Von Beate Harder | Februar 2024 

Die Heimatkundler Eduard Deutsch, Karl Serden und Gustav Schulz haben unter anderem mit der Erforschung der Geschichte der Gaststätten in Ubstadt eine fundamentale Arbeit geleistet. In ihren Heimatbüchern können wir alle wesentlichen Fakten dazu nachlesen. Daher beschränken wir uns heute nur auf einen kurzen Überblick und wollen den Geschichten der Menschen, die im letzten Jahrhundert im „Engel“ gelebt haben, mehr Raum geben. Vor allem Mechthild Zindl geb. Harlacher, Enkelin des ersten Besitzers der Familie Harlacher, hat uns dabei unterstützt. Wir danken ihr vielmals für die Informationen über das Leben im „Engel“ im 20. Jahrhundert.

Das Gasthaus „Zum Engel“ wird erstmalig im Schatzungsbuch der Gemeinde Ubstadt von 1756 erwähnt. Hier heißt es „Georg Wilhelm Schwartz, eine halbe Hausgerechtigkeit an der mittleren Straße, die Wirtschaft zum Engel genannt.“ Der in dieser Passage erwähnte Georg Wilhelm Schwartz gilt als Stammvater der Familie Schwartz. Er war Bäcker und stammte aus Langenbrücken. Georg Wilhem Schwartz erwarb die Grundstücke Andreasplatz 8 und 10 sowie Stettfelder Straße 2. Auf dem Grundstück Andreasplatz 10 errichtete er ein Gebäude, dessen Schlussstein des Türeingangs die noch in jüngster Zeit gut lesbaren Buchstaben und Zahlen „G W Sch 1738“ trugen.

Schlussstein des alten Gebäudes.

Georg Wilhelm Schwartz betrieb die Gastwirtschaft bis zu seinem Tod am 29. Oktober 1777. Kurze Zeit übernahm seine Witwe das Gasthaus, bis sie es wegen ihrer Verheiratung an den Stiefsohn Daniel Schwartz, einen Küfer, abgeben musste. Daniel trat die Wirtschaft 1781 an seinen Bruder Georg Adam Schwartz, einen Bäcker ab. Dieser baute den „Engel“ um und ersetzte einen Teil des Fachwerkhauses durch eine Steinwand. Auf dem neu errichteten Torbogen lies er sein Monogramm, die Jahreszahl und sein Berufszeichen, eine Brezel, darstellen: „G A Sch 1810“.

Schlussstein auf dem neuen Torbogen.

Das 19. Jahrhundert ist gekennzeichnet durch häufige Besitzwechsel aufgrund von Todesfällen innerhalb der Familie. Die letzten Besitzer der Gastwirtschaft dieses Jahrhunderts waren Andreas und Maria Blum, die diese bis ins hohe Alter betrieben. Wirt Andreas Blum starb 84-jährig im Jahr 1893. Seine Witwe führte sie bis zu ihrem eigenen Tod im Jahr 1900.

Da keiner der Erben die Gastwirtschaft übernehmen wollte, wurde sie versteigert und ging an den Meistbietenden: Leopold Harlacher (1868–1932), Landwirt und Ratsschreiber aus Ubstadt.

Ca. 1910.

Er betrieb die Wirtschaft zusammen mit seiner Ehefrau Elisabeth geb. Beyer (1871 – 1930) 28 Jahre lang. 1928 übertrug der bisherige „Engel-Wirt“ seinem Sohn Franz Artur (1900–1957) und dessen Ehefrau Anna geb. Weiler (1901–1963) die Wirtschaft.

Gasthaus “Zum Engel” mit Familie. Ca. 1913.

Das Ehepaar Franz Artur und Anna Harlacher führten die Gastwirtschaft ab 1928 weiter. Trotz der Weltwirtschaftskrise konnten die beiden gute Erträge erzielen. Auch die Gästezimmer im oberen Stock waren gut frequentiert. Die beiden Kinder, Mechthild Erna (*1934) und Artur Ludwig (1936–2006), wuchsen mitten in der Wirtschaft auf und waren von früh auf bereits in den Betrieb integriert. Frau Mechthild Zindl geb. Harlacher, älteste Tochter der Familie, beschreibt in ihren Erinnerungen das Leben und Arbeiten im „Engel“ im 20. Jahrhundert.

Franz Artur und Anna Harlacher geb. Weiler. 1928.

Vor dem 2. Weltkrieg beherbergte das Anwesen einige Zeit einen durch Emma Knebel geb. Harlacher, Schwester des „Engel“-Wirts, betriebenen Lebensmittelladen.

Schwere Zeiten kamen auf Franz Artur Harlacher in den Jahren des Nationalsozialismus zu. Da er parteilos war und auch bleiben wollte, ereilte ihn ein Berufsverbot und er musste die Gaststätte während des Krieges geschlossen halten. Nur durch den gleichzeitigen Betrieb der Landwirtschaft konnte die Familie ihr Auskommen halten.

Arthur Harlacher.

Im weiteren Verlauf des Krieges wurden in den, der Gaststätte angeschlossenen Fremdenzimmern „Fliegergeschädigte“, also Opfer von Bombenabwürfen untergebracht. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges auch Heimatvertriebene und Flüchtlingsfamilien.

Auch der Soldat und Zahnarzt Oskar Hertwig und seine Familie, die aus Schlesien durch die Russen vertrieben wurden, waren im „Engel“ einquartiert. Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg praktizierte er dort zwei Jahre unter äußerst bescheidenen Bedingungen im Gang und dem Vorraum zur Wohnung, bis er zunächst in Ubstadt und anschließend in Bruchsal eine eigene Zahnarztpraxis eröffnete.

Auch Dr. Günter Wenzel sen., praktischer Arzt, und seine Frau Charlotte, beides Breslauer Flüchtlinge, kamen 1945 nach Ubstadt und erhielten im „Engel“ ein Zimmer. Sie waren regelmäßig mit dem Fahrrad in der näheren Umgebung unterwegs und organisierten sich Einrichtungsgegenstände für eine Praxis, die im Gastraum gelagert wurden. Hier hielt er auch seine Praxisstunden für die Patienten ab.

Weitere Flüchtlinge wie die alte Dame Frau Schubert mit Schwiegertochter und zwei Kindern fanden im „Engel“ eine kleine, aber sichere Unterkunft.

Gasthaus “Zum Engel”. 1940er.

Nach den schweren Kriegsjahren führte Lisel Junghans aus Odenheim im Nebenzimmer des „Engel“ mehrere Jahre einen kleinen provisorischen Frisörbetrieb.

Nach Genehmigung der amerikanischen Militärbehörde durfte 1946 der Gemeinderat den Bürgermeister erstmalig selbst wählen. Die Wahl fiel auf Artur Harlacher, Schwiegersohn des 1933 von den Nazis abgesetzten Bürgermeisters Ludwig Weiler und nun wieder Betreiber des wiedereröffneten „Engels“. Dieses Amt führte er von 1946–1948 zusätzlich zur Gastwirtschaft und der Landwirtschaft aus. Die große Scheune, ehemals eine Tabakscheune, zeugte noch vom Tabakanbau. Auch Weinbau, eine eigene Schlachtung und eine große Landwirtschaft gehörten in der damaligen Zeit dazu, wenn man Selbstversorger war.

Innenraum des Gasthauses. Postkarte um 1940.

Trotz der Überfüllung seines eigenen Anwesens, das bis zum Dach mit „Einquartierten“ belegt war, war es Artur Harlachers Aufgabe als Bürgermeister, die ankommenden Flüchtlingsströme gerecht auf die Ubstadter Bevölkerung zu verteilen. Viele Bürger waren nicht einverstanden mit Artur Harlachers Entscheidungen und so blieben nach der Wiedereröffnung der Gastwirtschaft viele Gäste aus. Es blieb also weiterhin eine entbehrungsreiche Zeit für die junge Familie und wieder war die Landwirtschaft die einzige Möglichkeit, sich zu versorgen.

Gaststube. Postkarte um 1950.

Dennoch, wie es im Leben nun mal ist, muss man voranschreiten. Selbst die Ubstadter, die glaubten, in der Nachkriegszeit nicht gut von Artur Harlacher behandelt worden zu sein, fanden sich allmählich wieder im „Engel“ ein, genossen ihr „Viertele“, tranken Bier und nahmen eine Kleinigkeit zu sich.

Zu dieser Zeit war die Wirtschaft der Ort, an welcher Neuigkeiten ausgetauscht, Geschäfte abgewickelt, Freunde getroffen und Geselligkeit gepflegt wurde. Zur Zerstreuung und Unterhaltung der Bewohner und der Dorfjungend wurden Skat- und Schachturniere abgehalten und der neu erworbenen Billardtisch war der Hit. In den 50er und 60er Jahren, die Deutschland ein Wirtschaftswachstum ohne Gleichen bescherten, gönnte man sich auch wieder etwas und ein sonntäglicher Besuch in der Gastwirtschaft gehörte für viele Familien schon zum guten Ton. Auch das Mittagessen war dabei ein neuer Luxus, den sich nun viele erlauben konnten. Und sollte der Geldbeutel etwas knapper sein, begnügte man sich auch mit einem Vesper.

In der Faschingszeit fanden im „Engel“ regelmäßig Kappenabende statt und nachdem auch noch ein Fernsehgerät angeschafft wurde, waren selbstverständlich die Fußballübertragungen ein Publikumsmagnet. Die Dorfjugend traf sich im „Engel“, bevor es mit dem Bus zum Auswärtsspiel ging. Als großer Fußballfan spendierte der „Engelwirt“ ab und zu auch das Bus-Geld, sollte einem Jugendlichen dieses fehlen.

Gasthaus “Zum Engel”. Postkarte um 1950.

Der Dorfjugend fielen so manche Streiche ein und sie waren dem Alter entsprechend immer hungrig. So trug es sich öfter zu, dass die „Engelwirtin“ das mitgebrachte Geflügel in der Gasthausküche den jungen Burschen zubereitete. So geschah es eines Tages, dass man ihr nach einem Auswärtsspiel einen Hahn mitbrachte und ihr während der Zubereitung auffiel, dass er dem eigenen Tier im Stall ähnlich schaue. Am nächsten Morgen stand dann fest, es war der eigene Hahn. Doch solche Streiche konnten der Familie keine Sorgen machen, man schimpfte aber am Ende musste man doch über die Dreistigkeit lachen.

Während die Eltern den Arbeiten in der Landwirtschaft nachgingen, passte die junge Mechtild auf die Wirtschaft auf und schenkte Getränke an die durstigen Heimkehrer vom Feld aus. Zu ihren Aufgaben gehörten auch das Herrichten der vier Fremdenzimmer mit insgesamt sieben Betten und das Frühstück für die Pensionsgäste, das diese in der Gaststube einnahmen.

Bevorzugte Speisen waren in den 50er Jahren Rippchen mit Sauerkraut, Bratwürste und Schnitzel jeweils mit Brot. In späteren Jahren wurden dann aufwändigere Gerichte wie das „Biffdeg“ (Rumpsteak) mit Beilagen das Highlight.

1950er Jahre.

Eine schöne, aber auch arbeitsreiche Zeit erlebten die Mitarbeitenden des „Engels“, wenn zur Erntezeit die Mähdrescherfahrer aus dem Stuttgarter Raum ihre Unterkunft bei ihnen bezogen. Ab ca. 1957 bis zu Beginn der 1970er Jahre standen die Bauersleute Schlange, um ihre Ernte rechtzeitig und trocken nach Hause zu bringen. In dieser Zeit entstanden viele Freundschaften mit den Mähdrescherfahrern, die zum Teil noch bis heute bestehen.

Im Übrigen kehrten im „Engel“ auch sehr gerne Monteure, Außendienstmitarbeiter und Reisende ein und genossen die bequemen Fremdenzimmer und das üppige Frühstück.

Nach dem überraschenden Tod von Artur Harlacher am 31.03.1957 wurde der Wirtschaftsbetrieb durch die Witwe Anna Harlacher geb. Weiler, ihrer Tochter Mechthild und deren Mann Josef Zindl (1934–2011) weitergeführt. Josef Zindl, schenkte an der Theke aus, bediente die Gäste und sprang auch schon mal beim Skat ein, fehlte der dritte Mann.

Nachdem Anna Harlacher bereits fünf Jahre später ihrem Ehemann folgte, übernahm 1963 deren Sohn Artur Harlacher mit seiner Frau Ingrid geb. Reißlehner (*1938) den „Engel“. Artur Harlacher war leidenschaftlicher Koch und Metzgermeister, der zuvor in Karlsruhe und Bruchsal arbeitete. Wegen der umfangreichen Umbau- und Renovierungsarbeiten blieb die Gaststätte bis 1964 geschlossen. Dank der überragenden Kochkünste der jungen und sehr engagierten Wirtsleute wurde der „Engel“ anschließend zu einer beliebten und weit über Ubstadt hinaus bekannten Wirtschaft. Mechthild Zindl widmete sich ab dieser Zeit wieder ihrer eigenen Familie.

Im Jahre 1987 wurde eine weitere Renovation des Hauses in Angriff genommen: Im Rahmen der Ortskernsanierung Ubstadt erhielt das Haus einen Fachwerkaufsatz, der auf der alten Bausubstanz aufbaute. Darüber hinaus wurde die gesamte Fassade farblich neugestaltet, wobei auch die zur Gaststätte gehörenden Wirtschaftsgebäude mit eingeschlossen waren. Der „Engel“ übernahm damit im Blick auf die Dorfsanierung eine Pilotfunktion und war im Ortskern von Ubstadt ein besonderer Blickfang.

Gasthaus “Zum Engel”. 2000er Jahre.

Nach dem Tod der beiden Wirtsleute Artur Harlacher 2006 und dessen 2. Ehefrau Irma Reinelt (1936–2019) wurde das Anwesen an einen Bauträger verkauft. Damit ging die Ära „Engel“ zu Ende. Erhalten werden konnte nur der Torbogen, der nach der städtebaulichen Neubebauung einen würdigen Platz erhalten soll.

Autorin: Beate Harder
Quellen und Fotos aus:
Geschichte der Gemeinde Ubstadt von Gustav Schulz
Ubstadt – Pforte zum Kraichgau von Karl Serden

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