Aus unserer Reihe: „Gebäude, die Geschichte(n) erzählen!“ Heute: Ubstadt, Anwesen ehemaliges Gasthaus „Zum Engel“ – Teil 1

Foto: Familie Harlacher

Die Heimatkundler Eduard Deutsch, Karl Serden und Gustav Schulz haben unter anderem mit der Erforschung der Geschichte der Gaststätten in Ubstadt eine fundamentale Arbeit geleistet. In ihren Heimatbüchern können wir alle wesentlichen Fakten dazu nachlesen. Daher beschränken wir uns heute nur auf einen kurzen geschichtlichen Überblick und wollen den Geschichten der Menschen, die im letzten Jahrhundert im „Engel“ gelebt haben, mehr Raum geben. Vor allem Mechthild Zindl geb. Harlacher, Enkelin des ersten Besitzers der Familie Harlacher, hat uns dabei unterstützt. Wir danken ihr vielmals für die Informationen über das Leben im „Engel“ im 20. Jahrhundert.

Das Gasthaus „Zum Engel“ wird erstmalig im Schatzungsbuch der Gemeinde Ubstadt von 1756 erwähnt. Hier heißt es „Georg Wilhelm Schwartz, eine halbe Hausgerechtigkeit an der mittleren Straße, die Wirtschaft zum Engel genannt.“ Der in dieser Passage erwähnte Georg Wilhelm Schwartz gilt als Stammvater der Familie Schwartz. Er war Bäcker und stammte aus Langenbrücken. Georg Wilhem Schwartz erwarb die Grundstücke Andreasplatz 8 und 10 sowie Stettfelder Straße 2. Auf dem Grundstück Andreasplatz 10 errichtete er ein Gebäude, dessen Schlussstein des Türeingangs die noch in jüngster Zeit gut lesbaren Buchstaben und Zahlen „G W Sch 1738“ trugen.

Georg Wilhelm Schwartz betrieb die Gastwirtschaft bis zu seinem Tod am 29. Oktober 1777. Kurze Zeit übernahm seine Witwe das Gasthaus, bis sie es wegen ihrer Verheiratung an den Stiefsohn Daniel Schwartz, einen Küfer, abgeben musste. Daniel trat die Wirtschaft 1781 an seinen Bruder Georg Adam Schwartz, einen Bäcker ab. Dieser baute den „Engel“ um und ersetzte einen Teil des Fachwerkhauses durch eine Steinwand. Auf dem neu errichteten Torbogen lies er sein Monogramm, die Jahreszahl und sein Berufszeichen, eine Brezel, darstellen: „G A Sch 1810“.

Das 19. Jahrhundert ist gekennzeichnet durch häufige Besitzwechsel aufgrund von Todesfällen innerhalb der Familie. Die letzten Besitzer der Gastwirtschaft dieses Jahrhunderts waren Andreas und Maria Blum, die diese bis ins hohe Alter betrieben. Wirt Andreas Blum starb 84-jährig im Jahr 1893. Seine Witwe führte sie bis zu ihrem eigenen Tod im Jahr 1900.

Da keiner der Erben die Gastwirtschaft übernehmen wollte, wurde sie versteigert und ging an den Meistbietenden: Leopold Harlacher (1868–1932), Landwirt und Ratsschreiber aus Ubstadt (siehe Foto). Er betrieb die Wirtschaft zusammen mit seiner Ehefrau Elisabeth geb. Beyer (1871 – 1930) 28 Jahre lang. 1928 übertrug der bisherige „Engel-Wirt“ seinem Sohn Franz Artur (1900–1957) und dessen Ehefrau Anna geb. Weiler (1901–1963) die Wirtschaft.

Das Ehepaar Franz Artur und Anna Harlacher führten die Gastwirtschaft ab 1928 weiter. Trotz der Weltwirtschaftskrise konnten die beiden gute Erträge erzielen. Auch die Gästezimmer im oberen Stock waren gut frequentiert.  Die beiden Kinder, Mechthild Erna (*1934) und Artur Ludwig (1936–2006), wuchsen mitten in der Wirtschaft auf und waren von früh auf bereits in den Betrieb integriert. Frau Mechthild Zindl geb. Harlacher, älteste Tochter der Familie, beschreibt in ihren Erinnerungen das Leben und Arbeiten im „Engel“ im 20. Jahrhundert.

Vor dem 2. Weltkrieg beherbergte das Anwesen einige Zeit einen durch Emma Knebel geb. Harlacher, Schwester des „Engel“-Wirts, betriebenen Lebensmittelladen.

Schwere Zeiten kamen auf Franz Artur Harlacher in den Jahren des Nationalsozialismus zu. Da er parteilos war und auch bleiben wollte, ereilte ihn ein Berufsverbot und er musste die Gaststätte während des Krieges geschlossen halten. Nur durch den gleichzeitigen Betrieb der Landwirtschaft konnte die Familie ihr Auskommen halten.

Im weiteren Verlauf des Krieges wurden in den, der Gaststätte angeschlossenen Fremdenzimmern „Fliegergeschädigte“, also Opfer von Bombenabwürfen untergebracht. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges auch Heimatvertriebene und Flüchtlingsfamilien.

Auch der Soldat und Zahnarzt Oskar Hertwig und seine Familie, die aus Schlesien durch die Russen vertrieben wurden, waren im „Engel“ einquartiert. Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg praktizierte er dort zwei Jahre unter äußerst bescheidenen Bedingungen im Gang und dem Vorraum zur Wohnung, bis er zunächst in Ubstadt und anschließend in Bruchsal eine eigene Zahnarztpraxis eröffnete.

Auch Dr. Günter Wenzel sen., praktischer Arzt, und seine Frau Charlotte, beides Breslauer Flüchtlinge, kamen 1945 nach Ubstadt und erhielten im „Engel“ ein Zimmer. Sie waren regelmäßig mit dem Fahrrad in der näheren Umgebung unterwegs und organisierten sich Einrichtungsgegenstände für eine Praxis, die im Gastraum gelagert wurden. Hier hielt er auch seine Praxisstunden für die Patienten ab.

Weitere Flüchtlinge wie die alte Dame Frau Schubert mit Schwiegertochter und zwei Kindern fanden im „Engel“ eine kleine, aber sichere Unterkunft.

Nach den schweren Kriegsjahren führte Lisel Junghans aus Odenheim im Nebenzimmer des „Engel“ mehrere Jahre einen kleinen provisorischen Frisörbetrieb.

Autorin: Beate Harder

Fortsetzung folgt

 

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