Aus der Reihe „Handel und Handwerk im Wandel der Zeit“ – Teil 1 Heute: Schuh- und Modehaus Michenfelder in Zeutern

Kapellenstraße 1940. Foto: Familie Michenfelder

Erneut konnte der Heimatverein Ubstadt-Weiher e.V. die Geschichte eines Geschäftes in Ubstadt-Weiher, Ortsteil Zeutern, zusammen mit dem ehemaligen Inhaber Reiner Michenfelder aufschreiben, und so für die Nachwelt erhalten und Einblicke in die damalige Zeit geben. Der Heimatverein dankt Herrn Reiner Michenfelder für dieses Interview und unserem Vorstandsmitglied Beate Harder, die dieses geführt und den Bericht erstellt hat.

Wenn auch Sie dazu beitragen möchten, dass altes Handwerk und die Geschichte unserer ehemaligen Geschäfte in Ubstadt-Weiher nicht vergessen werden, so würden wir uns freuen, wenn Sie mit uns Kontakt aufnehmen.

„Bei‘s Fridolin‘s…“ Schuh- und Modehaus in Zeutern!

Wie viele andere Jungen seiner Generation war der Zeuterner Bauernsohn Fridolin Michenfelder (1889 – 1967) nach Abschluss der Volksschule 14-jährig in der elterlichen Landwirtschaft beschäftigt. Um ein eigenes Auskommen zu haben, begann er 1908 bei der Zementwarenfabrik Stumpf eine Lagertätigkeit, die er bis 1912 ausübte.

Seinen Traum, herrschaftlicher Diener zu werden, konnte Fridolin Michenfelder von 1913 -1915 verwirklichen, als er die Diener-Fachschule in Köln besuchte. Anschließend war er als Hausdiener unter anderem im Hause des Freiherrn von Fürstenberg in Köln beschäftigt.

Im Jahr 1915 traf ihn die Einberufung zum Heeresdienst des Deutschen Kaiserreiches. Der Erste Weltkrieg wurde von 1914 bis 1918 in EuropaVorderasien, AfrikaOstasien und auf den Ozeanen geführt. Etwa 17 Millionen Menschen verloren durch ihn ihr Leben. Er begann am 28. Juli 1914 mit er Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien, der das Attentat von Sarajevo vorausgegangen war.

Fridolin Michenfelder kam bei der Schlacht bei Cambrai in Nordfrankreich in englische Gefangenschaft. Hier arbeitete er in der Schuhwerkstatt und erlernte das Schuhmacherhandwerk. Solchermaßen ausgebildet fasste er den Entschluss, sollte er gesund wieder in die Heimat kommen, eine Schuhmacherei und Schuhgeschäft zu gründen.

Kurz nachdem der 1. Weltkrieg am 11. November 1918 mit dem Waffenstillstand von Compiègne endete, durfte der junge Fridolin Michenfelder auch wieder in seine Heimat zurückkehren.

1922 war es dann soweit: Fridolin heiratete seine Braut Luise geb. Stiehl (1899 -1980), die Tochter einer alteingesessenen Zeuterner Familie. Von Luises Großeltern erhielten sie ein Haus in der Kapellenstraße, die Lage in der Ortsmitte erwies sich als äußerst günstig für ein Geschäft. So eröffnete das junge Paar am 05. Juni 1922 ein Schuhgeschäft. Da kein Ausstellungsraum vorhanden war, wurden die Schuhe in der „Guten Stube“ des jungen Paares angeboten und verkauft.

Die Nachkriegsjahre waren für Deutschland und damit auch für das junge Gründerehepaar sehr schwierig. Direkt nach dem Sturz des Kaiserreichs hatte das besiegte Deutschland kein Staatsoberhaupt und keine Verfassung. Dazu kamen schwere wirtschaftliche, soziale und finanzielle Probleme wie die Inflation.

Die deutsche Inflation von 1914 bis November 1923 war eine radikale Geldentwertung. Ursache war die massive Ausweitung der Geldmenge durch den Staat in den Anfangsjahren der Weimarer Republik aufgrund der hohen Reparationszahlungen.

Auch Fridolin Michenfelder war durch die hohe Inflation gezwungen, immer kurzfristiger und schneller neue Ware zu beschaffen. Mit dem Fahrrad wurden die Schuhfabriken in Wiesloch angefahren und die Ware gleich auf dem Gepäckträger mitgenommen. Kamen die Arbeiter mit ihrem vom Arbeitgeber ausgezahlten Geld, um schnellstmöglich Schuhe zu kaufen und damit Realwerte zu erwerben, konnte es sein, dass durch die galoppierende Inflation deren Geld schon nicht mehr ausreichte, um das Gewünschte zu erwerben. Ebenso kam es vor, dass Fridolin mit dem eingenommenen Geld kurze Zeit später beim Großhandel durch die rasanten Preissteigerungen nicht mehr einkaufen konnte.

Am 15. November 1923 wurde die Inflation mit der Einführung der Rentenmark (wertgleich mit der späteren Reichsmark) beendet. So war für die Familie Michenfelder nun auch im beschaulichen Zeutern ein Auskommen nur möglich, weil zusätzlich zum Geschäft noch eine Landwirtschaft sowie Obst- und Weinbau betrieben wurde. Mit Sparsamkeit und großem Arbeitseinsatz konnten diese Aufbaujahre gemeistert werden, zumal die kleine Familie um zwei Kinder angewachsen war. Nach der Tochter Teresia (1923 – 2005) folgte der erste Sohn, Josef (1924 – 2012).

In der Folgezeit machte der junge innovative Geschäftsmann Bekanntschaft mit einem Schuhmachermeister, dessen Arbeitgeber in Heilbronn gerade in Konkurs gegangen war. Schnell beschlossen die beiden, zusammen einen Neuanfang in Zeutern zu versuchen. Und so wurde am 14. Juli 1926 an das Bad. Bezirksamt Bruchsal ein Baugesuch für den Bau einer Schuhmacherwerkstätte mit Verkaufslokal eingereicht und von der Baubehörde genehmigt.  Der Bauleiter Maurer Franz Theilacker aus Zeutern realisierte den Anbau mit einer Größe von ca. 100 Quadratmetern. Der zur Kapellenstraße liegende Teil des neuen Gebäudes diente als erweiterter Verkaufsraum, im hinteren Teil wurde die Schuhfabrikation mit den Maschinen aus der in Konkurs geratenen Firma eingerichtet.

Leider musste die Produktion, die ausschließlich Kinderschuhe für die nähere Umgebung herstellte, nach kurzer Zeit wegen Schwierigkeiten in der Badisch-Schwäbischen Zusammenarbeit aufgegeben werden. Mit ein paar Maschinen betrieb man die Schuhreparaturwerkstätte weiter, nahm Textilien in das feste Sortiment mit auf. Damit konnten anschließend gute Umsätze erzielt werden.

Da die Wohnräume für die mittlerweile um zwei weitere Kinder (Palottinerpater Martin 1928 -1991) und Trudbert (1932-1982) angewachsene Familie zu klein wurde, beschlossen sie, 1940 das Wohnhaus zu erweitern.

Der weitere Aufschwung des nun auf Schuhe und Textilien jeder Art spezialisierten Geschäfts wurde allerdings durch die verehrenden Kriegsjahre des Zweiten Weltkriegs ausgebremst.

Josef Michenfelder, ältester Sohn der Familie, der mittlerweile eine kaufmännische Lehre bei der Schuhfabrik Raupp & Co in Karlsruhe-Hagsfeld abgeschlossen hatte, wurde im Juni 1942 zum Militärdienst eingezogen. Bei der Luftwaffe wurde er zum Bordfunker ausgebildet und kam nach Auflösung der Flugstaffel im November 1944 zu den Bodentruppen, wo er den Rückzug aus Ungarn miterlebte. Kurz vor Kriegsende, im März 1945, kam er verletzt in das Marinekurlazarett in Garmisch-Patenkirchen, von wo aus er im Juli 1945 in die Heimat entlassen wurde.

Mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht endeten die Kampfhandlungen in Europa am 8. Mai 1945.

Beim Einmarsch der Franzosen 1945 in Zeutern verloren viele Menschen, so auch die Michenfelders, ihre gesamten Wertgegenstände durch plündernde Soldaten. Es wurde geraubt, was nicht Niet- und Nagelfest war, Maschinen, Wertsachen, das Warenlager, private Wäsche, Kleider und Haushaltsgegenstände. Was nicht mitzunehmen war, wurde verwüstet und zerstört.

Der Familie stand, wie den meisten Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg, ein mühseliger Wiederaufbau bevor. Tatkräftig und voller Energie wurde das Geschäft erneut aufgebaut und mit neuen Lieferanten aus dem Württemberger Raum das Sortiment erweitert. Nach dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs und dem Elend der unmittelbaren Nachkriegszeit entwickelte sich das Geschäft in der Folgezeit immer besser.

Der rapide in den 1950er Jahren einsetzende wirtschaftliche Aufschwung bezeichnete man mit dem Schlagwort „Wirtschaftswunder“. Es beschrieb das unerwartet schnelle und nachhaltige Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Wirtschaftswunder verlieh den Deutschen ein neues Selbstbewusstsein, das auch im beschaulichen Zeutern angekommen war.

Zeitzeugen beschreiben die Ehefrau des Gründers Fridolin, Luise Michenfelder, als hervorragendes Verkaufstalent. Die überaus zierliche und schlanke Frau brachte die Ware gezielt an die Kunden und bewerkstelligte es immer wieder, dass auch Zusatzkäufe getätigt wurden.

Der Wohlstand der Wirtschaftswunderjahre war auch im Kraichgau-Dorf Zeutern angekommen und Sohn Josef Michenfelder wandelte auf Freiersfüßen. Obwohl seine Auserwählte, Hildegard Reiser (*1935), Landwirts- und Winzertochter auch aus Zeutern mit ihren Eltern häufig Kunde „bei‘s Fridolins“ waren, trafen sich die jungen Leute zum ersten Mal 1951 am Baggersee in Weiher. Als die 17-jährige Hildegard zur Winzerprinzessin gekrönt wurde, war Josef ein häufiger und gerne gesehener Gast bei den Veranstaltungen in Wiesloch.

Da die Gesundheit von Josefs Mutter Luise nicht sehr stabil war und sie häufig kränkelte, kam von Seiten der Eltern die Bitte, doch baldmöglichst zu heiraten. Im Jahr 1953 gaben sich Josef und Hildegard dann das Ja-Wort. Hildegard war durch die weiterführende Schule im „Sancta“ in Bruchsal und einer anschließenden Bürotätigkeit in Karlsruhe bestens auf die Arbeit im Familienbetrieb vorbereitet. Sie war schnell eine große Stütze und Entlastung für die Schwiegermutter im Geschäft, die sich nun auch mehr auf die Haushaltsführung konzentrierte.

Gleichzeitig trat Josef als Teilhaber in das Schuh- und Textilgeschäft des Vaters ein, bei dem er bereits seit Jahren mitgearbeitet hatte.  Am 01. Januar 1953 unterzeichneten Vater und Sohn einen Vertrag zur Gründung einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes mit zwei gleichberechtigten Gesellschaftern.

Fortsetzung folgt.

 

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