Die Elektrizität kommt aufs Dorf – Teil 1 Januar 1921 – Inbetriebnahme der Stromversorgung in Zeutern

Stromleitung und Halterung am Gasthaus „Zum Engel“, 1920er Jahre (Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Karlsruhe 498-1 Nr. 3241).

Bernhard Stier und Otto Zimmerer

Strom und die Nutzung in unseren Haushalten sind für uns Menschen eine Selbstverständlichkeit. Dabei ist es gerade mal 100 Jahre her, als unsere Dörfer hier im Kraichgau und der Hardt elektrifiziert und an das Stromnetz angeschlossen wurden. Diesem Thema sind unsere Mitglieder Bernhard Stier und Otto Zimmerer für unseren Ortsteil Zeutern auf die Spur gegangen. Der Heimatverein Ubstadt-Weiher e.V. dankt den beiden Autoren sehr herzlich für ihr Engagement und ihren Bericht, der einen Einblick in die Entwicklungshistorie der Stromversorgung insbesondere von Zeutern gibt:

Der Beitrag schildert den Aufbau der Elektrizitätsversorgung in Zeutern. Das Beispiel dieses Dorfes mit etwa 300 Wohngebäuden, 390 Haushalten und gut 1.600 Einwohnern im Jahr 1913 steht für die landwirtschaftlich-kleinbäuerlich geprägten Gemeinden in der damals noch weitgehend ‚stromlosen‘ Region nördlich von Karlsruhe. Für die Elektrizitätsversorger war der dünn besiedelte und verbrauchsschwache ländliche Raum zunächst weniger attraktiv als Städte und Industrieregionen. Erst die staatliche Elektrizitätserzeugung im Murgwerk bei Forbach im Nordschwarzwald (in Betrieb seit Ende 1918) und die Elektrizitätsverteilung durch den Staat brachten den elektrischen Strom aufs Dorf. Das bedeutete besseres Licht in Haushalt, Scheune und Stall sowie mit dem Elektromotor in beliebigen Stärken eine praktische Antriebskraft für landwirtschaftliche Arbeiten – zum Schneiden von Futter und Häckseln von Rüben, zum Antrieb von Dreschmaschinen und Schrotmühlen oder zum Pumpen von Wasser und Gülle – sowie für das dörfliche Handwerk der Schreiner, Wagner und Schmiede, Metzger und Bäcker. Die folgenden Ausführungen basieren auf der einschlägigen Akte des Gemeindearchivs. Für Stettfeld ist ebenfalls eine Akte aus den Anfangsjahren der Elektrizität überliefert – und zeichnet ein ähnliches Bild –, nicht jedoch für die Gemeinden Ubstadt und Weiher.

Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts der elektrische Strom die Beleuchtung im öffentlichen Raum und im privaten Haushalt sowie die Kraftversorgung von Handwerk und Industrie revolutionierte, kamen die Segnungen dieser „neuen Culturmacht“ – so wurde die Elektrizität damals wahrgenommen –, zunächst den größeren Städten und dichter besiedelten Regionen zugute. Im Amtsbezirk Bruchsal, der ungefähr das Gebiet des späteren Landkreises umfasste, existierten vor dem Ersten Weltkrieg nur elektrische Anlagen einzelner Industriebetriebe und lokale Werke wie z.B. Mühlen, die mit Wasserturbine und Generator Strom erzeugten, aber noch längst kein flächendeckendes Stromnetz. 1913 bestand nur in fünf der 30 Gemeinden eine öffentliche Elektrizitätsversorgung, und von den insgesamt 71.000 Einwohnern des Bezirks besaßen nur knapp 12.000 bzw. 16,3% Zugang zur Elektrizität – diese Zahl sagte allerdings noch nichts darüber aus, wie viele Haushalte sie auch tatsächlich nutzten. Selbst die Amtsstadt Bruchsal besaß kein Elektrizitätswerk; dahinter stand die Sorge der Verwaltung, dass der elektrische Strom dem stadteigenen Gaswerk Konkurrenz machen könnte.

Der Amtsbezirk Bruchsal vor 1914: ein weitgehend ‚stromloser‘ Raum

Im nördlich anschließenden Amtsbezirk Heidelberg bestand dagegen in 16 von 37 Gemeinden mit 84% der Einwohner eine Möglichkeit zum Stromanschluss. Ausgehend vom Elektrizitätswerk in Wiesloch entstand hier seit 1898 eine elektrische „Überlandzentrale“; ihr Netz reichte bis nach Kronau, Langenbrücken und Östringen. Im Raum Bruchsal erhielt die Elektrifizierung erst durch die Weichenstellungen der Landespolitik kurz vor dem Ersten Weltkrieg den entscheidenden Impuls: Ende 1912 beschloss der badische Landtag den Bau eines großen Wasserkraftwerks an der Murg oberhalb von Forbach im nördlichen Schwarzwald. Die staatliche Elektrizitätserzeugung sollte dafür sorgen – so das Ergebnis der parlamentarischen Debatte –, dass die „elektrische Energie zu möglichst billigen Preisen den weitesten Kreisen zugänglich gemacht“ wurde. Dahinter stand die Kritik an der bis dahin üblichen Vergabe von Wasserkraftkonzessionen an Privatunternehmen und an der ‚kapitalistischen‘ Ausnutzung des Stromgeschäfts.

Im Sommer 1912, während das Gesetz über das Murgwerk im Landtag beraten wurde, erkundigte sich das Bezirksamt Bruchsal beim Bürgermeisteramt in Zeutern ebenso wie bei den anderen Gemeinden des Bezirks nach bestehenden Planungen, fragte den voraussichtlichen Bedarf von Landwirtschaft und Gewerbe ab – und verbot trotz des deutlich geäußerten Wunschs nach Einführung der Elektrizität zunächst einmal den Abschluss von separaten Konzessionsverträgen mit Stromversorgern. Denn geplant – und letztlich auch sinnvoll – war, die ganze Region flächendeckend und einheitlich zu erschließen. Damit war die Gemeinde auch daran gehindert, auf ein seit März 1911 vorliegendes Angebot der „Rheinischen Schuckert-Gesellschaft für elektrische Industrie AG“ (RSG) aus Mannheim, einer Tochtergesellschaft des Siemens-Schuckert-Konzerns, einzugehen; diese wollte in Bruchsal ein Kohlekraftwerk bauen und von dort aus die umliegenden Dörfer elektrifizieren. In Karlsruhe dagegen planten die zuständige Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaus und ihre 1912 eingerichtete „Abteilung für Wasserkraft und Elektrizität“, den Strom aus Forbach zu verwenden und ihn über eine gemischtwirtschaftliche, von der RSG und den Städten im Versorgungsgebiet getragene Gesellschaft zu vertreiben. Diese kam allerdings nicht zustande: Nach jahrelangen Verhandlungen scheiterte das Projekt an den Forderungen der RSG, während sich im Lauf des Kriegs die Knappheit an Kohle und Petroleum – damals das wichtigste Leuchtmittel – immer mehr verschärfte. Hinzu kam eine kriegsbedingte stärkere Einmischung des Staates in wirtschaftliche Fragen und schließlich der politische Linksruck in der Novemberrevolution, der eine große Sozialisierungseuphorie nach sich zog: Im Dezember 1918, kurz nach Inbetriebnahme des Murgwerks, erteilte die provisorische Regierung allen privatwirtschaftlichen Plänen eine Absage und entschied, „daß der Vertrieb des Murgstroms … vom Staat selbst in die Hand genommen werden solle.“

Vom staatlichen Kraftwerksbau zur staatlichen Elektrizitätsverteilung

Die neue, staatliche „Landeselektrizitätsversorgung“ bestand aus dem Forbacher Murgwerk und der „Stromvertriebsstelle“ in Karlsruhe als Netzbetrieb. An diese wandte sich im Juli 1919 der Gemeinderat mit der Bitte um Anschluss und verwies zur Begründung darauf, „daß am hiesigen Platze eine große Lederfabrik[,] mehrere Mahlmühlen u. ein Sägebetrieb, Öhlmühlenbetrieb und sonstige Geschäfte sind, welche den Anschluß dringend benötigen; auch ist es in Anbetracht der schwierigen Beschaffung des Leuchtmaterials dringender Wunsch der gesamten Bevölkerung[,] baldmöglichst Wandlung zu schaffen.“ Die entscheidende Abstimmung im großen Bürgerausschuss fiel deshalb mit 36:1 deutlich aus, ebenso die über den abzuschließenden Stromlieferungsvertrag.

Zur Enttäuschung der Gemeinde wurde Zeutern angesichts der bestehenden Materialknappheit jedoch erst in das „Bauprogramm“ für 1920 aufgenommen. Der Leitungsplan sah den Anschluss über eine Stichleitung vor, die bei Weiher von der 110.000 V-Haupttrasse zwischen Karlsruhe und Mannheim-Rheinau abzweigte, über Stettfeld führte und in Zeutern an der Transformatorenstation in der Althohlstraße endete, wo die Mittelspannung auf die 380/220 Volt des Ortsnetzes gebracht wurde. So erreichte man einen günstigen Übergabepunkt etwa auf Höhe der Ortsmitte, ohne das bebaute Gebiet mit mehreren Tausend Volt durchfahren zu müssen. Die von der Gemeinde geforderte Verbindung nach Odenheim, um auch den Ortsteil Waldmühle mit der Lederfabrik und der Böhmschen Mahlmühle anzuschließen, wurde von der Stromvertriebsstelle jedoch abgelehnt. Denn Odenheim sollte über die zweite „Hochspannungshauptleitung“ von Bruchsal zur Überlandzentrale Meckesheim-Bammental angebunden werden und erhielt wegen der Bedeutung dieser Trasse auch zeitlichen Vorrang – sehr zum Unmut der Zeuterner. Der Stromlieferungsvertrag vom März 1920 sah zunächst einen Baukostenzuschuss der Gemeinde von zehn Mark je Einwohner vor, um die kriegs- und inflationsbedingte Teuerung aufzufangen. Er wurde aber noch vor Unterzeichnung auf 40 Mark angehoben. Bei etwa 1.600 Einwohnern machte das 64.000 Mark aus. Einen Monat später waren daraus schon 88.000 Mark geworden; sie sollten durch einen „ausserordentlichen Holzhieb“ (70.000 M) und aus Überschüssen der örtlichen Sparkasse (18.000 M) bestritten werden. In diesem Gesamtpreis für die Gemeinde war für jeden Hausanschluss ein Betrag von 25 Mark einkalkuliert. Wenn sich der Eigentümer sofort für den Strombezug entschied und die Zuführung keinen besonderen Aufwand erforderte, bekam er den Anschluss bis zum Stromzähler also kostenlos und musste nur die Installation im Haus bezahlen. Höhere Kosten – etwa für längere Zuleitungen – wurden allerdings in Rechnung gestellt. Wer am Haus einen Dachständer oder Wandhalter für die Stromleitung akzeptieren musste, bekam 40 Mark vergütet.

Aufbau und Inbetriebnahme des Ortsnetzes

Im Frühsommer 1920 begann der Bau von Zuleitung und Ortsnetz. Die Gemeinde hatte für „Unterbringung und Verpflegung des die Anlagen erstellenden Arbeitspersonals zu sorgen“ sowie die Anfuhr des Materials von der nächstgelegenen Station der Staatsbahn, also von Ubstadt oder Langenbrücken, zu organisieren – die bewilligten Sätze: „für Gittermaste pro 100 kg 1,40 Mk, für Holzmaste pro Stück 2,60 Mk., für sonstige Baustoffe pro 100 kg 0,50 Mk.“ Die Herstellung des Ortsnetzes wurde in 5 Baulose aufgeteilt, bei denen zwar die Mannheimer BBC mit 40% den größten Anteil erhielt, aber auch kleinere Handwerksbetriebe aus den umliegenden Ortschaften (Bruchsal, Langenbrücken, Eppingen) berücksichtigt wurden. In Zeutern selbst gab es damals noch keinen Elektroinstallateur.

Zur Aufstellung der Strommasten auf privaten Ackerflächen musste die Zustimmung der betroffenen Grundstückseigentümer eingeholt werden und jeweils ein Duldungs- bzw. Pachtvertrag gegen geringe Entschädigung geschlossen werden; für das laufend erforderliche „Ausästen“ von Obstbäumen und Freihalten eines Mindestabstands von vier Metern zur Stromleitung wurden einmalige Zahlungen bewilligt. Und schließlich machten sich Landes- und Reichspolitik angesichts der politisch unruhigen Zeit jetzt schon Gedanken über die Sicherheit der Stromleitungen: „Von besonderer Bedeutung“, so das Bezirksamt im Oktober 1920 an die Gemeinde, „ist der Schutz der Hochspannungsleitungen. Im Fall größerer Unruhen, bei denen die Gegner des Staats mit Anwendung des Terrors arbeiten, ist es anderwärts schon öfters vorgekommen, dass die Hochspannungsleitungen und Umformer beschädigt worden sind.“ Eine seit Herbst 1919 reichsweit aufgebaute „Technische Nothilfe“ – der Vorläufer des heutigen Technischen Hilfswerks – „wird den Betrieb in den Kraftwerken bei Arbeitseinstellungen weiterführen.“ Für die Bewachung der Leitungen sollten die Gemeinde freiwillige „Nothelfer“ aufrufen.

Je weiter das Jahr vorrückte, desto drängender wurden die Nachfragen von Gemeinderat und Bürgermeister in Karlsruhe. Wegen Lieferschwierigkeiten beim Transformator verschob sich der Termin mehrfach, aber am 21. Januar 1921 war es schließlich soweit: Zur „Inbetriebnahme des elektrischen Ortsnetzes Zeuthern“ versammelten sich Vertreter der Karlsruher Oberdirektion, der Baufirmen und der Gemeinde „vor der Transformatorenstation. Nach Besichtigung derselben punkt 2 Uhr nachmittags zog Bürgermeister [Andreas] Kunz den Schalter hoch und das Ortsnetz war unter Strom. Alsdann begab man sich nach dem Rathause[,] wo dann sofort die Einschaltung der Straßenbeleuchtung vorgenommen wurde. Auch wurden am gleichen Abend noch sämtliche Wirtshäuser und einige Privathäuser unter Strom gesetzt … Im Gasthaus z. Engel versammelte man sich zu einem gemütlichen Abend[,] woselbst auch die Musikkapelle mitwirkte und so die Feier vervollkommnete“. Eine Woche später berichtete auch die Regionalpresse über das Ereignis und über die „100. Gemeinde Mittelbadens …, die vom Murgwerk mit elektrischer Energie gespeist wird.“

Schluss folgt.

 

 

 

 

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