Franziskanerinnen vom Göttlichen Herzen Jesu aus Gengenbach von 1945 bis 1960 in Stettfeld

Quelle: Ortsbuch Stettfeld

Die älteren Einwohner von Stettfeld können sich heute noch kaum vorstellen, was gewesen wäre, wenn es in den Kriegs- und Nachkriegsjahren die Franziskanerinnen vom Göttlichen Herzen Jesu aus Gengenbach (siehe Foto) in Stettfeld nicht gegeben hätte. So gab es damals drei Schwestern im Ort: eine Nähschwester, eine Kindergartenschwester und eine Krankenschwester.

Die Stettfelder Nähschule war weit über die Grenzen von Stettfeld hinaus bekannt. Die meisten auswärtigen Näherinnen waren aus Weiher und Zeutern. Aber auch bei Frauen und Mädchen aus Tiefenbach und Hilsbach war die Stettfelder Nähschule sehr beliebt. Diese scheuten keine Mühe und kamen mit dem Entenköpfer (Nebenbahn) nach Stettfeld gefahren. Leiterin der Nähschule war die Nähschwester Valeres. Diese kleine zierliche Frau konnte sehr streng und resolut sein und duldete nicht, wenn geredet wurde. Wahrscheinlich konnte sie sich dann nicht genug konzentrieren. Die Nähschule begann um 14 Uhr und endete um 17 Uhr. Zum Beginn der Nähschule wurde gebetet: „Zur Arbeit gib uns deinen Segen, Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist, dann tu‘ ich alles Gott zur Ehre, was mein Beruf zu tun mich heißt. Mit Jesus im Herzen, Maria im Sinn, mit Jesus, Maria und Josef die Arbeit ich beginn.“ Zum Schluss der Nähschule um 17 Uhr wurde das Gebet „Der Engel des Herrn gebetet“.

Wenn eine Frau oder ein Mädchen am ersten Tag in die Nähschule ging, wurde ihr von Schwester Valeres ein nach ihren Körpermaßen gemessenes Schnittmuster angefertigt, das die Schwester aufbewahrte und bei Bedarf zum Zuschneiden eines Kleides hervorholte. Die Nähschule war im oberen Stockwerk des Josefshauses (siehe Foto), in dem sich auch die Wohnräume der Schwestern befanden. Wenn jemand vom Gang im Treppenhaus die Nähschule betrat, stand am Ende des Nähraumes ein großer langer Tisch, an dem sich die Näherinnen hintereinander anstellten, um die Dienste und die Beratung der Schwester in Anspruch zu nehmen. An manchen Tagen konnte es sein, dass bis zu 30 Personen die Nähschule besuchten und die Nähschwester ihre ganze Flinkheit und ihr Können einsetzen musste, damit jede Näherin einmal am Nachmittag in den Genuss ihrer Hilfe und ihrer Beratung kam. Um nicht immer alles in der Hand zu halten, konnten die Nähschüler ihre Utensilien auf dem Tisch ablegen. Es war eine Freude, der Nähschwester zuzusehen, wie sie als Linkshänderin mit ihrer langen scharfen Schere unheimlich flink die Kleidungsstücke zuschnitt. An manchen Tagen, wenn viele Mädchen und Frauen die Nähschule besuchten, waren die langen Wartezeiten schon ziemlich langweilig und irgendwann wagten manche Mädchen eine kleine Unterhaltung. Aber ein Blick von Schwester Valeres, so von unten herauf, und alle waren mucksmäuschenstill.

Schwester Valeres war gebürtige Karlsruherin, wo auch noch ihre alte, pflegebedürftige Mutter wohnte. Darum durfte die Nähschwester öfters nach Hause fahren, um ihre Mutter zu besuchen. Aus dieser Stadt brachte sie uns die modernsten Spitzenkragen und Spitzeneinsätze mit, die wir in Bruchsal nie bekommen hätten. Auch bekam sie hier die neueste Mode mit. Wir überließen immer der Nähschwester, wie unser Kleid aussehen sollte und es war immer viel schöner, als wenn wir es vorgesagt hätten. Wir sahen erst bei der Anprobe, wie unser Kleid einmal aussehen könnte. Ein Nachmittag in der Nähschule kostete damals 30 Pfennige. Wenn wir noch nicht lange in die Nähschule gingen, brauchten wir schon acht bis zehn Tage, sodass das Kleid dann 3 Mark kostete. Als wir später dann schon geübter waren, reichten uns meistens drei Tage, das waren 90 Pfennige. Wenn wir bedenken, dass ein Kleid damals bei einer guten Schneiderin 70 bis 80 Mark gekostet hat! Wenn ein Herrenhemd noch ganz gut und nur der Kragen kaputt war, wurde aus dem hinteren Unterteil ein neuer Kragen genäht und dann irgendein anderes Stück Stoff, das oft farblich überhaupt nicht passte, eingenäht. Aber ganz egal, niemand konnte es sehen, das Hemd war ja in der Hose drin. Als unser Jahrgang 1938 im Jahr 1952 aus der Volksschule kam, nähten wir zu dritt aus meiner Klasse unser Schulentlassungskleid in der Nähschule. Ein Mädchen bekam ihr Kleid von ihrer älteren Schwester genäht.
Wir haben Schwester Valeres auch von einer anderen Seite kennengelernt, nicht nur immer streng und ernst, sondern, dass sie bei bestimmten Anlässen auch laut und herzhaft lachen konnte. Zum Beispiel stand in der Ecke der Umkleidekabine eine Drahtpuppe, diese wurde im Ortsdialekt „Bawett“ (Dialektform von Barbara) genannt. Meistens wurde sie zum Abfüttern einer Jacke benötigt. Zur gleichen Zeit war eine Frau in der Nähschule, die auch Bawett hieß. Als eine Frau, die noch nicht so lange in der Nähschule war, die Hilfe der Schwester in Anspruch nahm, sagte diese: “Bringen Sie mir bitte mal die Bawett her.“ Sie ging zu dieser Frau, die Bawett hieß, und sagte zu ihr: “Ich soll Sie zur Schwester bringen!“ Die erschrockene Frau wusste gar nicht, was sie jetzt angestellt hatte. Als bei der Schwester das Rätsel aufgelöst war, da konnte sie schon einmal herzhaft lachen.
Die Stoffreste, die beim Zuschneiden anfielen, lagen neben der Schwester in einem Körbchen, wir durften uns da jederzeit bedienen und herausholen, was wir mochten. Da hat sich mit der Zeit ein sehr schönes Spiel entwickelt. Wir suchten uns immer die längsten und schmalsten Stücke heraus. Wenn sie nicht lang genug waren, wurden zwei zusammengenäht. Am Schluss der Nähschule um 17 Uhr, wenn gekehrt und alles aufgeräumt und auch das Abschlussgebet gesprochen war, versuchten immer ein paar Mädchen, jede der anderen ein langes, schmales Stoffstück an den Rocksaum zu stecken. Es musste darum lang sein, damit es nicht um die Beine herumbaumelte und sonst bemerkt wurde. Wenn wir dann durch den Ort liefen, um nach Hause zu gehen, haben wir uns immer gewundert, warum heute die Leute besonders nett und freundlich waren und sich auch noch umdrehten, bis uns irgendjemand darauf aufmerksam machte. Aber das schöne Spiel war bald beendet: Immer wenn wir von der Nähschule weggingen und wir hörten Schwester Valeres laut und herzhaft lachen, wussten wir, dass jetzt die Rocksäume abgesucht werden müssen und das schöne Spiel hatte keinen Reiz mehr. So aber haben wir mitbekommen, dass auch Schwester Valeres, wenn sie nicht in der Verantwortung war, ein sehr netter und fröhlicher Mensch sein konnte.

Autorin: Maria Staudt geb. Sapandowski

Fortsetzung folgt.

 

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