Die Elektrizität kommt aufs Dorf – Schluss Januar 1921 – Inbetriebnahme der Stromversorgung in Zeutern Bernhard Stier und Otto Zimmerer

Zwei Dachständer, Grabenstraße Ecke Wolfgangstraße vor dem Anwesen Knaus am 15.5.1921, also wenige Monate nach Inbetriebnahme des elektrischen Ortsnetzes. Das Datum ist durch die abgebildete Hochzeit belegt (Aufnahme: Archiv Heimatverein).

Die Gründung des „Badenwerks“ und der ‚elektrische Alltag‘ in Zeiten der Inflation

Neben den Gebieten „Unterbaden“ (Neckartal-Bauland) und „Oberbaden“ (rund um den nördlichen Teil des Bodensees) bildete „Mittelbaden“ zwischen Achern und Bruchsal den dritten Schwerpunkt der Landeselektrizitätsversorgung. Und hier war der Ausbau im Sommer 1921 mit 140 fertiggestellten von insgesamt 150 Ortsnetzen so gut wie abgeschlossen, während das in den beiden anderen, allerdings sehr viel weitläufigeren Gebieten mit ihren zahlreichen Klein- und Kleinstsiedlungen noch längst nicht erreicht war. So verfügte der Bodenseebezirk nur über 30% der Einwohner von „Mittelbaden“, hatte aber beinahe ebenso viele Ortsnetze (135 gegenüber 150). Im Juli 1921 wurde die staatliche Stromversorgung in eine Aktiengesellschaft überführt, um die Kapitalbeschaffung für den weiteren Ausbau zu erleichtern und die Vermögenswerte, d.h. Kraftwerke und Netze, in den finanziell und politisch unsicheren Zeiten – erinnert sei an das Problem der Reparationsverpflichtungen – vom Staatshaushalt zu trennen. Allerdings wurde per Gesetz festgeschrieben, dass die neue „Badische Landeselektrizitätsversorgung AG“, bald unter dem Namen „Badenwerk“ bekannt, auf ewige Zeiten in Staatsbesitz zu bleiben habe.

Zurück nach „Mittelbaden“ und zurück nach Zeutern: Wie sah es hier mit der Elektrizität im Alltag aus? Leider sind im Gemeindearchiv so gut wie keine Informationen über die privaten Stromverbraucher – Anzahl der Kunden, typische elektrische Ausstattung und Anwendungen, Stromverbrauch etc. – überliefert. Sicher ist jedoch, dass angesichts der Kosten an allen Enden gespart wurde, so wie auch die Gemeinde selbst sparen musste: Das Schulhaus erhielt in jedem der vier „Schulsäle“ eine relativ starke Hängelampe sowie im Treppenhaus zwei Pendelleuchten, aber offenbar kein elektrisches Licht in den anderen Räumen. Die „Kinderschule“ in der Kappelgasse, deren elektrische Ausstattung ebenfalls aktenmäßig belegt ist, wurde mit insgesamt sieben Glühbirnen versehen, davon eine zu 40 und sechs zu 30 Watt. Ähnlich sparsam fiel die Installation im Rathaus selbst, im Spritzenhaus und im Farrenstall aus, während die Pfarrkirche, deren Ausstattung von der Gemeinde bezahlt wurde, aufgrund ihrer Größe einen höheren Aufwand erforderte.

Das wichtigste Thema war natürlich der Strompreis: Er setzte sich beim Licht für Privathaushalte aus einer Grundgebühr je nach Zahl der Lampen und Steckdosen [!] sowie aus dem Arbeitspreis je Kilowattstunde zusammen. Für gewerblichen Betriebe mit hoher Benutzungsdauer galten reine Zählertarife mit gestaffelten Rabatten; dazu gehörten auch Wirtshäuser. In Sonderfällen waren Pauschaltarife ohne Zähler möglich, die nur nach Stärke der Lampen und nach der Jahreszeit abgerechnet wurden; das verleitete natürlich zum Missbrauch. Wie wirksam die Vorschrift war, „mit der Beleuchtung sparsam umzugehen“ und nur die angemeldeten Lampen zu betreiben, sei dahingestellt. Beim Kraftstrom – er wurde nicht wegen der Spannung, sondern aufgrund des abweichenden, gleichmäßiger verlaufenden Lastprofils unterschieden und war günstiger – richtete sich die Grundgebühr nach der Leistungsaufnahme; vor allem aber galten Sperrzeiten während der abendlichen Lichtspitze, in denen die Motoren nicht benutzt werden durften bzw. die Kilowattstunde als eine Art Strafgebühr 70% teurer war. Der Strom für Gemeindegebäude wurde billiger abgegeben; das kam einer Konzessionsabgabe für die Benutzung der öffentlichen Wege gleich.

Strompreise zu nennen, macht immer nur im Vergleich zu den Löhnen und zu den Preisen anderer Verbrauchsgüter Sinn, aber das ist bei extremer und rasch verlaufender Preissteigerung so gut wie unmöglich. Spätestens mit Einsetzen der Hyperinflation seit Sommer 1922 und vor allem in der katastrophalen Endphase ab Juni/Juli 1923 verlor das Geld schneller an Wert, als das Badenwerk die Tarife anpassen konnte. In den Jahren 1920/21, als die Elektrizitätsversorgung aufgebaut wurde, lagen die Großhandelspreise für Industriegüter wie z.B. elektrische Ausrüstungen ‚nur‘ etwa 20 Mal höher als 1913; am Ende – im Herbst 1923 – betrugen sie das Zweihunderttausendfache. 1913 lag der Preis für die Kilowattstunde Lichtstrom bei ca. 40 Pfennig, im Februar 1923 kostete sie bereits 1.600 Mark, im Juni 4.320 M. Der als Referenzwert zugrunde gelegte Kohlenpreis, ein Versuch, in einem Chaos, in dem die Währung jede Aussagekraft verlor, noch irgendwie an realen Werten Orientierung zu finden, stieg allein in diesem Monat auf mehr als das Doppelte. Im August 1923 wurde deshalb auch Vorauszahlung eingeführt und die fällige Rechnung doppelt erhoben: Denn momentan, so das Badenwerk, „genießt der Abnehmer infolge des rapiden Markverfalls den erheblichen Vorteil, daß er den im Monat vorher verbrauchten Strom mit sehr stark entwertetem Geld begleicht, wodurch uns ein unerträglicher Geldentwertungsschaden erwächst.“ Ausgenommen waren jedoch Kirchen, karitative Einrichtungen, Kleinrentner, Sozialrentner, Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene.

Verbrauchsbeschränkungen und Stromsperren – die Verwaltung des Mangels

Neben der Preissteigerung bildete die Stromknappheit das dominierende Thema in den ersten Jahren des elektrischen Betriebs. Gegenüber der permanent wachsenden Nachfrage beeinträchtigte saisonaler Wassermangel die Erzeugung des Murgwerks; gleichzeitig litten die im Verbund mit dem Murgwerk arbeitenden Dampfkraftwerke in Achern, Karlsruhe und Mannheim unter extremer Kohleknappheit: Das Bergbaurevier an der Saar war durch den Versailler Vertrag unter französische Verwaltung gekommen, das Ruhrgebiet wurde im Januar 1923 von Franzosen und Belgiern wegen des Streits um die Reparationslieferungen besetzt. Verbrauchseinschränkungen und andere rigide Eingriffe waren die Folge: Schon im Februar 1921, keine vier Wochen nach Inbetriebnahme des Ortsnetzes, bemängelte die Mannheimer Landeskohlenstelle gegenüber dem Bürgermeisteramt Zeutern, dass beim „Kraftanschluss“ in der Metzgerei Essenpreis „der 4 P.S. Motor für die Metzgereimaschinen und den Schleifstein zu groß gewählt ist. Es genügt vollkommen ein 3 P.S. Motor. Wir können unter keinen Umständen zu starke Motoren genehmigen angesichts der ungünstigen Lage der Stromversorgung und der zahlreich bei uns vorliegenden Gesuche … Angesichts der sich immer mehr verschärfenden Stromnot können wir nicht gestatten, dass Maschinen gleichzeitig in Betrieb genommen werden und [bestehen darauf, dass] die Motorstärke nur so gewählt wird, wie sie unbedingt zum Antrieb der Maschinen benötigt werden.“

Jeder Verbraucher musste deshalb einem von der Kohlenstelle als Kontrolleur eingesetzten „Vertrauensmann“ Zutritt zu seinen elektrischen Anlagen gewähren. Dieser kritisierte im April 1921, dass auch „die Motore der Landwirte Karl Michenfelder und Küfermeister Max Zimmerer in Zeutern in Höhe von 3 PS zum Antrieb ihrer Kreissäge und Kelterei entschieden zu hoch gewählt sind. Es genügt hierzu eine Motorstärke von 2 PS, wie dies auch Versuche gezeigt haben.“ Die Betroffenen hatten jedoch Glück und bekamen wenige Wochen später eine Ausnahmegenehmigung, allerdings „unter den üblichen Vorbehalten/Stromreduktion oder Abschaltung bei erheblichen Kohlen- oder Wassermangel im Murgwerk und in den mit diesem zusammenarbeitenden Dampfzentralen“. Im Sommer des Jahres erhielt das Bürgermeisteramt schließlich folgendes Rundschreiben des Badenwerks: „Infolge der zurzeit herrschenden grossen Wasserklemme und der schlechten Kohlenlieferung der Dampfwerke ist äusserste Einschränkung in Bezug elektrischer Energie geboten. Es wird daher ersucht, die Straßenbeleuchtung in mondhellen Nächten bis auf weitere Mitteilung nicht mehr einzuschalten und die dortigen Bewohner darauf aufmerksam zu machen, dass äusserste Sparsamkeit zur Verhütung einschneidender Massnahmen unbedingt erforderlich ist. Mit Ausnahme von lebenswichtigen Betrieben wie Dreschmaschinen, Metzgereien und Bäckereien, die nicht mehr in der Lage sind, ohne maschinellen Betrieb auszukommen, dürfen in der Zeit von 7 vorm. bis 11 00 Abds. keine Motoren in Betrieb sein und ersuchen wir Sie, diese Massnahme durch die dortige Ortspolizeibehörde bekanntzugeben und überwachen zu lassen.“ Kaum war die Elektrizität eingeführt und teuer bezahlt, wurde ihre Benutzung also schon wieder drastisch eingeschränkt.

Normalisierung und rasche Elektrifizierung des ganzen Landes

Was damals ebenfalls zum elektrischen Alltag gehörte, waren Merkblätter und Rundschreiben „An unsere Stromabnehmer“: Sie gaben Tarifänderungen bekannt oder erklärten, wie mit „Zahlungsverweigerungen“ umgegangen werden sollte und dass das Werk auf Beschwerden, „der Zähler laufe zu rasch und es wäre nicht so viel Strom verbraucht worden“, gar nicht erst eingehen würde. Verhaltensvorschriften und Warnungen, „dass das Steigenlassen von Papierdrachen in der Nähe der Freileitungen des Badenwerks und ähnlicher Leitungen – wegen der damit verbundenen Lebensgefahr – verboten ist“, wurden regelmäßig am Schwarzen Brett ausgehängt und in der Zeitung veröffentlicht. Und anlässlich eines tödlichen Unfalls in Mutschelbach beanstandete das Badenwerk im Sommer 1925, dass auch in Zeutern „in einem großen Teil der elektrischen Anlagen provisorische Lampen aus meist ganz ungeeignetem Material, selbst in nassen Räumen, wie beispielsweise Kellern, Ställen, Höfen und dergl. Verwendung finden.“ Das würde im Versorgungsgebiet „durchschnittlich jeden Monat einen Todesfall zur Folge haben … auch aus dortiger Gemeinde ist uns ein Unglücksfall mit jedoch glücklicherweise günstigerem Ausgang bekannt geworden.“

Ab Dezember 1923 kostete die Kilowattstunde Lichtstrom 60, Kraftstrom 40 Pf. Das waren annähernd Vorkriegsverhältnisse – wie 1913 musste ein Facharbeiter in der Industrie für die Kilowattstunde Lichtstrom eine Stunde arbeiten, ein Hilfsarbeiter 80 Minuten. Dieser hohe Preis erklärt auch den sparsamen Umgang mit der Elektrizität, an den sich heute noch manche von ihren Eltern und Großeltern her erinnern: Wehe, wenn man das Licht unnötig ‚brennen ließ‘ – auf den Anachronismus dieses Ausdrucks, der an die Zeiten von Talgkerze und Petroleumlampe erinnert, sei dabei nur am Rande hingewiesen. In den 1920er Jahren hörten Stromsperren und Verbrauchseinschränkungen nach und nach auf, und seitdem breitete sich die Elektrizität im Haushalt wie im Gewerbe weiter aus. Ende 1924 bot das Badenwerk in einem Rundschreiben an alle Bürgermeisterämter sogar an, „minderbemittelten Verbrauchern“ Wasserkocher, Bügeleisen und andere kleine „Wärmegeräte“ günstig zu vermieten. Hinter dieser neuen Politik der Absatzförderung standen das große Ausbauprogramm, welches das Unternehmen ab 1924 begann, und die zu erwartenden Mengen an Elektrizität, die abgesetzt werden mussten: Errichtung der Schwarzenbachtalsperre als zweite Stufe des Murgwerks, Bau des Schluchseewerks im Südschwarzwald und des großen Laufwasserkraftwerks Ryburg-Schwörstadt am Hochrhein, Aufbau eines landesweiten Verbundnetzes und Anbindung an die Netze und Kraftwerke der Pfalzwerke, des RWE und der späteren EVS.

1929 war Baden vollständig elektrifiziert, und von den 2,3 Mio. Einwohnern des Landes mussten nur 2.486 in neun Dörfern – also etwa 0,1% – noch bis in die 1930er Jahre ohne elektrischen Strom auskommen. In Zeutern mit einem Bestand von knapp 400 elektrischen Anlagen nutzten mittlerweile so gut wie alle Haushalte die Elektrizität mit durchschnittlich 5,5 „Brennstellen“, d.h. angeschlossenen Lampen. Aber mehr als die Hälfte der Anlagen hatte keine Steckdose. Diesen ‚Nur-Licht-Nutzern‘ standen die ‚gemäßigt fortschrittlichen‘ Stromkunden gegenüber, die elektrische Bügeleisen und Radioapparate besaßen, während die kleine Avantgarde der weitgehend ‚Elektrifizierten‘ auch schon elektrische Kochtöpfe, Tauchsieder, Staubsauger, Heizkissen und Ventilatoren betrieb.

Quellen: Gemeinde Ubstadt-Weiher, Gemeindearchiv Zeutern, A 86: „Die Einführung elektrischer Energie, Stromlieferungsbedingungen, Lieferungsverträge, Schutz elektrischer Starkstromleitungen, Zulassung von selbständigen Elektro-Installateuren, 1911 – 1933“, hier auch alle Zitate; A 87: „Revision der elektrischen Anlagen“ [1936]. Literatur: Statistisches Jahrbuch für das Großherzogtum [ab Bd. 42: Land] Baden 40 (1913) ff.; Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 34 (1913) ff.; Bernhard Stier: Politische Steuerung großtechnischer Systeme. Elektrizität und Energiepolitik in Baden 1890–1935, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 142 (1994) S. 249–300.

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