Alltag des Telefonierens: Kosten und Telefonierverhalten
Nach der amtlichen Statistik kamen in Baden um die Mitte der 1920er Jahre auf je 100 Einwohner zwei Telefonanschlüsse. Zeutern (ca. 1.600 Einwohner) lag 1924 gerade einmal bei 0,3 und 1932 bei 0,6, während Großstädte wie Mannheim oder Karlsruhe vor allem wegen der Behörden und Geschäfte bereits auf das Zehnfache und mehr kamen. Generell weisen die ländlichen Telefonbücher aus dieser Zeit neben Ärzten und Apothekern sowie öffentlichen Einrichtungen (Gemeindeverwaltung, Polizei, Sparkasse, Landwirtschaftliche Genossenschaft, Bahnstation, Elektrizitätswerk etc.) fast ausschließlich Handwerker und Gewerbebetriebe, Kaufleute und nicht zuletzt Wirtshäuser als „Fernsprechteilnehmer“ aus. Durchschnittlich wurden in Deutschland von jedem Anschluss täglich drei Ortsgespräche sowie alle zwei Tage ein Ferngespräch geführt. Für kleine Ortschaften im ländlichen Raum galt aber als Erfahrungswert, dass ein Teilnehmer kaum einmal täglich zum Hörer griff.
Ein Telefonanschluss war in den 1920er Jahren immer noch teuer: Zum Grundbetrag für die Einrichtung des Hauptanschlusses in Höhe von 80 Reichsmark kamen die Lohn- und Materialkosten der Herstellung (Mauerdurchbruch, Leitung im Hausinnern) sowie gegebenenfalls ein „Stangenzuschlag“, wenn mehr als fünf Masten neu aufgestellt werden mussten, dazu bei Entfernungen von über fünf Kilometern zur nächsten Vermittlungsstelle ein weiterer Zuschlag von sechs Reichsmark je 100 Meter und Jahr. Nachdem diese Einrichtungskosten bezahlt waren, galt für das Telefonieren selbst seit 1927 dauerhaft ein gemischtes Grund- und Gesprächs-Gebührenmodell: drei Reichsmark monatlich pro Anschluss in kleinen Ortsnetzen mit bis zu 50 Teilnehmern, vier RM in der nächstgrößeren Kategorie bis 100 und so weiter in degressiver Staffelung.
Ein Ortsgespräch kostete zehn Pf für drei Minuten, wobei je Anschluss und Monat mindestens 20 Gespräche abgerechnet wurden. Jedes Telefonat in ein anderes Ortsnetz galt als Ferngespräch. Es kostete – die Einheit ebenfalls zu drei Minuten – nach Bruchsal 30, nach Heidelberg 40, nach Karlsruhe oder Mannheim 70 Pfennig, nach Frankfurt 1,20 und nach Berlin 2,40 Reichsmark. Zwischen 19 und 8 Uhr war Telefonieren ein Drittel billiger. „Dringende Ferngespräche“ kosteten das Dreifache und wurden vorrangig vermittelt, „Blitzgespräche“ das Zehnfache. Für die beiden eiligen Kategorien wurde notfalls einem laufenden Normalgespräch die Leitung weggenommen. Generell versuchte die Post ihre Kunden dazu zu erziehen, dass sie sich kurz fassten, die drei Minuten nicht überschritten und die Leitung möglichst schnell wieder frei machten: Auf eine direkt anschließende weitere Drei-Minuten-Einheit bestand kein Rechtsanspruch.
Zum Vergleich: Der Stundenlohn eines Facharbeiters lag 1925 bei 80 Pfennig und 1930 bei einer Mark. Für den Großteil der Bevölkerung und auch für die meisten Unternehmen waren nach wie vor Brief oder Postkarte das Medium, wenn Kommunikation nach auswärts erforderlich war und es nicht auf rasche mündliche Absprache ankam. Aber nach und nach verbreitete sich das Telefonieren, vor allem im Geschäftsverkehr: 1929 wurden in Deutschland 7,6 Mrd. Briefe verschickt, aber auch schon 2,6 Mrd. Telefonate geführt. Auf dem Dorf wurde es üblich, dass man im Bedarfsfall nicht nur von der Post aus telefonierte, sondern auch einen in der Nachbarschaft vorhandenen Apparat benutzte, und umgekehrt wurden auch oft die Nachbarn angerufen und gebeten, eine Nachricht weiterzuleiten.
Mingolsheim wird zentrale Vermittlungsstelle – der „SA-Betrieb“
Die Telefonversorgung des ländlichen Raums war für die Reichspost ein Verlustgeschäft: Nach Selbstkosten gerechnet, hätte ein Anschluss in einem kleinen und weitläufigen Ortsnetz wie Langenbrücken nicht fünf (Grundgebühr plus Mindestumsatz), sondern 17 Reichsmark monatlich kosten müssen i angesichts der geringen ttelbar.ive . Das flache Land wurde also zu Lasten der dichtbesiedelten Regionen, der Großstädte und der Vieltelefonierer subventioniert – das war eine struktur- und sozialpolitische Entscheidung, die Reichstag und Reichsregierung der Post auferlegten. In der Weltwirtschaftskrise kam es unter dem Zwang politisch verordneter Tarifsenkungen bei gleichzeitigem Verbot von Entlassungen einerseits und zurückgehenden Einnahmen der Post andererseits zu einer rationalisierenden Flurbereinigung. Zwischen Bruchsal und Wiesloch wurde dabei Mingolsheim als zentrale Vermittlungsstelle ausgewählt und ‚schluckte‘ zuerst Östringen, dann auch Langenbrücken. Weiher war bereits vorher dem Ortsnetz Bruchsal zugeschlagen worden – die heutige telefonische Zweiteilung der Gemeinde Ubstadt-Weiher war damit besiegelt.
Das Ortsnetz Mingolsheim mit dem 1931 erbauten neuen Postamt war von Beginn an auf den sog. „SA-Betrieb“ (SA = Selbstanschluss, erstmals erprobt 1908) im Ortsnetz eingerichtet. Der Teilnehmer stellte durch Drehen der neuartigen Wählscheibe am Apparat die gewünschte Verbindung selbst her. Dieses Verfahren löste die Handvermittlung ab und machte die Nutzer ein großes Stück unabhängiger sowie den Betrieb deutlich billiger. Die Technik dahinter war der „Schrittschalt-Hebdrehwähler“, der mittels elektrischer Impulse automatisch den gewählten Anschluss aufschaltete. In Mingolsheim entstand damit die automatisch arbeitende ‚menschenleere Vermittlungsstelle‘ mit „ununterbrochenem Betrieb“ rund um die Uhr.
Einführung der „Vorwahlen“
Auf Briefköpfen aus den 1930er bis in die 1960er Jahre sind neben der postalischen Anschrift nur der Name des Telefonamts und die Rufnummer des Teilnehmers zu finden (vgl. Abb.). Wer aus einem anderen Netz – und wenn es nur Bruchsal war – in Zeutern anrufen wollte, musste sich also durch sein Fernamt mit dem „Amt Mingolsheim (Baden)“ und dem gewünschten Anschluss verbinden lassen. Erst seit den 1950er Jahren wurde flächendeckend der „Selbstwählferndienst“ mit „Vorwahlen“ eingeführt; er funktionierte nach demselben Prinzip wie das Wählen innerhalb des Ortsnetzes, aber die „0“ signalisierte dem Drehwähler, dass eine Verbindung nach außerhalb gewünscht wurde. Mingolsheim kam mit den anderen Ortsnetzen in der Umgebung in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre an die Reihe. Jetzt erst erhielt das Netz seine Vorwahl (0 72 53).
Die neuen sog. „EMD-Wähler“ wurden seit den 1950er Jahren ganz in der Nähe hergestellt: im Siemens-Werk Bruchsal, ebenso ihre elektronischen und digitalen Nachfolger („EWS“, „EWSD“). Anfang der 1960er Jahre erhielten auch die Apparate ein modernes Design: Das schwarze, auf die Vorkriegszeit zurückgehende Einheitstelefon „W 48“ (Grundgebühr zwölf DM monatlich, Sonderausführung in eleganter „Elfenbeinfarbe“ zusätzlich 70 Pf) wurde 1963 durch den neuen „Fernmeldetischapparat“ abgelöst. Auf Amtsdeutsch hieß die graue Maus „FeTAp 61-1“, und weil die „Deutsche Bundespost“ damals ein ordentliches Defizit schrieb, wurde 1964 die Grundgebühr für einen Anschluss um 50% auf 18,- DM im Monat erhöht. Hinzu kamen für jede Gesprächseinheit unterschiedlicher, von der Entfernung abhängiger Dauer 20 Pfennig.
Der Stundenlohn eines Industriearbeiters betrug damals vier bis fünf DM, und das heißt: Telefonieren war kaum billiger als in den 1920er oder 1930er Jahren. Deshalb verzeichnete das „Amtliche Fernsprechbuch 19 für den Bezirk der Oberpostdirektion Karlsruhe“ 1960/61 für Zeutern auch erst 38 Fernsprechteilnehmer – darunter befanden sich mit Schulleiter Eugen Hollerbach sowie einem nicht näher bekannten „Lindecke, H.“ nur zwei Privatpersonen. Zehn Jahre später gab es immerhin 78 Telefone in Zeutern. Davon waren jedoch höchstens 25 als privat bzw. nicht als eindeutig gewerblich identifizierbar. Das bedeutete, dass keine fünf Prozent der privaten Haushalte (2.000 Einwohner, ca. 500 Haushalte) Telefon besaßen. Erst gegen Ende der 1970er Jahre nahm dnderen er und den 1980er as neue Zeitalter der umfassenden Vernetzung und der grenzenlosen Kommunikation Gestalt an, und 1988 besaßen bereits 95% der bundesdeutschen Haushalte einen Telefonanschluss.
Die ausführliche Fassung dieses Beitrags erscheint auf der Website des Heimatvereins www.heimatverein-ubstadt-weiher.de Dort finden sich auch Quellennachweise und Literatur.