Von Maria Staudt unter Mitwirkung ihres Sohnes Michael Staudt

Dank unserem Mitglied Maria Staudt aus Stettfeld können wir heute eine weitere, nicht mehr existierende Firma in Stettfeld vorstellen. Es handelt sich um die Strickwarenfabrik Wilhelm Bleyle, bei der Frau Staudt als Vorarbeiterin und später Zweigstellenleiterin beschäftigt war. Der Heimatverein Ubstadt-Weiher freut sich, dass unser Mitglied neben dem Bericht über die Schuhmacher-Dynastie in Stettfeld diesen weiteren Bericht verfasst und damit einen wertvollen Beitrag zu unserer Reihe „Handel und Handwerk“ in Ubstadt-Weiher geleistet hat. Hier ihr Bericht.

 
Um seine sechs Kinder preiswert einzukleiden, kaufte der Einzelhandelskaufmann Wilhelm Bleyle 1885 eine Strickmaschine. Daraus entstand die Geschäftsidee, eine Bekleidungsfirma ins Leben zu rufen. So wurde im Jahr 1889 von Wilhelm Bleyle aus Feldkirch in Österreich die Firma Wilhelm Bleyle oHG mit Hauptsitz in Stuttgart gegründet. Sie war in dieser Zeit eine der größten deutschen Hersteller von Strickwaren. Um 1950 beschäftigte die Firma Bleyle 3200 Mitarbeiter, produzierte in Irland, in Österreich, im Elsass sowie in Deutschland und exportierte in 35 Länder. Bleyle strickte keine fertige Kleidung sondern Bahnen, aus denen die Teile zugeschnitten wurden. Die großen Renner waren damals die Matrosen- und Kommunionanzüge. Manch betagter Mann kann sich sicher noch erinnern, einen Kommunionanzug von Bleyle zu seiner 1. hl. Kommunion getragen zu haben, der dann noch – wegen der guten Qualität – von seinen jüngeren Brüdern getragen werden konnte. In dieser Zeit wurden zudem hauptsächlich noch Damenbekleidung und Unterwäsche gefertigt.

Während des Ersten Weltkriegs und bis weit in die 20er Jahre hinein produzierte die Firma Bleyle wegen der schlechten Wollqualität nicht mehr unter ihrem Markennamen, um ihren guten Ruf nicht zu beschädigen.¹

Nachdem im Jahre 1962 die über Jahrzehnte in Stettfeld an der Schönbornstraße 53 ansässige traditionsreiche Zigarrenfabrik der Gebr. Schäfer aus Heidenheim an der Brenz geschlossen wurde, verkauften sie ihr Anwesen an einen Makler aus Kirrlach. Dieser vermietete seinerseits das Gebäude mit den Räumlichkeiten an die renommierte, vornehmlich auf Feinheit und Qualität ausgerichtete Firma Wilhelm Bleyle oHG.

Leider wurden von Bleyle 1962 nur Frauen bis zum Alter von 42 Jahren in ein Arbeitsverhältnis übernommen und so mussten etliche ältere Frauen entlassen werden. Die um die 30 übernommenen Mitarbeiterinnen mussten an eine Zweigstelle in Östringen wechseln, wo sie sechs Wochen lang eingearbeitet wurden. Danach begann der eigentliche Betrieb der Fa. Bleyle in Stettfeld mit einer Vorarbeiterin aus Östringen, die für sechs Wochen blieb. Der Betrieb in Stettfeld gehörte zum Hauptbetrieb Eppingen, hierzu gehörten auch Östringen I und II, Hockenheim und Liedolsheim. Hauptbetriebsleiter war – damals im Alter von 50 Jahren – der gebürtige Stuttgarter Weiß, ein sehr erfahrener und von allen Mitarbeiterinnen als sehr gerecht empfundener Vorgesetzter.

Der noch junge Betrieb wurde am Anfang von einer Vorarbeiterin, Maria Staudt, geführt, die auch zugleich Zweigstellenleiterin war. 1938 geboren, war sie gerade mal 24 Jahre jung, als die Zweigstelle der Fa. Bleyle in Stettfeld eröffnet wurde. Maria Staudt hatte bereits im Alter von 11 Jahren ihre Kleider und die der Familie in der Stettfelder Nähschule eigenhändig genäht und später auch das Schulentlassungskleid sowie ihr Hochzeitskleid. Auch hatte sie im Auftrag der Nähschwester für andere Leute Auftragsnäharbeiten ausgeführt. Das Kleid samt Schürze, welches auf dem Schulfoto (siehe Foto) zu sehen ist, hat sie mit 11 Jahren selbst in der Nähschule genäht. Außerdem war sie nach der Volksschule noch zwei Jahre in einem Nähbetrieb (Miederfabrik Edmund Köhler – Zeutern Ost / Waldmühle) tätig und konnte so bereits in jungen Jahren Erfahrungen in dieser Branche sammeln. Diese Erfahrungen in einem noch so jungen Arbeitsleben sind wohl auch der damaligen Zweigstellenleitung von Östringen nicht entgangen. So kam es, dass sie in einem Gespräch mit dem Hauptbetriebsleiter Weiss von diesem direkt angesprochen wurde, ob sie sich den Posten der Vorarbeiterin und Zweigstellenleiterin zutrauen und übernehmen würde, worauf sie die Chance beim Schopfe ergriffen hat.

Der Hauptbetriebsleiter kam ein- bis zweimal in der Woche für etwa eine Stunde vorbei, um nach dem Rechten zu sehen, ansonsten wurde alles per Telefon abgewickelt. Nach der vollständigen Einarbeitung mussten die Näherinnen im Akkord arbeiten. Sehr wichtig waren dabei gute Augen und eine ruhige Hand. Die Arbeitszeit war von 7:00 Uhr morgens bis 17:00 Uhr abends, mit Pausen von 9:00 Uhr bis 9:20 Uhr und von 12:00 Uhr bis 13:00 Uhr. Samstags wurde nicht gearbeitet. Der Verdienst um diese Zeit betrug ca. 600 DM, die Lohnabrechnung erfolgte in Eppingen.

Beliebt waren auch die jährlichen Betriebsausflüge (s. Foto).

In der Zweigstelle Stettfeld wurden damals alle Arten von Westen und Pullovern, T-Shirts, Shirts und Sweatshirts gefertigt. Die Zuschnitte kamen meistens im 10-er-Pack gebunden in einer Packtasche von der Strickerei in Ludwigsburg. In und an der Packtasche befand sich auch alles Zubehör wie Reißverschlüsse, Knöpfe usw. Das passende Nähgarn musste im Lager in Stuttgart bestellt werden.

Als mit der Zeit die Belegschaft immer größer wurde und sich sogar bei 60 bis 80 Näherinnen einpendelte, durfte sich die Vorarbeiterin jemanden zur Unterstützung aussuchen. Sie wählte dabei, die nach Ihrem Ermessen am besten geeignete Kollegin Helga Stier geb. Schäfer aus Stettfeld und musste diese Entscheidung nie bereuen. So konnte man sich bei Bedarf auch immer gegenseitig vertreten, nachdem die neue Partnerin zur Vorarbeiterin eingelernt war. Die Vorarbeiterinnen der Fa. Bleyle mussten von Zeit zu Zeit immer wieder für sechs Wochen eine Weiterbildung im Hauptsitz Stuttgart absolvieren Die Firma Bleyle bildete auch Industrienäherinnen als Beruf aus. Das Foto wurde während der Besichtigung 1963 durch Landrat Dr. Müller und Oberregierungsrat Dr. Adler samt Stab sowie den Gemeinderäten von Stettfeld im Gespräch mit der Zweigstellenleiterin Maria Staudt aufgenommen. Von den Gemeinderäten namentlich bekannt sind Ludwig Woll†, Hermann Braun†, Karl Pfeifer† und Georg Löffler. Mit auf dem Bild sind die Mitarbeiterinnen Helga Stier (verdeckt) und Agathe Schmitt (Mitte). Auf der Arbeitsplatte befinden sich zu den Zuschnitten gehörige Bordüren, die für den Halsausschnitt, manchmal auch für Ärmelbündchen oder den Saumabschluss dienten. Diese wurden anhand von Schablonen mit Kreidemarkierungen versehen. Diese Markierungen mussten die Näherinnen den mit kleinen Fäden gekennzeichneten Zuschnitten genauestens anpassen. Auch Kopflöcher, Knöpfe usw. wurden mit Hilfe von Schablonen angezeichnet.

Die meisten Nähmaschinen auf dem Foto sind Industrie-Steppmaschinen, eine Spezial-Knopflochmaschine, eine Spezial-Saumnähmaschine (diese konnte man an der gekrümmten Nadel erkennen) und noch zwei Spezial-Verputzmaschinen. Dann gab es noch 10 Spezial-Kettelmaschinen (nicht auf dem Bild). Die Näherin im Vordergrund (Maria Dammert, geb. Bittlingmeier) bedient eine Steppmaschine mit der z.B. Ärmel eingenäht wurden. Das Bild entstand ebenfalls im Zuge der „Ortsbegehung“ 1963 mit Landrat Dr. Müller samt Stab unter Führung des Stettfelder Ratschreibers Oskar Diemer sowie den Gemeinderäten von Stettfeld und der Grundbuchbeamtin von Stettfeld, Klara Freund† geb. Mönig.

Während des Jahres wurden nach Anleitung verschiedener Sachbearbeiter Schaumuster für Modeschauen genäht, mit denen auch die Vertreter zu den Kunden gingen um Aufträge für die neuen Herbst- und Frühjahrskollektionen einzuholen. Mit dem Anlaufen einer neuen Kollektion musste manche Nähmaschine gegen eine Spezialmaschine ausgetauscht werden. Hier hatte man mit Herrn Groß einen tüchtigen Mechaniker, der sämtliche Nähmaschinen des Hauptbetriebs in Eppingen samt seinen fünf Zweigstellen betreute.

Die gefertigte Ware wurde vor Ort kontrolliert und zugleich auch entschieden, ob sie als erste oder nur als zweite Wahl geführt und entsprechend gekennzeichnet (deklariert) wird. Auch konnte durch Prägezeichen jederzeit rückverfolgt werden, von wem das Teil kontrolliert wurde. Bei reibungslosem Ablauf gingen täglich ca. 150 verkaufsfertige Teile in das Lager nach Stuttgart. Ein betriebseigener LKW fuhr täglich sämtliche Zweigstellen und den Hauptbetrieb Eppingen sowie das schwäbische Brackenheim mit dessen Zweigstellen an und brachte sämtliche Ware in das Lager nach Stuttgart. Bei der Rückfahrt brachte er bestelltes Material vom Lager in Stuttgart und neue Zuschnitte von der Strickerei in Ludwigsburg mit.

Nicht jedes Bekleidungsgeschäft durfte Ware von Bleyle verkaufen, es wurden nur kleinere, ausgewählte Boutiquen beliefert. In Bruchsal gab es nur ein Geschäft, in größeren Städten wie Karlsruhe, Heidelberg oder Mannheim zwei bis drei Geschäfte, die Bleyle-Ware verkaufen durften.

Während das Gebäude der Zweigstelle Östringen I zum Betriebseigentum gehörte, war das Gebäude in Stettfeld nur angemietet. Daher entschied man sich, das Gebäude in Östringen aufzustocken und den Zweigbetrieb Stettfeld nach Östringen zu verlegen. Der durch die Aufstockung entstandene Raum reichte jedoch nicht aus, um sämtliche Stettfelder Näherinnen unterzubringen und so mussten wieder einige Mitarbeiterinnen entlassen werden. Das Anwesen in Stettfeld wurde von seinem Eigentümer an die Raiffeisenbank Kraich-Hardt verkauft, deren Filiale sich bis heute in dem Gebäude an der Schönbornstraße 53 befindet.

In den weiteren Jahren drehte sich langsam das Rad der Zeit und die junge, heranwachsende Generation legte keinen so großen Wert mehr auf teure, lange währende Qualitätsware, sie wollte lieber günstigere, modische Ware und dafür häufiger wechseln. Die treue alte Kundschaft starb nach und nach weg und neue junge Kundschaft konnte nicht gewonnen werden. Die Fa. Bleyle machte Jahr für Jahr mehr Verluste und musste schließlich im Jahr 1988 Konkurs anmelden. Das bedeutete auch zugleich das Aus für die einst so stolze, vornehmlich auf Qualität und Feinheit ausgerichtete Firma Wilhelm Bleyle oHG, mit Paris, Stuttgart und Milano in ihrem Etikett. Wenn man mit den ehemaligen Bleyle-Mitarbeiterinnen spricht, kann man heraushören, dass die meisten heute noch stolz sind, ein Teil der Firma Bleyle gewesen zu sein.

Am 1. März 2019 in Stettfeld von Maria Staudt geborene Sapandowski niedergeschrieben.

Wenn auch Sie dazu beitragen möchten, dass altes Handwerk und die Geschichte unserer ehemaligen Geschäfte und Firmen in Ubstadt-Weiher nicht vergessen werden, so würden wir uns freuen, wenn Sie mit unserem Vorstandsmitglied Beate Harder, Tel.Nr. 07251/61569 Kontakt aufnehmen würden. Sie können entweder wie Frau Staudt Ihre Erinnerungen selbst aufschreiben oder wir interviewen Sie.

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¹ Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg (WABW), Bestand Firma Bleyle (B 68), Bü 3.

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