Der Heimatverein Ubstadt-Weiher e.V. konnte die Geschichte eines weiteren Geschäftes in Ubstadt-Weiher, Ortsteil Stettfeld, das der Familie Mönig, Betreiber der Milchzentrale – Milichheisle über zwei Generationen gehörte, zusammen mit Werner Mönig aufschreiben und so Einblicke in die damalige Zeit geben. Der Heimatverein dankt Werner Mönig für dieses Interview sehr herzlich. Eine besondere Anerkennung verdient auch unser Vorstandsmitglied Beate Harder, die durch dieses Interview erneut dazu beigetragen hat die Geschichte des einstigen Stettfelder Milichheisle für die Nachwelt zu erhalten. Sie hat dieses wie folgt aufgezeichnet:


 

 Von Beate Harder | Mai 2021 

„Milichheisle“ in Stettfeld

Als das Ehepaar Anton (1895 – 1967) und Anna geb. Sapandowski (1896 – 1978) 1927 in der Talstraße 13 in Stettfeld (siehe Foto) ihren Neubau bezogen, war das Reichsmilchgesetz, das später noch große Bedeutung für sie und die nächste Generation haben wird zwar noch nicht verabschiedet, warf aber bereits seine Schatten voraus. So baute man für die kleine Familie mit den vier Kindern Klara (1920-2014), Gerhardt (1927-2005), Josef (1929-2010) und Antonia (1934) ein schmuckes Familienheim mit Scheune und Schuppen, der bereits für die zukünftige Milchzentrale geplant war.

Talstraße 13 Familie Mönig 30er Jahre. Foto: Mönig

Vater Anton arbeitete als Zimmerer bei den „Badischen Möbelwerke GmbH“ in Langenbrücken, bis er aus gesundheitlichen Gründen diese Tätigkeit nicht mehr ausführen konnte. Zusätzlich ernährt hat die Familie die Nebenerwerbslandwirtschaft und kleinere Schreinerarbeiten des Vaters, der gutes handwerkliches Geschick hatte.

Das bereits erwähnte Reichsmilchgesetz (DRGB 31. Juli 1930 TI 421) änderte jedoch die wirtschaftliche Lage der Familie Mönig entscheidend. Bis zu diesem Zeitpunkt war jedem Milchbauer freigestellt, wie er seiner Milch vermarkten wollte. Das Reichsmilchgesetz hatte jedoch die deutsche Milchwirtschaft grundlegend umstrukturiert. Darin waren Zusammenschlüsse der Erzeuger sowie der Be- und Verarbeiter der Milch zur Regelung der Verwertung und des Absatzes sowie die Bildung geschlossener Milchwirtschaftsgebiete vorgesehen. Alle Milchvieh haltende Höfe wurden per Gesetz verpflichtet, ihre Milch an eine bestimmte Molkerei innerhalb des Einzugsgebietes abzuliefern. Diese war verpflichtet, die Milch anzunehmen und einen vorher mit den Mitgliedern vereinbarten Preis zwischen 15 und 18 Pfennige RM (in den 30er Jahren) zu bezahlen.

Deutsches Reichsgesetzblatt 31. Juli.

Mit dieser Maßnahme sollte in erste Linie eine Versorgung der deutschen Bevölkerung sichergestellt und eine Versorgungskrise wie im Ersten Weltkrieg vermieden werden. Damals zahlte auch die Zivilbevölkerung ihren Tribut. Im so genannten Kohlrübenwinter 1916/1917 brach die Nahrungsmittelversorgung zusammen, die Rationen wurden gekürzt bis an die Schmerzgrenze. Insgesamt mehr als eine dreiviertel Million Menschen starben während der Kriegsjahre allein in Deutschland an Hunger und Unterernährung. Die Kraichgauer Agrarlandschaft gehörte naturgemäß zu den weniger stark betroffenen Regionen. Hier hatten die Leute, jedenfalls die Bauern als Selbstversorger und eigentliche Produzenten, immer noch etwas zu essen, als es andernorts schon fehlte.

Ein weiterer wichtiger Grund für die Einführung des Reichsmilchgesetzes war die Sicherstellung von Hygiene und Gesundheit der Milch. Tuberkulose bei Rindern war bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts eine sehr häufige Infektionskrankheit und stellte auch für den Menschen eine ernsthafte Infektionsbedrohung dar. Mehr als 1/3 aller Rinderbestände waren betroffen. In den 20er und 30er Jahren des 20. Jh. waren 10 % aller menschlichen Tuberkulosen durch den Erreger vom Rind verursacht. Der Erreger konnte durch Erhitzung (Pasteurisierung) abgetötet werden, beim Verkauf von Milch direkt vom Hof wurde diese Erhitzung jedoch nicht durchgeführt, diese Aufgabe sollten die Molkereien übernehmen.

Zur Annahme der Milch wurden nun jedem Dorf meist an zentraler Stelle, Milchsammelstellen – „ Milichheislen“ eingerichtet und die Bauern hatten dort ihre Milch abzuliefern. Das Gebäude diente der Sammlung und Kühlung der Milch bis zum Weitertransport.

Anton und Anna Mönig betrieben in Stettfeld die Milchsammelstelle seit dieser Zeit. Im Schuppen der Familie wurde von der Milchzentrale Karlsruhe ein Metallbehälter mit Filteranlage eingerichtet. Der Raum war mit weißen Fliesen gekachelt, (siehe Foto) hatte eine Abflussrinne und konnte so aus hygienischen Gründen mit Wasser zur Reinigung gut ausgespritzt werden.

Gekachelter Raum Milchsammelstelle Talstr. 13. Foto: Mönig

Die Milch wurde von den Bauern mit den großen Milchkannen angeliefert und durch ein Sieb direkt in den Behälter geschüttet. Gekühlt wurde die gesammelte Milch übrigens immer mit dem kalten Wasser eines sich auf dem Anwesen befindlichen Brunnens aus der Römerzeit. Die Milchmenge wurde notiert und war Grundlage zur Abrechnung, die monatlich erfolgte. Morgens und abends war das Milichhaisl der Kommunikationstreffpunkt des Ortes wenn die Bauern, Bäuerinnen, Milchbuben und Milchmädchen ihre Milch anlieferten. Für viele junge Leute war die Milchzentrale der soziale Treffpunkt, an dem man sich abends nach getaner Arbeit noch traf und zusammen scherzen und lachen konnte.

Die genossenschaftliche Karlsruher Milchzentrale wurde 1906 nach dem Vorbild landwirtschaftlicher Genossenschaften durch die Milcherzeuger selbst gegründet und betrieben.

Die genossenschaftliche Milchzentrale Karlsruhe GmbH wurde später von der Badischen Landwirtschaftlichen Hauptgenossenschaft eGmbH (Vorläufer der ZG Raiffeisen) weiter betrieben. 1936 zog die Milchzentrale in einen Neubau an der Durlacher Allee 89 um. Hier wurde die angelieferte Milch zunächst pasteurisiert (Erhitzung auf mindestens 70 Grad) und anschließend entrahmt und weiterverarbeitet. Viele kennen die Milch unter dem Markennamen „Goldsiegel“ noch: Sie wurde bis Ende der 80iger Jahre vertrieben. Auch in Schulen wurde die Milch und die „Trinkerle Fitty“ in verschiedenen Geschmacksrichtungen vom Hausmeister verkauft.

Milchzentrale Karlsruhe Durlacher Allee

In den Anfangszeiten der Milchsammelstelle wurde von Anton Mönig die gesammelte Milch einmal täglich mit einem Hundegespann zur Nebenbahnhaltestelle des „Entenköpfers“ gefahren. Die beiden Rottweiler zogen dabei das kleine Gespann, das immerhin zehn 40 Liter Milchkannen transportieren konnte und brachten die Milchkannen sicher zur Bahn. Vermutlich erfolgte der Weitertransport durch entsprechend eingerichtete Eisenbahnwaggons mit Kühlung. Anfang der 60er Jahre wurde morgens die Milch der ca. 25 milchabgebenden Bauern direkt von der Milchgenossenschaft mit Kühlwagen abgeholt und nach Karlsruhe transportiert.

Im Milichheisle von Anton und Anna Mönig gab es zudem Butter, Weißer Käse und Milch zu kaufen. Verpackt waren die Produkte in Papier, die Milch wurde in selbst mitgebrachten Milchkannen abgefüllt. Da die Milchabgeber immer erst um den 15. des Folgemonats ihr Milchgeld in bar ausbezahlt bekamen, mussten die Kunden ihre Einkäufe häufig anschreiben lassen. Die Milchabgeber erhielten während des Krieges bis zur Währungsreform 1948 zudem Bezugsscheine und waren zum Kauf der Molkereierzeugnisse berechtigt. Öffnungszeiten waren entsprechend der Milchabgabezeit zwischen 7 – 8 Uhr und 17 – 19 Uhr. In dieser Zeit konnten auch die Molkereiprodukte erworben werden. Wenn allerdings außerhalb dieser Zeiten eine eilige Hausfrau kam, die schnell noch was benötigte, wurde sie selbstverständlich mit dem Gewünschten versorgt. Seit Mitte der 50er Jahre arbeitete die Tochter Antonia mit und unterstützte die Mutter.

1949 verheiratete sich Sohn Gerhard (1927 – 2005) mit Antonie (Toni) geb. Heneka (1927 – 2020). Gerhard arbeitete in seinem erlernten Beruf als Werkzeugmacher bei der Firma Siemens. Toni Mönig war zunächst auch bei Siemens beschäftigt, anschließend arbeitete sie als Verkäuferin im Einzelhandel. Nach der Geburt des Sohnes Werner 1952 und der Tochter Monika 1956 arbeitete sie im Milichheisle der Schwiegereltern mit.

Toni Mönig übernahm als sozialversicherungspflichtige Angestellte Mitte der 60er Jahre das Ladengeschäft in der durch die Raiffeisen ZG komplett neu gebaute Milchzentrale in der Talstraße 3. Im hinteren Bereich war die Milchabgabestelle untergebracht, eine moderne Zentrifuge mit Kühlanlage und Filter. Die Milchannahme erfolgte durch weitere Mitarbeiterinnen. Hier wurden auch in regelmäßigem Abstand Proben aus allen abgegebenen Milchkannen entnommen, in spezielle Probengläser abgefüllt und zur Untersuchung an die Milchzentrale weitergeleitet. Die Milchmenge wurde auf der Milchabgabekarte eingestempelt, die Auszahlung erfolgte nun nach der Abrechnung monatlich in der Raiffeisenbank. Im gleichen Gebäude befand sich auch die Raiffeisenbank und das Raiffeisen Zentrallager.

Im modernen Verkaufsraum des Ladengeschäfts (Foto 6) mit großem Schaufenster bot Toni Mönig eine sich langsam steigernde breite Palette an Lebensmitteln, Brot, Brötchen, Molkereiprodukte, Wasch- und Reinigungsmittel an und war somit beinahe ein früher Vollversorger in Stettfeld. Nun waren auch die Öffnungszeiten etwas mehr den Bedürfnissen der Kunden angepasst und man konnte, entsprechend der Milchabgabezeit auch zwischen 7 – 10 Uhr und 16 – 19 Uhr einkaufen gehen. Auch bei Toni Mönig konnte man außerhalb der Öffnungszeiten einen schnellen Einkauf machen, sollte man etwas vergessen haben.

Talstraße 3 Ladengeschäft. Foto: Mönig

Zeitzeugen können sich noch gut an den großen „Bärenmarken“ Teddybär als Aufsteller und Reklamefigur erinnern. Für die Stettfelder Kinder war das „Milichhaisl“ sicher auch eine gute Anlaufstelle zum Erwerb von „Gutselen“, „Bärendreck“ und „Schlotzer“. Als Dankeschön für den Einkauf erhielten die Kinder immer ein Karamellgutsel, das schmeckt manchem Erwachsenen heute noch.

Toni Mönig war sowohl für den Verkauf als auch für den Einkauf der Verkaufswaren selbst voll verantwortlich und meisterte diese Aufgabe ohne jegliche Ausbildung oder kaufmännischen Kenntnisse. So erstellte sie alleinverantwortlich sämtliche Abrechnungen für die Raiffeisen ZG. Sie war die gute Seele des Geschäftes und so manche Stettfelder konnte seine Sorgen und Nöte während eines Einkaufs klagen. Die Milchabgabestelle wurde bereits Ende der 1960er Jahre geschlossen. Anschließend wurde die Milch von der Milchzentrale direkt bei den wenigen übrig gebliebenen Bauern abgeholt. Das Ladengeschäft mit dem Verkauf von Lebensmittel schloss im Sommer 1978.

Milchzentrale Talstraße 3. Foto: Mönig

Toni und Gerhardt Mönig engagierten sich viele Jahre zudem im sozialen Bereich, organisierten Ausflüge unter der Leitung es damaligen Ortsgeistlichen Pfarrer Hubert Debatin und der Katholischen Jugend und bekochten die Jugendlichen im Zeltlager. Gerhard als Handwerker war dabei für die Ausstattung der Küche und der Versorgungsbauten zuständig, Toni übernahm die Versorgung der oft über 60 Jungen. Da wurden schon Tage zuvor Lebensmittel bei den Mönigs abgegeben, Einkäufe unternommen, gepackt und abtransportiert. Die Jungs schliefen in den Anfangszeiten noch in undichten Zelten aus dem letzten Weltkrieg. Schlachtkessel, Gaskocher, Unmengen an Ess- und Kochgeschirr mussten besorgt werden.

Zeltlager mit Pfarrer Hubert Debatin. Foto: Mönig

Toni Mönig war viele Jahre im Ehrenamt für ihre Heimatgemeinde engagiert, sei es das Altenwerk, Besuchsdienste im Krankenhaus, Unterstützung sich in Notlage befindlicher Familien, Kirchenchor und Katholische Frauen Vereinigung. Sie bastelte, handarbeitete und organisierte für viele Feste und Feiern. Toni Mönig wurde dabei immer als resolute, aber bescheidene und sehr gläubige Frau beschrieben.

Gerhard Mönig 70er Jahre. Foto: Mönig

Gerhard war ein begeisterter Nebenerwerbslandwirt und liebte es mit seinen Ziegen und Schafen, Hasen und Hühner zugange zu sein. (Foto 11) Er unterstützte seine Frau bei allen ehrenamtlichen Unternehmungen und war für viele der erfindungsreiche Handwerker an den man sich jederzeit wenden konnte. Er verstarb am 27.11.2005. Seine Frau Toni durfte nach einem erfüllten Leben mit 93 Jahren im August 2020 ihrem Ehemann folgen. Sie wird den Stettfeldern immer als eine herzensgute, rührige und fröhliche Frau in Erinnerung bleiben. (Foto 12)

Ehepaar Mönig, um 2000. Foto: Mönig

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