Von Beate Harder | April 2023 

Dem nicht Ortskundigen vollkommen unbekannt ist das „Allmegässl“ (Allmendgässchen) in Stettfeld. Versteckt zwischen den Hausnummern 23 und 33 in der Zeuterner Straße hat es sich seinen ursprünglichen dörflichen Charakter bewahrt.

Zeuterner Straße 31, Heute

Das Anwesen Zeuterner Straße 31, das sich in eben diesem „Allmegässl“ befindet, hatte ein langes und bewegtes Leben hinter sich, als es im Jahre 2012 in den Besitz unserer Mitglieder Angela und Jens Dänner kam. Das Ehepaar Dänner suchte schon eine ganze Weile nach dem „perfekten“ Haus für sich und fanden es in dem unscheinbaren alten Anwesen. Mit viel Fingerspitzengefühl und Sorgfalt renovierten sie das alte Bauernhäuschen und die dazugehörenden Baulichkeiten.

Vor der Renovierung.

Sie fanden ein aus Backstein gebautes Wohnhaus mit uralten Eichenbalken, die unzweifelhaft aus einer Fachwerkbebauung herrühren, vor. Das kellerlose Gebäude verfügt über umfangreiche Sandsteinfundamente, die sicherlich von einem viel älteren Vorgängergebäude stammen. Leider ist der Zweck, dem diese frühen Fundamente dienten, nicht mehr nachvollziehbar.

In der Scheune fand sich ein Gewölbekeller, der ursprünglich wohl zur Lagerung der Weinernte vorgesehen war und im 2. Weltkrieg gute Dienste als Luftschutzkeller für die Menschen der kompletten Zeuterner Straße leistete. Bis zu 25 Personen drängten sich in ihrer Not auf den wenigen Quadratmetern im alten Gewölbe. Der damalige Eigner, Otto Willhauck (1902 – 1984), hatte dafür eigens die Weinfässer entfernt und an der Rückseite des Kellers einen Fluchtweg geschaffen, der mit einem Schützengraben gesichert war.

Gewölbekeller in der Scheune.

Eine Geschichte aus eben diesen Tagen ist immer noch in den Gedanken der ehemaligen Bewohner: In den letzten Tagen des 2. Weltkrieges, als bereits die Franzosen und in deren Reihen die marokkanischen Soldaten in unsere Dörfer einmarschierten, herrschte große Angst unter der Bevölkerung. Besonders die Mädchen, Kinder und Frauen versteckten sich daher im Gewölbekeller der Familie Willhauck. Eine der Frauen, recht neugierig, schlich sich aus dem Kellergewölbe und wollte nachschauen, ob die Soldaten noch da sind. Leider machte sie dadurch einen der fremden Soldaten auf sich aufmerksam, konnte selbst aber flüchten. Der Soldat schaute daraufhin in den Gewölbekeller, aber als ihn Dutzende von hohläugigen Kindergesichtern anschauten, drehte er sich um und ließ den Schutzsuchenden ihren Unterschlupf.

Der Gewölbekeller ist sicher heute noch der ältere Teil des Anwesens, vermutlich stammt die erste Bebauung bereits aus dem 18. Jahrhundert. Darauf deutet auch ein Ortsplan aus dem Jahre 1758 hin, auf dem die Gasse bereits vollständig eingezeichnet ist. Es ist anzunehmen, dass Haus und Scheune mehrmals zerstört und wieder aufgebaut wurden. Die bei den Umbauarbeiten gefundenen Artefakte deuten zumindest auf eine sehr frühe Bebauung hin.

Einen besonderen Fund machten die Dänners im Jahre 2019, als sie bei Bauarbeiten in der noch nicht renovierten Scheune auf weitere Grundmauern stießen, die sie veranlassten, das Landesdenkmalamt einzuschalten. Bei der archäologischen Grabung wurde eine kleine Sensation zu Tage gefördert: Es wurden zwei Tonkrüge mit den Überresten von sogenannten „Nachgeburten“ sichergestellt. Im 16. und 17. Jahrhundert war es Brauch, die Placenta auf dem eigenen Anwesen zu bestatten, „wo weder Sonne noch Mond hin scheint“.

Das Anwesen befand sich nachweislich seit 1905 im Besitz der Vorfahren der Familie Willhauck. Ursprünglich erworben haben es Damian Wagner (1871 – 1945) und seine Ehefrau Elisabeth geb. Woll (1871 – 1925), die Großeltern von Franz Willhauck (1928 – 1977), dem letzten Besitzer. Er war verheiratet mit Paula geb. Wagner (1921 – 2011). Das Ehepaar Willhauck hatte das Haus von den Eltern, Otto Willhauck (1902 – 1984) und Emma geb. Wagner (1902 – 1978) übernommen. Es kann also festgestellt werden, dass das Anwesen beinahe 110 Jahre im Besitz der Familie Willhauck und ihrer Vorfahren war.

Dank der Forschungen unseres ehemaligen Ortsteilvertreters von Stettfeld, Alfons Woll, weiß man auch, dass das Anwesen 1754 auf einem Plan und 1756 erstmals im Schatzungsbuch der Gemeinde Stettfeld unter der Lagebuchnummer 198 aufgetaucht ist. 1756 ist ein Besitzer Michel Schmitt erwähnt. Es kann angenommen werden, dass zu dieser Zeit ein erstes Gebäude entstanden ist. In den Feuerversicherungsbüchern befindet sich ab 1821 regelmäßig ein Eintrag bezüglich der Familie Schmitt wegen Erbteilung. Immerhin befand sich das Anwesen beinahe 150 Jahre im Besitz dieser Familie Schmitt.

Die Schwester des letzten Besitzers, Luise Simon geb. Willhauck (*1934), erinnert sich noch gut und gerne an das Leben in der „Allmegass“. Auf dem beengten Raum des kleinen Häuschens erlebten sie und ihre drei Brüder eine freie und schöne Kindheit. Lebensmittelpunkt war die kleine Wohnküche mit der einzigen Heizquelle, dem Holzofen. Ziegen und Kleinvieh, ein großer Bauerngarten und eine kleine Nebenerwerbslandwirtschaft sicherten zusätzlich zum Haupterwerb des Vaters als Bahnangestellter die Ernährung der Familie.

Allmegässle, Blick zur Straße.

Das 5 x 13 Meter große Haus war in drei Räume unterteilt: Die zur Straße liegende Stube beherbergte das Schlafzimmer der Eltern und, mit einem Schrank als Abgrenzung, den Schlafraum der einzigen Tochter. Die drei Buben erhielten die hintere Stube als Schlafzimmer. Zwischen beiden Räumen war die Wohnküche, wo sich das eigentliche Familienleben abspielte. Kartoffeln für Mensch und Vieh wurden hier gekocht, im Winter wurden die Rüben dort aufgestellt, damit sie für das Vieh nicht zu kalt waren und es nicht erkrankte. Abends saß man um den Küchentisch, spielte Karten oder Brettspiele, bis man sich, wenn es Zeit war, zum Schlafen legte.

Das Anwesen befindet sich in unmittelbarer Nähe einer Quelle, dem „Allmendbrinnerle“, die in früherer Zeit zur Wasserversorgung der Menschen in den angrenzenden Straßen diente. Es ging damals unter den Kindern die Sage, dass der Storch die neugeborenen Kinder der Gemeinde aus dieser Quelle holt und sie in die Familien bringt. Die Reime „Storch, Storch guda, bring ma an Bruda“ oder „Storch, Storch beschda, bring ma a glone Schweschda“ kamen unzählige Male von den gläubigen Lippen der Stettfelder Kinder. Das versteckte „Allmegässl“ und das Gebiet um die Katzbach waren einst für die Kinder der Umgegend ein Spielplatz und ein geheimnisvoller Rückzugsort aus der Erwachsenenwelt.
In späteren Jahren besuchten häufig noch Kinder aus der Verwandtschaft und der Nachbarschaft Paula Willhauck im Gässl. Aus dieser Zeit haftet dem Haus noch heute der Name „De Paula ihra Heisl“ an.

Mit der Restaurierung durch das Ehepaar Dänner wurde Stettfeld ein bäuerliches Kleinod erhalten. Man fühlt sich in dem lauen Gässchen in der Zeit zurückversetzt und Geschichte wird spürbar, spätestens wenn man die Stufen des uralten Gewölbekellers hinab schreitet. Auch der Eintritt in den verwunschenen Garten über eine vermutlich römische Stufe, flankiert von mächtigen Sandsteintürgewändern, zeugt von der historischen Bedeutsamkeit des Anwesens.

Garten, heute.

Wenn man sehen möchte, wie unsere direkten Vorfahren gelebt haben, einfache Menschen, Bauern, Handwerker oder Tagelöhner, dann spricht dieses Haus Bände. Schlösser, Burgen und Herrschaftshäuser bilden nur einen kleinen Teil unserer Vergangenheit ab, die übergroße Mehrheit lebte in genau solchen Verhältnissen.

Herzlichen Dank an das Ehepaar Dänner, die auf Ihr Anwesen aufmerksam gemacht und auch umfassende Informationen dazu gegeben haben. Ebenso Frau Luise Simon für die Erinnerungen und unserem Mitglied Frau Maria Staudt für das Zusammenführen der Personen. Bei unserem Mitglied Alfons Woll bedanken wir uns für die Zurverfügungstellung seiner historischen Recherchen.
Autorin Beate Harder, Januar 2023

Fotos: Angela und Jens Dänner, Luise Simon

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