Die Wendelinuskapelle – ein Kleinod im Lußhardtwald in Weiher – 1. Teil 

Foto: Viktor Hohl

Seit urdenklicher Zeit soll sich nach mündlicher Überlieferung hier im Weiherer Wald an einer Eiche eine Bildtafel des heiligen Wendelin befunden haben.

Um die Zeit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als der Wald hier mit den bruhrainischen Orten zum weltlichen Besitz des Hochstiftes Speyer gehörte, trieben die Bewohner der hiesigen Umgebung, mit Erlaubnis des Fürstbischofs, ihr Vieh unter Aufsicht eines dazu bestellten Hirten auf die Sommerweide in diesen Hochwald.

Der Wald war ein wertvoller Futterplatz für Kühe, Schafe, Ziegen und Schweine, die unter den Eichen einen gedeckten Tisch fanden. Die Tiere waren eine eminent wichtige Grundlage für die Existenz der Bevölkerung.

An einem heißen und auch sehr schwülen Tag um das Jahr 1760 zog plötzlich ein Gewitter von noch nie erlebter Heftigkeit, begleitet von einem rasenden Sturm, der die stärksten Stämme aus ihrer Wurzel riss und übereinanderwarf, über die Lußhardt. Beim Herannahen des Unwetters sammelte der Hirte – sein Name soll Mohler gewesen sein – die verängstigten Tiere um besagten Wendelinusbaum und empfahl sich und seine Lieblinge dem heiligen Wendelin.

Alle in der Nähe dieser Eiche umstürzenden Bäume fielen krachend nach außen, so dass nicht einmal ein herabfallender Zweig oder Ast die aus Angst zusammengedrängte Herde traf.

Kaum hatte sich das Unwetter verzogen, eilten die um ihren Viehbestand ängstlich besorgten Einwohner in den Wald. Schon von weitem hörten sie in Richtung der Wendelinuseiche das langgezogene Rufen der Hirtenschalmai. Sie versuchten nun, auf Umwegen zur Herde zu gelangen und fanden zu ihrer großen Freude den Hirten und seine um den Baum gescharte Herde wohlbehalten und unverletzt. Kein Stück Vieh war verlorengegangen und keines hatte auch nur die geringste Verletzung erlitten.

Durch die Erzählung dieses wundersamen Ereignisses, das sich in der näheren und weiteren Umgebung herumgesprochen hatte, vertiefte sich bei der Landbevölkerung des Bruhrains die Verehrung des heiligen Wendelin im Weiherer Wald.

In der Folgezeit richtete der besagte Hirte bei der damaligen Forstbehörde ein Gesuch ein, die hohe Erlaubnis zu erhalten, in die alte Eiche eine Nische einhauen und darin ein Bildnis des heiligen Wendelin aufstellen zu dürfen. Diese hohe Erlaubnis wurde erteilt und der Stamm mit der Nische steht heute noch in der Kapelle.

Und sowohl in Weiher als auch in der Umgebung wurde nunmehr der Wunsch laut, an der Stelle der mittlerweile verwitterten Eiche mit der eingehauenen Nische, darüber ein Schutzdach und darunter ein roh gezimmerter Betstuhl, eine Kapelle zu errichten.

Bereitwillig nahm der obere Forstbeamte von Girardi in Bruchsal die Sache in die Hand und erwirkte von der Großherzoglichen Oberforstdirektion in Karlsruhe die hoheitliche Erlaubnis zum Bau der Kapelle. Trotz der damaligen armen Zeit gaben die Bewohner von Weiher und den Nachbarorten gerne einen Beitrag zu deren Erstellung.

Der Bau der Kapelle in der Forstdomäne im Lußhardtwald wurde von der „Direction der Forst-, Berg- und Hüttenwerke“ genehmigt, und zwar mit Schreiben vom 8. April 1856, Nr. 4946. Diese Bewilligung wurde allerdings nur unter der Bedingung erteilt, dass die Kapelle der „Großherzoglichen Domäne Anwand“ sei und dass dieser die Verfügung über dieselbe jederzeit zustehe.

Die Lußhardt bildet eine eigene ärarische (= staatseigene) Gemarkung. Auch gehört das Stück Wald, auf dem die Kapelle steht, zu keinem Sprengel (= ein Gebiet, das von einem Bischof oder einem Pfarrer betreut wird – Verwaltungsbezirk oder Dienstbereich).

Um den wertvollen Teil der Bildeiche möglichst zu erhalten, wurde der Stamm etwas über Mannshöhe abgenommen und der Stumpf mit der heute noch vorhandenen Nische über dem Boden abgesägt. Heute noch zeigt der Altar den Baumstumpf, in dessen Aushöhlung die Sankt Wendelinusstatue mit dem Hirtenstab in der rechten Hand und dem Schäfchen zu ihren Füßen.
Darüber wölbt sich die abgerundete Chornische der Kapelle. Die Kapelle selbst zeigt sich als kunstloser Bau mit offenem rundbogigem Eingang und zwei Lichtöffnungen. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dem kleinen Bau ein verandaartiges, gedecktes Fachwerk vorgelegt, das niedere Gewölbe heraufgesetzt und eine zweite Fensterachse eingefügt. Um 1890 ließ Pfarrer Alexander Lienhard (Pfarrer in Weiher von Juni 1885 bis Juli 1896) die alte Wendelinus-Figur aus Stein aus dem Baum herausnehmen und durch eine neue, etwas ansehnlichere ersetzen.

Ortspfarrer Anton Schweickart (Pfarrer in Weiher von 1852 bis 1862) und die Großherzogliche Bezirksförsterei Bruchsal stellten über das Erzbischöfliche Dekanat St. Leon ein Erlaubnisersuchen an das Erzbischöfliche Ordinariat in Freiburg, die neu gebaute Kapelle einsegnen zu dürfen. Mit Datum vom 28. August 1857 kam aus Freiburg ein schriftlicher Beschluss an das Erzbischöfliche Dekanat St. Leon, dass aufgrund der schriftlichen Bittgesuche die kirchenobrigkeitliche Genehmigung zur Einsegnung der Kapelle erteilt wird und diese nach der Vorschrift des Diözesanrituals “Tom II – pag 48 et seg“ vorzunehmen ist. Dies bedeutet: 2. Teil von Rituale Segnungen Benedictionale Seite 48 ff = Segnung einer (privat gestifteten) Kapelle.

Man setzte voraus, dass für die bauliche Unterhaltung dieser Kapelle hinlänglich gesorgt ist und diese nicht zur Verletzung von Zucht und Sittlichkeit, zur Störung der gottesdienstlichen Ordnung in den Nachbargemeinden noch zur Pflege abergläubischer Meinungen missbraucht werde.

 

Schluss folgt.

Right Menu Icon