Aus unserer Reihe: „Gebäude, die Geschichte(n) erzählen!“  Heute: Ubstadt, Anwesen ehemaliges Gasthaus „Zum Engel“ – Schluss

Archiv Heimatverein

Nach Genehmigung der amerikanischen Militärbehörde durfte 1946 der Gemeinderat den Bürgermeister erstmalig selbst wählen. Die Wahl fiel auf Artur Harlacher, Schwiegersohn des 1933 von den Nazis abgesetzten Bürgermeisters Ludwig Weiler und nun wieder Betreiber des wiedereröffneten „Engels“. Dieses Amt führte er von 1946–1948 zusätzlich zur Gastwirtschaft und der Landwirtschaft aus. Die große Scheune, ehemals eine Tabakscheune, zeugte noch vom Tabakanbau. Auch Weinbau, eine eigene Schlachtung und eine große Landwirtschaft gehörten in der damaligen Zeit dazu, wenn man Selbstversorger war.

Trotz der Überfüllung seines eigenen Anwesens, das bis zum Dach mit „Einquartierten“ belegt war, stellte die Aufgabe von Artur Harlacher als Bürgermeister, die ankommenden Flüchtlingsströme gerecht auf die Ubstadter Bevölkerung zu verteilen, keine leichte Aufgabe dar. Viele Bürger waren nicht einverstanden mit Artur Harlachers Entscheidungen und so blieben nach der Wiedereröffnung der Gastwirtschaft viele Gäste aus. Es blieb also weiterhin eine entbehrungsreiche Zeit für die junge Familie und wieder war die Landwirtschaft die einzige Möglichkeit, sich zu versorgen (siehe Foto).

Dennoch, wie es im Leben nun mal ist, muss man voranschreiten. Selbst die Ubstadter, die glaubten, in der Nachkriegszeit nicht gut von Artur Harlacher behandelt worden zu sein, fanden sich allmählich wieder im „Engel“ ein, genossen ihr „Viertele“, tranken Bier und nahmen eine Kleinigkeit zu sich.

Zu dieser Zeit war die Wirtschaft der Ort, an welcher Neuigkeiten ausgetauscht, Geschäfte abgewickelt, Freunde getroffen und Geselligkeit gepflegt wurde. Zur Zerstreuung und Unterhaltung der Bewohner und der Dorfjungend wurden Skat- und Schachturniere abgehalten und der neu erworbenen Billardtisch war der Hit. In den 50er und 60er Jahren, die Deutschland ein Wirtschaftswachstum ohne Gleichen bescherten, gönnte man sich auch wieder etwas und ein sonntäglicher Besuch in der Gastwirtschaft gehörte für viele Familien schon zum guten Ton. Auch das Mittagessen war dabei ein neuer Luxus, den sich nun viele erlauben konnten. Und sollte der Geldbeutel etwas knapper sein begnügte man sich auch mit einem Vesper.

In der Faschingszeit fanden im „Engel“ regelmäßig Kappenabende statt und nachdem auch noch ein Fernsehgerät angeschafft wurde, waren selbstverständlich die Fußballübertragungen ein Publikumsmagnet. Die Dorfjugend traf sich im „Engel“, bevor es mit dem Bus zum Auswärtsspiel ging. Als großer Fußballfan spendierte der „Engelwirt“ ab und zu auch das Bus-Geld, sollte einem Jugendlichen dieses fehlen.

Der Dorfjugend fielen so manche Streiche ein und sie waren dem Alter entsprechend immer hungrig. So trug es sich öfter zu, dass die „Engelwirtin“ das mitgebrachte Geflügel in der Gasthausküche den jungen Burschen zubereitete. So geschah es eines Tages, dass man ihr nach einem Auswärtsspiel einen Hahn mitbrachte und ihr während der Zubereitung auffiel, dass er dem eigenen Tier im Stall ähnlich schaue. Am nächsten Morgen stand dann fest, es war der eigene Hahn. Doch solche Streiche konnten der Familie keine Sorgen machen, man schimpfte aber am Ende musste man doch über die Dreistigkeit lachen.

Während die Eltern den Arbeiten in der Landwirtschaft nachgingen, passte die junge Mechtild auf die Wirtschaft auf und schenkte Getränke an die durstigen Heimkehrer vom Feld aus. Zu ihren Aufgaben gehörten auch das Herrichten der vier Fremdenzimmer mit insgesamt sieben Betten und das Frühstück für die Pensionsgäste, das diese in der Gaststube einnahmen.

Bevorzugte Speisen waren in den 50er Jahren Rippchen mit Sauerkraut, Bratwürste und Schnitzel jeweils mit Brot. In späteren Jahren wurden dann aufwändigere Gerichte wie das „Biffdeg“ (Rumpsteak) mit Beilagen das Highlight.

Eine schöne, aber auch arbeitsreiche Zeit erlebten die Mitarbeitenden des „Engels“, wenn zur Erntezeit die Mähdrescherfahrer aus dem Stuttgarter Raum ihre Unterkunft bei ihnen bezogen. Ab ca. 1957 bis zu Beginn der 1970er Jahre standen die Bauersleute Schlange, um ihre Ernte rechtzeitig und trocken nach Hause zu bringen. In dieser Zeit entstanden viele Freundschaften mit den Mähdrescherfahrern, die zum Teil noch bis heute bestehen.

Im Übrigen kehrten im „Engel“ auch sehr gerne Monteure, Außendienstmitarbeiter und Reisende ein und genossen die bequemen Fremdenzimmer und das üppige Frühstück.

Nach dem überraschenden Tod von Artur Harlacher am 31.03.1957 wurde der Wirtschaftsbetrieb durch die Witwe Anna Harlacher geb. Weiler, ihrer Tochter Mechthild und deren Mann Josef Zindl (1934–2011) weitergeführt. Josef Zindl, schenkte an der Theke aus, bediente die Gäste und sprang auch schon mal beim Skat ein, fehlte der dritte Mann.

Nachdem Anna Harlacher bereits fünf Jahre später ihrem Ehemann folgte, übernahm 1963 deren Sohn Artur Harlacher mit seiner Frau Ingrid geb. Reißlehner (*1938) den „Engel“. Artur Harlacher war leidenschaftlicher Koch und Metzgermeister, der zuvor in Karlsruhe und Bruchsal arbeitete. Wegen der umfangreichen Umbau- und Renovierungsarbeiten blieb die Gaststätte bis 1964 geschlossen. Dank der überragenden Kochkünste der jungen und sehr engagierten Wirtsleute wurde der „Engel“ anschließend zu einer beliebten und weit über Ubstadt hinaus bekannten Wirtschaft. Mechthild Zindl widmete sich ab dieser Zeit wieder ihrer eigenen Familie.

Im Jahre 1987 wurde eine weitere Renovation des Hauses in Angriff genommen: Im Rahmen der Ortskernsanierung Ubstadt erhielt das Haus einen Fachwerkaufsatz, der auf der alten Bausubstanz aufbaute. Darüber hinaus wurde die gesamte Fassade farblich neugestaltet, wobei auch die zur Gaststätte gehörenden Wirtschaftsgebäude mit eingeschlossen waren. Der „Engel“ übernahm damit im Blick auf die Dorfsanierung eine Pilotfunktion und war im Ortskern von Ubstadt ein besonderer Blickfang.

Nach dem Tod der beiden Wirtsleute Artur Harlacher 2006 und dessen 2. Ehefrau Irma Reinelt (1936–2019) wurde das Anwesen an einen Bauträger verkauft. Damit ging die Ära „Engel“ zu Ende. Erhalten werden konnte nur der Torbogen, der nach der städtebaulichen Neubebauung einen würdigen Platz erhalten soll.

Autorin: Beate Harder

Quellen und Fotos aus:

Geschichte der Gemeinde Ubstadt von Gustav Schulz

Ubstadt – Pforte zum Kraichgau von Karl Serden

 

 

 

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