiösen Stettfeld so wenige Ordensleute hervorgegangen sind, im Gegensatz zu Weiher und Zeutern. Wo doch Schwester Fridiana immer wieder versucht hatte, junge Mädchen zu animieren, ins Kloster zu gehen. Außer Schwester Radegundis hatte es früher noch zwei Ordensschwestern gegeben, einen Priester und einen Pallotinerpater.

Schwester Fridiana wurde um 1965 in eine andere Schwesternstation versetzt, niemand in Stettfeld wusste wohin. Einige Jahre danach war ich in Bruchsal im damaligen Kaufhaus Schneider zum Einkaufen, da waren auch zwei Schwestern in der Stoffabteilung. Die Stimme der einen Schwester kam mir sehr bekannt vor, durch die vorstehende Haube konnte ich aber ihr Gesicht nicht sehen. Ich schlich so lange um sie herum, bis ich sie richtig im Blickfeld hatte, es war tatsächlich Schwester Fridiana! Sie hatte mich auch gleich erkannt, die Freude war groß und die Begrüsung war sehr herzlich. Ganz verwundert musste ich feststellen, dass sie ganz in der Nähe, in einer Schwesternstation ungefähr fünfzehn Kilometer von Stettfeld entfernt, nämlich in Untergrombach, stationiert war und niemand in Stettfeld hatte sie je gesehen oder etwas von ihr gehört. Das war auch für mich das letzte Mal, dass ich Schwester Fridiana getroffen und mit ihr gesprochen habe.

Dann gab es noch die Krankenschwester. In Stettfeld wusste man von der Krankenschwester nie den Namen, es war einfach nur „die Krankenschwester“. Sie war die Oberin der Schwesternstation und hatte somit auch das Sagen. Auch war sie zuständig für den Haushalt, Einkauf, Kochen, Waschen, Putzen sowie das bisschen Haushaltsgeld verwalten. In der Umkleidekabine in der Nähschule stand ein zweites Bügelbrett, wo die Krankenschwester die Wäsche der Schwestern bügelte. Beim Bügeln der Bettlaken holte sich die Krankenschwester immer ein Mädchen dazu, das in der Warteschleife bei der Nähschwester stand und das ihr dann helfen musste, die Bettlaken zusammenzulegen.


Am Morgen und am Abend machte sie ihre Krankenbesuche. Wenn am Tag ein Notfall war, wurde das natürlich sofort erledigt. Früher waren meistens Landwirte oder selbständige Handwerker nicht krankenversichert, weil das Geld dazu einfach nicht reichte. So ist der eine oder andere gestorben, ohne dass er je einen Arzt konsultiert hatte und in der Krankheit oder in der Pflege nur von der Krankenschwester betreut wurde. Wenn ein Schwerkranker im Sterben lag, ließ es sich die Krankenschwester nicht nehmen, ihn beim Sterben zu begleiten. Durch ihre langjährige Erfahrung mit Sterbenden konnte sie fast genau die Sterbestunde vorhersagen, so dass die nächsten Angehörigen dabei sein konnten. Auch sorgte sie dafür, dass der Todkranke die christlichen Sterbesakramente erhielt.

Das Nachbargrundstück neben dem Josefshaus war mit einer Betonmauer eingegrenzt. Dazwischen war ein schmaler Durchgang von ungefähr 1 Meter und 20 cm, ein Verbindungsweg zwischen der Weiherer Straße, heute Lußhardtstraße, und der Talstraße, wo auch die Milchzentrale der Familie Mönig war. Aus einem Fenster im oberen Stockwerk des Josefshauses ging ein Draht, an dessen Ende ein Eisengriff befestigt war. Im Gang des oberen Treppenhauses hing eine Glocke. Das war die Nachtglocke für die Krankenschwester. Ein Mädchen, um die dreizehn Jahre alt, das jeden Abend ungefähr um die gleiche Zeit durch das Gässchen lief, um Milch zu holen, wollte unbedingt wissen, wie sich das anhört und ob das überhaupt funktioniert. Irgendwann nahm sie allen Mut zusammen und zog an dem Eisengriff und siehe da, ein schönes und lautes „Ginggong“ ertönte. Weil es gar so schön war, ging das einige Tage so. Als sie an einem Abend gerade wieder den Arm hob, um zu klingeln, sagte eine Stimme: „Du bist das, das hätte ich jetzt aber auch nicht gedacht!“ Es war die Stimme der Krankenschwester. Das Mädchen gab keine Antwort, sie sah auf den Boden, doch dieser tat sich nicht auf, dass sie vor Scham versinken konnte. Gesenkten Hauptes lief sie schnell zum Ende des Gässchens, wo es um die Ecke ging und die Schwester sie nicht mehr sehen konnte. Das würde etwas geben, wenn das ihre Eltern erfahren würden, wo sie doch so eine strenge Mutter hatte. Auch von Pfarrer Weibel würde es eine kräftige Abfuhr geben, immerhin war es die Nachtglocke der Krankenschwester. Sie wollte doch auch wieder in die Nähschule gehen, was würde die Nähschwester dazu sagen? Doch zu ihrem Erstaunen war das Thema vollständig vom Tisch, niemand sprach mehr ein Wort darüber. Daraus konnte sie erkennen, dass selbst die strenge Schwester Oberin Verständnis, wie in diesem Fall, für junge, dumme Mädchenstreiche haben konnte.

Das Mädchen Maria von damals denkt immer noch gerne und dankbar zurück an die Zeit, als die Gengenbacher Schwestern in Stettfeld waren.

Ich bedanke mich bei Anni Dörr aus Stettfeld für ihre sehr guten Recherchen zu Schwester Radegundis (Hilberta Bittlingmaier).

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