Ein besonderes und für unsere Gemeinde äußerst seltenes Handwerk, das des Gerbers in Zeutern, konnte unsere Ortsteilvertreterin von Weiher, Beate Harder, zusammen mit der Nachfahrin Dominika Grefen und dem Ortsteilvertreter von Zeutern, Theodor Stengel, erforschen und so für die Nachwelt erhalten. Ihre gesammelten Informationen geben einen Einblick in die damalige Zeit und in den Alltag eines Gerbereibetriebes. Der Heimatverein dankt seinem Vorstandsmitglied Beate Harder für ihre Recherchearbeit, Frau Grefen, der Nachfahrin der Familie, für die Informationen und Theodor Stengel für die Unterstützung.


 

 Von Beate Harder | Oktober 2022 

Gerbereibetrieb Wilhelm Pfisterer

Die Geschichte des Gerbereibetriebes Wilhelm Pfisterer ist eng mit den Badischen Lederwerken in der ehemaligen Waldmühle verbunden.

Badische Lederfabrik 1920

Hier, ca. zwei Kilometer außerhalb von Zeutern, in Richtung Odenheim, stand bereits in historischer Zeit eine Mahlmühle. Auf diesem Gelände errichtete 1854 die Zuckerfabrik Waghäusel ein Trockenhaus. Die Badischen Lederwerke übernahmen die Fabrikanlagen in der Mitte der 1890er Jahre. Die Inhaber, ein Unternehmen mit Sitz in Frankfurt, zogen hier den noch heute stehenden, massiven dreistöckigen Fabrikbau hoch und nahmen die Tätigkeit der Großgerberei auf. Aufgrund der Größe und Bedeutung des neuen Industriezweiges erhielt der Gerbereibetrieb 1898 beim Bau der Nebenbahn sogar einen eigenen Gleisanschluss.

Badische Lederfabrik 1920

Durch den guten Geschäftsgang der Lederfabrik wurde auf der gegenüberliegenden Straßenseite bereits im Jahre 1898 die Wirtschaft „Zur Waldmühle“ erbaut. Man erhoffte sich durch das zunehmende Einkommen der Arbeiter gute Geschäfte.

Der Betrieb florierte schon gleich in den Anfangsjahren, bis zu 110 Beschäftigte fanden in der neuen Gerberei eine Anstellung. Nicht nur Arbeiter aus der Umgebung, auch mancher heimische Bauer fand in dem Unternehmen genügend Verdienst. Zur Einführung und Beaufsichtigung dieses hier völlig neuen Gewerbes holte die Firmenleitung Fachkräfte aus Böhmen, Mähren, Schwaben und Hessen. Mit diesen neuen Bürgern kam auch ein junger Mann, David Pfisterer (1875 – 1947), Weißgerber, aus Ötlingen bei Kirchheim unter Teck, nach Zeutern.

Im Jahre 1900 heiratete David Pfisterer Wilhelmine geb. Geiß (1879 – 1941), Bürgertochter aus Zeutern. Der Familie waren vier Kinder beschert, Wilhelm (1901 – 1962) Luise (1902 – 1977) Emil (1904 – 1904) und Eugen (1909 – 1967). Der älteste Sohn, Wilhelm Pfisterer, ging nach dem Abschluss der Volksschule vermutlich bei der Firma Badische Lederwerke in eine Gerberlehre.

Geldbeutel

Um zu verstehen, was eine Gerberlehre beinhaltete zunächst ein Blick in die Anfänge der Lederbearbeitung. Bereits in der Altsteinzeit wurde von Neandertalern und Homo sapiens Leder bearbeitet. Mit der Beherrschung des Feuers wurde die gerbende Wirkung des Rauches bekannt. Die Rauchgerbung zählt mit der Gerbung durch tierische Fette zu den ältesten Gerbmethoden. In der Jungsteinzeit entwickelten sich die Lederherstellung und die Produktion lederner Kleidungsstücke weiter. Auch in Ägypten ist die Verarbeitung von Fellen und Häuten schon seit 5000 Jahren bekannt. Die Wirkung gerbstoffhaltiger Pflanzen und von Alaun waren bekannt. Zur Zeit der Griechen, aber natürlich auch bei den Römern, trat das Gerberhandwerk als selbständiger Beruf auf. Vermutlich wegen der unhygienischen Arbeitsbedingungen, der Umweltbelastung und nicht zuletzt wegen des starken Aasgeruchs, der auch den Gerbern anhaftete, waren diese nicht sehr geachtet; die Arbeit wurde hauptsächlich von Sklaven verrichtet. Auch verwendeten die römischen Handwerker menschlichen Urin, der im Moment seiner bakteriellen Zersetzung alkalischen Ammoniak freisetzt.

Im Mittelalter war Leder ein bevorzugtes Material. In Europa entstanden Lederwerkstätten in der Nähe von Klöstern und in Städten. Die Gerbereien erreichten oft eindrucksvolle Größen. Allerdings mussten sich ihre Betreiber in den Städten in eigene Viertel zurückziehen: Die Herstellung von Leder war ein schmutziges und buchstäblich anrüchiges Gewerbe, daher war die Gerberei eine gesellschaftlich nicht sehr anerkannte und gefährliche Arbeit. Das Zunftwesen regelte den Markt und auch das Handwerk.

Ab etwa 1700 beschäftigte man sich wissenschaftlich mit der Gerberei. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Dampfmaschinen eingesetzt. Neben dem Antrieb der Maschinen wurde der Dampf auch zur Herstellung konzentrierter Gerbextrakte verwendet. Diese ermöglichten eine Verkürzung der Gerbzeiten von mehreren Monaten auf einige Wochen. Dadurch entstand eine rationell arbeitende, stark wachsende Gerbindustrie. Mitte des 19. Jahrhunderts war das Lederhandwerk der drittgrößte Gewerbezweig in dem Gebiet, das sich 1871 als Deutsches Reich konstituieren sollte.

Wilhelm Pfisterer (1901-1963)

Dies alles und die praktischen Handgriffe lernte auch der junge Wilhelm Pfisterer während seiner Ausbildung. Wie üblich im Handwerk, wurde er ausgebildet, um anschießend noch weitere drei Jahre als Handwerksbursche auf die „Walz“ zu gehen, d. h. seine Arbeitskraft anderen Betrieben anzubieten. In dieser Zeit knüpfte er enge Kontakte mit der Firma Leder Eberhard in Hindelang im Allgäu, wo er vermutlich auch seine Meisterprüfung ablegte.

Dominika Pfisterer geb. Hartmann (1903-1987)

Seine zukünftige Frau, Dominika geb. Hartmann (1903 – 1987), lernte er im Haushalt dieses Unternehmens kennen. Dominika war hier als Haushaltshilfe beschäftigt. Nach der Verheiratung (1925) wohnte das junge Paar zuerst in dem Gebäude der Badischen Lederwerke in der Waldmühle in Zeutern, wo Wilhelm Pfisterer nun als angesehener Facharbeiter beschäftigt war. Später zogen sie in das Obergeschoß der gegenüberliegenden Gaststätte „Zur Waldmühle“.

Waldmühle 50er Jahe

Verarbeitet wurden in der Großgerberei ausschließlich Häute der Fettschwanz- und Schwarzkopfschafe. Allgemeine Schwankungen in den Krisenjahren gegen Ende der 1920er Jahre, stetiger Auftragsrückgang und Verluste führten zur Stilllegung des Betriebes im Jahr 1930.

Familie Pfisterer Anwesen Kapellenstr. (Bachgässchen) 60er

Mit einer kleinen Nebenerwerbslandwirtschaft und Weinbau hielt sich die Familie Pfisterer in den 1930er Jahren über Wasser, bis sich Wilhelm Pfisterer in den späten 1930er Jahren dazu entschloss, einen eigenen Gerbereibetrieb zu eröffnen. Ein geeigneter Platz für die Neugründung wurde in der damaligen Bahnhofsstraße 107-110 (Bachgässchen) in Zeutern, hinter dem elterlichen Anwesen, gefunden. Es war ein idealer Ort für die Gerberei, direkt an der Katzbach und unmittelbar am Bahnhof. Neben dem Wohnhaus wurde entlang des Bachs eine große zweigeschossige Werkstatt errichtet.

Bahnhof Zeutern 1960er

Auch bei Wilhelm Pfisterer wurden vornehmlich Felle des Schwarzkopfschafes gegerbt. Das Material kam von mehreren Lederbetrieben, unter anderem der Lederfabrik Eisele in Balingen, in deren Auftrag gegerbt wurde. Angeliefert wurde bequem mit der nahen Bahn. Nach Fertigstellung wurde das Leder ebenso mit der Bahn wieder abtransportiert und zu den Lederfabriken zurückgesendet, wo es zu Handschuhen, Taschen und anderen Erzeugnissen verarbeitet wurde.

Partie am Katzbach

Nach Anlieferung des Rohproduktes wurden die Häute zunächst in einem gemauerten Bassin mit Wasser und Kalk mehrere Wochen eingeweicht und häufig gewendet. Anschließend wurden die Felle auf Rahmen gespannt und mit dem Schabeisen Haare, Fett und Unebenheiten entfernt. Das war eine sehr anstrengende und unangenehme Tätigkeit. Bis das Fell zu Leder verarbeitet werden konnte, waren viel Handarbeit, körperliche Anstrengung und eine lange Arbeitsprozedur erforderlich.

Nun erfolgte das eigentliche Gerben. Bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nutzte man pflanzliche Gerbstoffe. Zur Gewinnung der Gerberlohe wurden zum Beispiel Eichenholz oder sonstige Pflanzenteile als Rindengerbstoffe eingesetzt. Die pflanzlichen Gerbmittel wurden in einer Lohmühle gemahlen und mit Wasser ausgelaugt. Nach der Gerbung mit den Gerbstoffen in den großen Trommeln folgte das mechanische Entwässern (Abwelken). Die Trocknung erfolgte durch Aufhängen und Aufspannen auf Rahmen.

Die beim Entfleischen anfallenden Abfälle wurden als Leimleder bezeichnet und zu Hautleim und Gelatine verarbeitet. Die Fellhaare wurden in einem großen metallenen Lochkorb im Bach gewaschen. Nach dem Waschen wurden die Haare dünnflächig auf einem mit Jute bespannten Gestell ausgebreitet, auseinandergezupft und getrocknet. Die gereinigten Haare verkaufte man an eine Matratzenfabrik.

Muff aus Wiesel

Ein weiterer Geschäftszweig der Gerberei Wilhelm Pfisterer war das Gerben von Fellen, die direkt von Personen aus der näheren Umgebung gebracht wurden und zumeist zu Pelzen gegerbt wurden. Hasen, Rehe, Schafe, Ziegen, Hunde, Katzen, Marder, Iltisse, Füchse, Nutrias, alle landeten am Ende ihres kurzen Lebens in der Gerberlohe in Zeutern. Aus den überwiegenden Teilen der gegerbten Pelze entstanden anschließend Bettvorleger, Stuhlkissen, Pelzkrägen, Muffe zum Händewärmen, aber auch Mäntel, Jacken und Capes. Besonders Katzenfelle waren bei den Menschen im Kraichgau wegen ihrer lindernden Funktion bei Rheuma und Gliederschmerzen beliebt. Mädchen und Frauen liebten Pelzjacken aus dem günstigen Rohstoff Stallhase. Da in beinahe jedem landwirtschaftlichen Haushalt auch Hasen zur Fleischgewinnung gehalten wurden, fielen natürlich auch deren Felle an.

Die Familie Pfisterer, die mittlerweile um zwei Kinder, Brunhilde (1926 – 2014) und David (1935 – 2017), gewachsen war, arbeitete nach dem Krieg und der Ausbildung der Kinder alle zusammen in der Gerberei.

Brunhilde Pfisterer verh. Strauß (1926-2014)

Der Vater Wilhelm wurde anfangs der 1940er Jahre zum Kriegsdienst eingezogen und war während seiner Militärzeit hauptsächlich bei der Gefangenenbetreuung und in der Feldküche in Heilbronn eingesetzt. Auch Tochter Brunhilde wurde 1942 mit 17 Jahren zum BDM (Bund Deutscher Mädchen) in den Kriegshilfsdienst verpflichtet und war bei verschiedenen Bauern und Geschäftsleuten im Arbeitseinsatz. Den verheerenden Bombenangriff auf Heilbronn hat sie miterlebt und verletzte und sterbende Menschen auf dem Hauptverbandsplatz versorgt.

Wieselfell

Nach Kriegsende beendete Tochter Brunhilde ihre Ausbildung zur Kürschnerin und verarbeitete zusammen mit ihrer Mutter Dominika und der Angestellten Friedel Müller geb. Hasenfuß die Pelze und Felle in ansprechende Kleidungsstücke. Sie hatte sich eine gebrauchte Pelznähmaschine gekauft, das war besonders für die größeren zu nähenden Teile eine Erleichterung. Trotzdem wurde noch vieles von Hand genäht. Nach Wunsch des Kunden und mit eigenen Ideen wurden Mäntel, Jacken, Capes, Krägen und Muffe hergestellt. Änderungen, Ausbesserungen und Beratung zur Pelzpflege gehörten ebenso zum Angebot.

Dominika Grefen

Erfolgte ein Auftrag, wurden Schnittmuster erstellt und aus dem jeweiligen Material die passende Fellanordnung nach Zeichnung, Farbe und Struktur zusammengestellt. Mit dem Kürschnermesser wurde sorgfältig zugeschnitten, zu einer harmonischen Fläche zusammengefügt, unterfüttert, mit einem weichen Stoff unterlegt und mit der Pelznähmaschine genäht.

Mit dem Aufkommen von Kaufhausware von der „Stange“ war das Maßanfertigen von Bekleidungsstücken rückläufig, nicht mehr rentabel und wurde in den 1960er Jahren eingestellt. Brunhilde war anschließend noch viele Jahre beim Kaufhaus Schneider in Bruchsal im Verkauf beschäftigt und anschließend bis zur Rente im Krankenhaus Bruchsal als Stationshilfe tätig.

David Pfisterer (1935-2017)

David Pfisterer (1935 – 2017) erlernte ebenso wie sein Vater Wilhelm das Gerberhandwerk und war im Familienbetrieb eine wichtige Stütze. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1963 und dem Rückgang des Geschäftes gab die Familie Pfisterer das Unternehmen komplett auf. David Pfisterer arbeitete danach im damals neu gegründeten Industrieunternehmen ICI (Europa) in Östringen.

Wilhelm Pfisterer und seine Familie waren angesehene Mitglieder der Gemeinde Zeutern. Den einst schlechten Ruf des Gerbers aufgrund der Gerüche gab es mit dem Einsatz von pflanzlichen und chemischen Gerbstoffen nicht mehr.

Wilhelms Wanderjahre, vor allem in Süddeutschland und im nahen Allgäu, prägten seine Persönlichkeit und auch seine Vorlieben. So hatte er sein ganzes Leben eine Vorliebe für Trachten und alles Bayrische. Man kannte ihn in Zeutern mit seiner Trachtenweste mit den „Grandel“-Knöpfen, den Zähnen von Hirschen. Er hatte so ein gewisses „Weitgereiste“, „Weltmännische“ an sich. Gerne erzählte er von seinen Abenteuern während der Wanderschaft. Laut Zeitzeugen war er ein wunderbarer Unterhalter und ein sehr geselliger Mensch.

Ganz herzlich bedanken wir uns bei Dominika Grefen, Enkelin des Gründers Wilhelm Pfisterer und Erbin des schönen außergewöhnlichen Vornamens der Großmutter. Sie konnte uns noch viel vom Familienbetrieb erzählen, vor allem von der Kürschnerei ihrer Mutter Brunhilde. Wir konnten auch die auserlesenen Familienerbstücke, einen Muff und eine Pelzstola, bei ihr bewundern und uns heute noch von der Qualität der verarbeiteten Produkte überzeugen.

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