Aus der Reihe „Handel und Handwerk im Wandel der Zeit“ – Schluss Heute: Schuh- und Modehaus Michenfelder in Zeutern

Foto: Familie Michenfelder

Beste Erinnerungen an „s‘ Fridolin’s“ und die unglaubliche Auswahl und den guten Service hat auch Theodor Stengel, Ortsteilvertreter von Zeutern im Heimatverein. Er kann sich noch erinnern, dass er als kleiner Bub seinen Vater begleiten durfte, der Zeit seines Lebens genau einmal im Jahr eine neue „Kapp“ und eine „Samathose“ (Cordhose) bei Michenfelders erwarb. Dies war übrigens der einzige Einkauf, der Herr Stengel Senior allein tätigte. Dabei war auch noch Fridolin Michenfelder bis in die 1950er Jahre selbst im Geschäft und kümmerte sich um die männliche Kundschaft.

Geöffnet hatte man das Geschäft unter der Woche von 7.00 Uhr bis zum Einbruch der Dunkelheit. Besonders nach der Morgenandacht fanden sich regelmäßig einige Kunden zum Einkauf ein. Samstag war bis in den frühen Nachmittag geöffnet, Sonntag war zwar Ruhetag, dies bedeutete jedoch nicht, dass keine Kundschaft kam. Da man bei „Fridolin“ auch das „letzte Hemd“, also Sterbebekleidung kaufen konnte, war es durchaus üblich, dass mitten in der Nacht die Glocke läutete und die Katholischen Schwestern, die Beistand bei einem Todesfall leisteten, Sterbebekleidung besorgten.

Wegen der knappen Ausstellungsmöglichkeit für die angebotenen Waren boten die Michenfelders einen besonderen Service an: nachdem Hildegard bereits 1958 mit 23 Jahren den Führerschein erworben hatte, chauffierte sie kaufwillige Damen nach Kirrlach zur Damenbegleitungsfabrik Becker. Josef dagegen fuhr mit den Herren zu Joba, ebenfalls eine Bekleidungsfabrik in Kirrlach.

Zeitzeugen beschreiben Hildegard Michenfelder als stets freundliche, zuvorkommende und äußerst kompetente Geschäftsfrau, die jeden Kunden auf das Beste betreute. Ihr Gatte, Josef Michenfelder, ein ruhiger, überlegter und freundlicher Geschäftsmann war ebenso stets um die Zufriedenheit seiner Kunden bemüht. Er widmete sich hauptsächlich dem Einkauf und der Abwicklung der Buchführung, war aber auch jederzeit im Geschäft mit tätig, wo er sich um die Belange der männlichen Kundschaft kümmerte.

Die ohnehin beengten Wohnverhältnisse, in denen sich die Eltern und Josef und Hildegard befanden, Wand an Wand schliefen und eine Küche zusammen nutzten, wurden spätestens nach der Geburt der beiden Söhne Reiner (*1955) und Ralf (*1960) unhaltbar und es wurde neuer Wohnraum geschaffen. So entschloss sich die Familie, die alte Scheune abzureißen. Durch die Hinzunahme eines leerstehenden Lagerraumes konnte sowohl die Wohnung als auch die Verkaufsfläche auf über 100 Quadratmeter erweitert werden.

Nun war die Firma Michenfelder in Zeutern Vollversorger mit Bekleidung, Schuhen, Wäsche, Sportsachen und Gardinen. Sie hatte einen sehr guten Ruf. Auf Anfrage durch die Zeuterner Nähschulschwester, erweiterten die Michenfelders das Sortiment auch gerne um Stoffe, die die jungen Frauen in der Nähschule zu modischer Bekleidung verarbeiteten. Ein weiterer Erwerbszweig war nun auch der Verkauf von individuellen Bettfedern mit Inlett. Die Kunden konnten unter mehreren Qualitäten wählen und Hildegard Michenfelder befüllte das gewünschte Inlett mit einem Sauggerät.

Eine weitere Erweiterung erfolgte 1966 mit einem Anbau von 90 Quadratmetern. Gleichzeitig übergab Fridolin Michenfelder seinem Sohn Josef nun die alleinige Geschäftsführung und zog sich nach und nach aus dem Unternehmen zurück.

Die Kundenschaft im aufstrebenden Modehaus Michenfelder kam nun aus ganz Ubstadt-Weiher, dem gesamten Kraichgau, Odenheim und vielen angrenzenden Ortschaften.  Als Lieferanten hatte man renommierte Bekleidungsfabriken in ganz Deutschland, wie beispielsweise die Firma Berk aus Heidelberg (später Betty Barclay Kleiderfabrik GmbH) gewonnen. Schuhe bezogen Michenfelders von dem Hersteller Gabor, Rieker und Elefanten für Kinderschuhe. Ein weiterer wichtiger Verkaufszweig war das große Angebot an Arbeitskleidung und -schuhen. Es konnte von der Latzhose über die Arbeitsjacke bis zu den Stiefeln alles hier erworben werden.

Beim Spaziergang im Dorf gehörte ein Halt bei den Michenfelderschen Schaufenstern immer dazu. An Martini bei der Zeuterner Kerwe fand stets ein Sonderverkauf statt und es war auch am Kerwesonntag geöffnet, um der Kundschaft aus Nah und Fern Gelegenheit zu geben, zu Sonderpreisen einzukaufen.

Um der wachsenden Nachfrage gerecht zu werden und um den Verkaufsraum optisch ansprechender zu gestalten, wurde in den folgenden Jahren viel investiert: 1969 wurde die Schaufensteranlage erneuert und 1971 im Garten ein Neubau errichtet. So entstanden ein Wohnhaus, sowie ein Verkaufsraum von 65 Quadratmetern. Die gesamte Verkaufsfläche wuchs nun auf eine Fläche von 270 Quadratmeter an. Durch die größeren Geschäftsräume war es nun möglich, das Sortiment besonders auch im textilen Bereich zu erweitern. Der Eintritt in verschiedene Einkaufsverbände erleichterte dem Unternehmen den Einkauf, die Verkaufsförderung und die Betriebsführung.

Ein modischer Renner der frühen 70er Jahre war in den dörflich geprägten Gemeinden die überaus beliebte Kittelschütze. Aus strapazierfähiger Baumwolle in Uni oder bunten Mustern durfte sie in keinem Kleiderschrank fehlen.

Der stärkste Verkaufstag war nun der Samstag geworden, da immer mehr Frauen berufstätig waren und nur Samstag ihren Kaufwünschen nachgehen konnten.

Mit Sohn Reiner (*1955) stand auch bereits die nächste Generation bereit. Er wuchs zusehends in die Fußstapfen von Vater und Großvater hinein. Nach der Lehre zum Einzelhandelskaufmann bei der Firma Hertie GmbH in Karlsruhe, wurde er nach der Übernahme zum Substituten ausgebildet, wo er anschließend in dieser Position zwei Jahre in Frankfurt beschäftigt war. Im Jahr 1979 verließ er das Unternehmen und begann ein Studium an der Lehranstalt des Deutschen Textileinzelhandels in Nagold. Dort legte er 1981 die Prüfung zum Textilbetriebswirt ab und trat anschließend in das elterliche Geschäft ein.

Nach der Heirat von Reiner mit Andrea geb. Menrath (*1959) 1984 übernahm das junge Paar das Geschäft im Mietverhältnis. Auch in den folgenden Jahren wurde ein stetiges Wachstum erreicht. Durch die Verlegung des Schuhlagers konnte der Verkaufsraum für Schuhe vergrößert und neugestaltet werden. Im Garten wurden Garagen und gleichzeitig Kundenparkplätze errichtet, da nun immer mehr Kunden von außerhalb mit dem Auto kamen.

In den 80er Jahren beschäftigte das Unternehmen neben den mitarbeitenden Familienangehörigen Reiner, Andrea, Josef und Hildegard, eine Vollzeitkraft, eine Teilzeitkraft und eine Auszubildende.

Werbung betrieb das Unternehmen in den regionalen Zeitungen, Prospekten und Festschriften der Vereine.

Kurz nachdem Reiner das Unternehmen übernommen hatte, hielt auch die elektronische Buchführung ihren Einzug

Auch in den 90erJahren tätigte die Unternehmerfamilie weitere Umbaumaßnahmen. Das in der Zwischenzeit lehrstehende Wohnhaus wurde abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Hierdurch entstand im Erdgeschoß zusätzliche Verkaufsfläche von ca. 90 Quadratmetern, ebenso im Obergeschoß, das zur Hälfte als Lager genutzt wurde. Im Anbau wurden eine Toilettenanlage und im Obergeschoss ein Büro eingerichtet. Im Zuge dieser Baumaßnahmen wurde die gesamte Inneneinrichtung sowie die Schaufensteranlage neugestaltet. Im Jubiläumsjahr 1997 konnte man auf einer Gesamtverkaufsfläche von ca. 400 Quadratmeter Mode für Damen, Herren und Kinder anbieten. Nun waren neben Reiner und Andrea Michenfelder zwei Vollzeitkräfte, zwei Halbtagskräfte und eine Aushilfskraft beschäftigt.

Besonders gefiel der Kundschaft, dass es jederzeit möglich war, eine Auswahl an Kleidung mit nach Hause zu nehmen und nach der Anprobe wieder zurückzubringen. Obwohl seit der Anfangszeit immer Umkleidekabinen vorhanden waren, bevorzugten doch einige Kunden diesen Service. Vor allem Senioren, die nicht mehr so mobil waren, nutzten dies, denn so konnten sie zu Hause in aller Ruhe anprobieren.

Reiner Michenfelder schaute in den 90er Jahren mit seinem breitgefächerten Angebot, eine Familie an einem Ort komplett einzukleiden, sehr optimistisch in die Zukunft. Er hoffte noch, dass das Geschäft einst durch seine Nachkommen in der vierten Generation fortgeführt werden könne. Strukturwandel, Änderung der Einkaufsgewohnheiten, Internethandel usw. haben allerdings dazu geführt, dass immer mehr örtliche Geschäfte schließen müssen.

Bei Michenfelders fiel diese Entscheidung 2022 nach 100 Jahren Geschäftstätigkeit, zusammen mit dem altersbedingten Ruhestand. Heute freuen sich Reiner und Andrea Michenfelder darauf, das Leben etwas entspannter anzugehen, sich die Arbeit in Haus und Garten einzuteilen und vor allem auf ihre neue Rolle als Großeltern.

Hildegard Michenfelder erfreut sich im Kreis ihrer Familie, den Enkeln und Urenkeln auch mit 88 Jahren noch einer stabilen Gesundheit und ist im Zeitalter des Internets mit Alexa, YouTube und WhatsApp bestens ausgerüstet.

Beate Harder, Weiher, Autorin.

 

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