Der Schmerzensfreitag in Zeutern

Foto: Peter Müller

Anlässlich des 800jährigen Bestehens der Zeuterner Kapelle „Zu den sieben Schmerzen Mariens“ haben wir im Jahr 2019 einen Bericht von Diakon Herbert Deris veröffentlicht (siehe unsere Homepage, unter Ortsteil Zeutern). Darin wurde erwähnt, dass in Zeutern am Schmerzensfreitag nicht gearbeitet wurde, die Schüler mussten nicht in die Schule und die Geschäfte blieben geschlossen. Dazu haben uns Anfragen, interessanterweise auch von jungen Menschen, erreicht, wie genau das denn damals war.

Wir freuen uns, dass sich unser Ortsteilvertreter von Zeutern, Theodor Stengel, bereit erklärt hat, hierzu seine Erinnerungen aufzuschreiben und danken ihm sehr herzlich für sein erneutes Engagement!

Hier sein Bericht:

„Der Schmerzensfreitag oder auch „Schmäzafraidich“, wie man ihn in Zeutern nennt, ist eng mit unserer Kapelle „Zu den sieben Schmerzen Mariens“ verbunden, in deren Schatten ich das Licht der Welt im Jahr 1951 erblickte, wo ich getauft wurde und wo ich 60 Jahre gelebt habe.

Bis fast in unsere heutige Zeit gilt dieser Tag für die einheimische Bevölkerung als höchster Feiertag im Jahr. Ehemalige Zeuterner Mitbürger, die auswärts verheiratet waren oder auch deren Nachkommen, kamen oft wieder nach Zeutern, um diesen Tag mitzufeiern. Selbst Familien, bei denen, wie früher manchmal üblich, am Karfreitag der Kuhstall neu getüncht werden sollte, hätten es als Todsünde betrachtet, am Schmerzensfreitag zu arbeiten. Auch die großen ortsansässigen Firmen hatten an diesem Tag geschlossen.

Ab dem Rathaus waren dann in der ganzen Kirchstraße zu beiden Seiten, ja sogar noch hinter dem „Schwenkelbrunnen“ und bis zur Pfarrmauer, Marktstände aufgebaut.

Nach Überlieferungen war es innerhalb unserer Familie zu Lebzeiten meiner Urgroßeltern Tradition, dass Tante Sophie, die Schwester meiner Urgroßmutter Rosa, mit ihrem Ehemann und einer ganzen Schar Kinder zu Fuß durch den Wald aus Östringen kamen. Beim „Zweitläuten“ soll meine Urgroßmutter jedes Jahr schon ganz nervös und erwartungsvoll auf der Treppe vor unserem Haus gestanden haben, den Eingang zur Franzosenhohl im Auge und bereit zum gemeinsamen Kirchgang.

In unserer alten Pfarrkirche St. Martin wurde dann mit vielen Messdienern ein sehr feierliches levitiertes Hochamt zu Ehren unserer Schmerzhaften Gottesmutter gehalten. Die Predigt hielt meistens ein eigens zu diesem hohen Feiertag eingeladener Priester oder ein Pater vom Kloster Waghäusel.

Als Kinder konnten wir natürlich das erlösende „Hoch gelobt und gebenedeit sei das Allerheiligste Sakrament des Altars von nun an bis in Ewigkeit“ kaum erwarten, denn wir hatten ja bereits die Spielwaren- und Süßwarenstände im Kopf, wo es auch die für Nicht-Zeuterner unaussprechbaren „Schmäzafraidichswärijl“ (Gutselstangen) gab. Trotz Fastengebot drückte man bei Süßigkeiten für uns Kinder  an diesem Tag ein Auge zu.

Da Eltern aber damals angeblich keine Geldbörse in die Kirche mitnahmen (das Opfergeld hatte man in der Hosentasche), gab es auf dem Heimweg vom Hochamt auch noch nichts, nur schauen und heimlich aussuchen, das konnte man schon.

Da der Schmerzensfreitag natürlich auf einen Freitag fiel und auch noch in der Fastenzeit lag, war in unserer Familie auf jeden Fall der Verzicht auf Fleisch angesagt. Und so gab es traditionell immer Dampfnudeln mit Kartoffelsuppe und Weinsoße. Die Dampfnudeln wurden zwar in Schweinefett ausgebacken, aber so genau nahm man es dann doch nicht mit den Geboten.

Nachdem wir Kinder von Eltern, Großeltern, Gedl und Pfeddarich (Patin und Pate) unser Marktgeld bekommen hatten, ging es in Richtung Kirchstraße. Hier gab es allerdings weder Karussell noch Schiffschaukel und auch keine Schießbuden. Hauptsächlich wurden, wie in einem Wallfahrtsort üblich, Devotionalien, das heißt Rosenkränze, Weihwasserkessel, Versehgarnituren, Heiligenstatuen, Kreuze, Gesangbücher und ähnliches angeboten, aber auch Stoffe und Geschirr. Auffällig waren die großen Heiligenbilder, die die Generation unserer Eltern noch im Schlafzimmer über den Betten hängen hatte.

In unserer Kinder- und Jugendzeit hatte auch die Familie Zimmermann vom Bahnhofs-Kiosk einen Spielwarenstand. Wasserpistolen lagen damals für uns stark im Trend.

Meine Nachbarin Hilda Schmitt geb. Weiß erzählte mir, dass zur Kaiserzeit, als Zeutern noch nicht elektrifiziert war, die Marktstände am Abend nur mit Kerzen oder Petroleumlampen beleuchtet waren. So kamen einige halbwüchsige Buben, für die Taschengeld damals sicherlich ein Fremdwort war, auf die Idee, die Kerzen eines Süßwarenstandes gleichzeitig auszublasen, um so schnell und unentgeltlich an diverse Leckereien zu kommen. Gedacht, getan. Der völlig überraschte und in diesem Moment gänzlich hilflose Standbesitzer soll gebetsmühlenartig immer wieder wiederholt haben: „Buben bleibt mir ehrlich, Buben bleibt mir ehrlich.“

Ob ihm dies geholfen hat, ist nicht mehr nachzuvollziehen, aber bestimmt haben die Süßigkeiten hervorragend geschmeckt.

Leider nahmen die Marktstände seit den frühen 1970er Jahren kontinuierlich ab und irgendwann gab es nur noch den Verkauf von Selbstgestricktem unserer hiesigen Frauengemeinschaft sowie einen einzigen Marktstand, den der Firma Trauth aus Herxheim mit hellen und dunklen Schaumküssen.
Außerdem zauberte das „Forum Älterwerden“ mit Unterstützung der Frauengemeinschaft für Senioren aus allen Ubstadt-Weiherer Ortsteilen im Pfarrzentrum ein köstliches Mittagessen.

Schade, dass in unserem schönen Ortsteil Zeutern der Schmerzensfreitag als lokaler Feiertag nicht mehr begangen werden kann, zumal wir heute verschiedene kleine Märkte ohne jeglichen überlieferten Hintergrund haben.“

Theodor Stengel im März 2022

 

 

 

Right Menu Icon