Der Heimatverein Ubstadt-Weiher e.V. konnte die Geschichte eines weiteren Handwerks in Ubstadt-Weiher, Ortsteil Weiher, zusammen mit dem ehemaligen Wagner Herrn Rudolf Barth aufschreiben und so für die Nachwelt erhalten und Einblicke in die damalige Zeit geben. Der Heimatverein dankt Herrn Rudolf Barth für dieses Interview und unserem Vorstandsmitglied Beate Harder, die dieses geführt und wie folgt aufgeschrieben hat.

 
„Holz im Blut“

Rudolf Barth, 1936 in Weiher in der Hauptstraße 29 in die herannahende Zeit des 2. Weltkrieges geboren, ergriff wie sein Vater, der leider 1941 bereits im Alter von nur 33 Jahre im Krieg gefallen war, den Beruf des Wagners.

Nach Beendigung der Volksschule im Jahre 1950 stand Rudolf Barth wie so viele andere junge Menschen kurz nach Beendigung des 2. Weltkrieges vor der Frage welchen Beruf sie ergreifen sollten in Zeiten, in denen Lehrstellen absolute Mangelware waren. Zunächst half er in der mütterlichen Landwirtschaft, bis durch die Bekanntschaft mit dem Wagner Paul Wiedemann aus Forst auch „Wagner-Paul“ genannt, die Möglichkeit einer Lehre gegeben war. Rudolf Barth begann im Frühjahr 1951 also eine Ausbildung zum „Wagner“. Täglich fuhr er mit dem Fahrrad bei Wind und Wetter in das benachbarte Forst und wurde hier in dem Beruf des Wagners ausgebildet. Einmal in der Woche besuchte er außerdem die Berufsschule in Bruchsal. Für den kargen Lohn von 3 DM pro Woche im ersten Jahr, 5 DM im zweiten und 8 DM im dritten Lehrjahr begann eine harte und körperlich anstrengende Ausbildung.

Im Berufsbild des Wagners steht vor allem die Fertigung, wie der Namen ja schon sagt, von „Wagen“. Für die Landwirtschaft wurde seit Jahrhunderten nach überlieferten Plänen Wägen für das Kuh- und Pferdefuhrwerk hergestellt. Vom Kastenaufbau über die Deichsel bis zu den anspruchsvollen Rädern fertigten die Wagner alles in Handarbeit, ausgerüstet mit Sägen, Hobel und Drechselmaschinen. Daneben stellten sie in nicht zu verachtendem Umfang Arbeitsgeräte für die Landwirtschaft wie Pflüge und Eggen her. Weitere landwirtschaftliche Gerätschaften, wie Leitern, Stiele für Äxte, Beile, Spaten und Hauen wurden ebenso hergestellt wie die aufwändigen Holzrechen.

Rudolf Barth erzählte lebhaft wie die einzelnen Teile gefertigt wurden: für einen Rechen wurde z.B. mit der Bandsäge ein 5 x 5 cm breiter Stab mit einer Länge von 1,80 Meter ausgesägt und mittels Ziehmesser gerundet. Anschließend benutzte man eine Ziehklinge zum Rundschleifen und Schmirgelpapier zum Glätten. Für die Zinken wurden Holzstäbe durch eine Vorrichtung mit dem Klopfholz geschlagen, um die Rundung zu erreichen. Diese wurden in das sogenannte „Rechenhaupt“, also die Querlatte eingeschlagen und anschließend auf die richtige Länge gesät und mit dem Schnittmesser angespitzt. Es war viel handwerkliches Geschick und vor allem Kraft nötig um dem sperrigen Werkstoff Holz die erwünschte Form zu geben.

Die enormen Belastungen, denen die Produkte des Wagners ausgesetzt waren, erforderte die sorgfältige Auswahl des Materials. Das Holz für die Verarbeitung kam aus dem heimischen Wald, dazu fuhr der Wagner mit dem Förster in das Revier, zusammen wurden die Bäume, hauptsächlich Esche, Eiche, Akazie und Rotbuche, ausgesucht und von den Forstarbeiter geschlagen. Das zähe Eschenholz eignete sich vorzüglich für die Herstellung von Speichen und Wagengestellen, für die Achsstöcke wurde Rotbuche verwendet. Abholen musste der Wagner die Stämme selbst, diese wurden aufgerissen, später auch aufgesägt und ein Jahr im Freien gelagert. Um den Abfall musste man sich keine Sorgen machen, freute sich doch die Hausfrau über schönes Holz zum Heizen und Kochen.

In den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, war die Hauterwerbslandwirtschaft bereits stark im Rückzug, die meisten Männer gingen zusätzlich zur Landwirtschaft noch in Betriebe arbeiten. In dieser Zeit erlebten auch Berufe wie der Wagner einen starken Wandel. Von der Fertigung von kompletten Wagen ging es immer mehr nur noch zu Reparaturarbeiten. Die einsetzende Serienfertigung und Spezialisierung einzelner Betriebe verdrängte den dörflichen Wagner immer mehr. Auch der Einsatz von gummibereiften Rädern anstatt der herkömmlichen eisenbereiften Holz-Speichenrädern engte das Arbeitsgebiet immer mehr ein.

In diese Zeit, als Rudolf Barth seine Ausbildung in Forst machte, fiel also gerade dieser große Strukturwandel. Es wurde kaum noch etwas neu hergestellt, die Hauptarbeit betraf das Reparieren und Ausbessern vorhandener Gerätschaften. Sein Lehrmeister war zusätzlich mit der Brennholz-Bandsäge in der ganzen Gegend unterwegs, weil der Wagnerbetrieb nicht für die gesamte Familie ein Auskommen bot. Aus diesem Grunde war auch eine Weiterbeschäftigung Rudolf Barths nach seiner Ausbildung im Sommer 1954 nicht möglich.

Doch nun erlebte das Nachkriegsdeutschland einen mächtigen Aufschwung, überall wurden Leute mit entsprechender Ausbildung und vor allem Fleiß gesucht. Rudolf Barth kann sich rühmen, beim Wiederaufbau des Bruchsaler Schlosses beteiligt gewesen zu sein. Berufsfremd arbeitete er 3 Jahre bei der Firma Stumpf als Einschaler und Betonbauer. Einige Jahre war er auch bei der Raiffeisengenossenschaft in Weiher beschäftigt.

1961 heirateten Rudolf Barth und Franziska geb. Händel, 1962 wurde der Sohn geboren und man plante einen Hausbau. 1966 wechselte Rudolf Barth zur gerade eröffneten Firma ICI in Östringen, was eine enorme Lohnverbesserung mit sich brachte. Hier war er 12 Jahre beschäftigt aber seine große Liebe zum Holz zog ihn weiter.

1978 begann daher seine Berufstätigkeit bei der Firma Holzindustrie Bruchsal. Deren Wurzeln gehen zurück auf eine 1875 gegründete Daubenhauerei für Bierfässer. „Holzindustrie“ hieß das Unternehmen seit 1926, vier Jahre später wurde es von Daimler-Benz übernommen und zum großen Zuliefer-Unternehmen mit zeitweise mehr als 2000 Beschäftigten ausgebaut. 1998 ging die Holzindustrie an die Dräxlmayer-Group, die die Sparte 2010 an die Beteiligungsgesellschaft Mutares abstieß, die 2013 an die chinesische NBHX weiterverkaufte, die eigenen Angaben zufolge weltweit führend in innovativen Oberflächen für hochwertige Fahrzeuginterieurs ist.

Hier konnte Rudolf Barth schnell zeigen, dass die Liebe zum Holz und deren Verarbeitung noch immer in seinem Blut steckte. Schnell konnte er sich zum Vorarbeiter hocharbeiten, war bei mehreren Neueinführungen federführend und wurde innerbetrieblich weitergebildet. Die Herstellung von feinen Furnierteilen für die gehobene Automarke mit Furnierpresse, Bandsägen und Poliermaschinen war für ihn sehr zufriedenstellend.

Und wieder gab es einen großen Umbruch in der Produktionswelt, durch die zunehmende Globalisierung wurden immer mehr Produktionsbetriebe in Länder mit geringerem Lohnniveau verlegt, auch die Firma Holzindustrie verlegte große Teile der Produktion nach Rumänien, was zwar der Qualität abträglich war, aber die Produktionskosten maßgeblich senkte. Rudolf Barth hatte das Glück, diese Zeit nur noch kurz erleben zu müssen, da er nun in den wohlverdienten Ruhestand gehen konnte.

Rudolf Barths Liebe zum holzverarbeitenden Gewerbe zeigt sich auch durch viele schöne Dinge, die er in seiner Freizeit nach eigenem Entwurf herstellte. Selbst hergestellte Blumenkübel, Tischchen und Säulen zieren die Wohnung der Barths. Einen Einblick in die private Werkstatt zeigte die gute Ausstattung mit allen Maschinen und Gerätschaften.

Die überwiegend stehende und schwere Tätigkeit forderte jedoch auch bei Herrn Barth seinen Zoll. Trotzdem erzählte er mit großer Freude von seinem Berufsleben und wir bedanken uns ganz herzlich für diesen Einblick in einen weiteren Beruf, den es heute nicht mehr gibt.

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