(0 72 53) oder (0 72 51)? Wie Zeutern zum Telefon – und zu seiner Vorwahl kam – Teil 1

Postkarte von Wolfgang Stier

Wo wären wir heute ohne Telefon. Ganz selbstverständlich greifen wir in allen Lebenslagen zum „Handy“, dem Mobilteil des Festnetzes oder auch noch zum schönen alten Telefon mit Kabel.

Der Frage, wie sich diese Erfolgsgeschichte in unserem Ortsteil Zeutern ab dem 19. Jahrhundert entwickelte, ging unser Mitglied Bernhard Stier aus Zeutern auf den Grund. In seinen Recherchen konnte er nicht nur die technische Seite der Telefoneinführung beleuchten, sondern in hohem Maße auch die gesellschaftliche Akzeptanz des neuen Mediums. Es ist schön zu sehen, wie Geschichte und Technologie miteinander verbunden sind.

Hier sein Bericht:

Mancher Einwohner von Zeutern (und ebenso von Stettfeld) wird sich schon gefragt haben, weshalb die beiden Dörfer telefonisch nicht zu Bruchsal, sondern zu Bad Schönborn gehören. Die Antwort auf diese Frage findet sich im Gemeindearchiv. Aus den Akten, aus amtlichen Telefonbüchern und aus der wissenschaftlichen Literatur lässt sich die Frühgeschichte des Telefonierens im Dorf rekonstruieren. Sie ist eng mit der Entwicklung der Telegrafie auf dem flachen Land verknüpft.

Die „Fernsprechanstalten“ als Teil des Telegrafenwesens

Seit Herbst 1877 experimentierte die Reichspost mit der neuen Telefontechnik. Während in den größeren Städten nach und nach sog. „Stadt-Fernsprecheinrichtungen“ in Betrieb gingen (Berlin 1881; in unserer Region zuerst Mannheim ebenfalls 1881 mit 115 Teilnehmern, Karlsruhe 1884 mit 24 und Heidelberg 1885 mit 37), wurde das Telefon im ländlichen Raum zunächst als Hilfsmittel der Telegrafie eingesetzt. Es entstand ein flächendeckendes Netz von Telegrafenverbindungen, die auf der ersten Strecke vom Dorf zum nächstgelegenen Telegrafenamt aber mit dem Fernsprecher bedient wurden. Der Grund: Das örtliche Personal in den zahlreichen nebenberuflich betriebenen Postagenturen beherrschte Morseapparat und Morsealphabet nicht, und die Ausbildung wäre zu aufwendig gewesen. In Zeutern, wo sich die Postagentur im Gasthaus „Zum Engel“ (s. Foto) befand, gab also der Bierbrauer, Engelwirt und Posthalter Anton Reiser eine aufgegebene Nachricht ’fernmündlich‘ an das Telegrafenamt in Bruchsal durch, von wo sie per Morseapparat an die entsprechende Station weitergeleitet oder unmittelbar als Telegramm ausgeliefert wurde, wenn sie für einen Empfänger am Ort bestimmt war. Im Frühjahr 1882 wurde der Anschluss erstellt, in die Leitung von Bruchsal über Odenheim nach Langenbrücken (Reichs-Telegrafenstrecke Nr. 908) eingebunden und dem Telegrafenamt Langenbrücken zugeordnet.

Der naheliegende nächste Schritt war, den in der Postagentur im Nebenzimmer des Gasthauses „Zum Engel“ vorhandenen Telefonapparat als „öffentliche Fernsprechstelle“ auch dem Publikum zugänglich zu machen. In einem Dokument von 1904 ist allerdings von einem „äußerst geringen Fernsprechverkehr“ die Rede – es bestand wenig Bedarf, und die Kosten waren hoch:  Ein Anruf mit der erlaubten Höchstdauer von drei Minuten im „Ortsverkehr“ kostete zehn Pfennig, bis 25 km Entfernung 20 Pfennig. Telefonate bis 50 km Entfernung kosteten mit 25 Pfennig ungefähr soviel wie ein Kilogramm Brot oder ein Liter Bier, darüber eine Mark (zum Vergleich: Brief im Orts- und Nachbarortsverkehr fünf Pfennig, „Fernbrief“ zehn Pfennig). Wer von auswärts in Zeutern anrufen wollte, musste den Gesprächspartner per Vorab-Anmeldung zunächst von zu Hause, aus der Werkstatt – oder vom Acker? – auf die Post holen lassen und wurde für das eigentliche Gespräch verbunden, sobald sich der Gewünschte eingefunden hatte. Das hieß „XP-Gespräch“ und kostete zusätzlich 25 Pfennig für das Herbeiholen, genauso viel wie die Überbringung einer fernmündlich eingegangenen Nachricht durch den Postagenten. Nach dem Tod des Posthalters Reiser führte seine Witwe die Postagentur und diese Dienste weiter, seit 1912 im Neubau in der Kapellenstraße gegenüber dem Bahnhof. Bis in die 1960er Jahre sollte die Post im Dorf mit der Familie Reiser verbunden bleiben.

Von der „öffentlichen Sprechstelle“ zum Ortsnetz

Ortsnetze mit privaten Anschlüssen entstanden auf dem Land erst nach und nach. Denn dafür musste jeder einzelne Teilnehmer mit einer zentralen Vermittlungsstelle verbunden werden, die wiederum mit Personal am Klappenschrank – dem legendär gewordenen „Fräulein vom Amt“ – besetzt sein musste. Dieser Aufwand lohnte sich angesichts der geringen Zahl potentieller Teilnehmer und des schwachen Verkehrs zunächst nicht. Erst um die Jahrhundertwende beschloss der Reichstag für das „Reichs-Postgebiet“ (Deutschland ohne Württemberg und Bayern, die eigene Postverwaltungen besaßen) ein auf zehn Jahre angelegtes Ausbauprogramm über insgesamt zehn Mio. Mark. Es sollte auch „den Bewohnern des flachen Landes und der kleinen Städte mehr als bisher den Vortheil einer Fernsprechverbindung mit den für ihre wirthschaftlichen Beziehungen wichtigen Punkten verschaffen“.

Im Zuge dieser Infrastrukturpolitik gingen im Dezember 1899 die „Stadt-Fernsprecheinrichtungen“ Mingolsheim, Östringen und Langenbrücken in Betrieb, an die sich auch Interessenten aus den umliegenden Orten anschließen konnten. Zeutern wurde dabei ebenso wie Weiher und Stettfeld dem nächstgelegenen Amt in Langenbrücken zugeordnet. Im Telefonbuch von 1912, der ältesten erhaltenen Ausgabe für den Bereich der Oberpostdirektion Karlsruhe, besaß das Ortsnetz insgesamt zwölf Teilnehmer, darunter drei aus Zeutern: die „Badischen Lederwerke“ im Ortsteil Waldmühle, die „Creditbank“ und das Gasthaus „Zum Ochsen“ von Friedrich Michenfelder. Daneben bestand weiterhin die öffentliche Sprechstelle im „Engel“. Für den ländlichen Raum war der Aufbau von Ortsnetzen angesichts dieser niedrigen Anschlusszahlen zunächst eine weit vorausschauend gedachte Zukunftsinvestition. Bruchsal hatte 1912 bereits 350 „Fernsprechteilnehmer“, Karlsruhe ca. 3.300, Mannheim über 5.700.

 

Verdoppelung der Telefone in Zeutern: in acht Jahren von 5 auf 10

Vor dem Ersten Weltkrieg betrug die Gebühr für einen Privatanschluss in Ortsnetzen mit bis zu 50 Teilnehmern und bei maximal fünf Kilometern Entfernung von der Vermittlungsstelle pauschal 80 Mark jährlich – dafür musste ein Handwerker mehr als zwei Wochen arbeiten. Auch wenn innerhalb des Ortsnetzes beliebig viele Gespräche geführt werden konnten, war der eigene Telefonanschluss also eine teure Angelegenheit, die sich allenfalls für gewerbliche Zwecke lohnte und für Privatpersonen nicht in Frage kam. Aber diese hatten vorerst auch wenig Grund zu telefonieren.

In Zeutern kamen bis 1919 gerade einmal zwei Fernsprechteilnehmer hinzu: das Bürgermeisteramt und die Böhmsche Mahlmühle in der Nachbarschaft der Lederfabrik. Bei der Gemeinde war der zunehmende Verwaltungsaufwand während des Kriegs der Grund für die Einrichtung eines Telefonanschlusses. 1924 hatte das Ortsnetz Langenbrücken immerhin schon 28 Teilnehmer aus dem Hauptort selbst (17) sowie aus den zugehörigen Gemeinden Weiher (4), Stettfeld (2) und Zeutern. Letzteres war weiterhin mit fünf Anschlüssen vertreten: mit dem Bürgermeisteramt, der Lederfabrik sowie der nun von Emil Lutz betriebenen Waldmühle, mit der Mühle Lutz im Oberdorf und mit dem Kaufmann Stefan Längle. Bis 1932 stieg die Zahl der Fernsprechteilnehmer in Zeutern auf zehn – hinzugekommen waren die Metzgerei Botz, die Schlosserei Dutzi, das Sägewerk Heitzmann, die Holzhandlung Kunz, das Zimmergeschäft Leiser, die Sparkasse sowie die Kaffeerösterei von Friedrich Zorn, weggefallen der Anschluss Längle.

Im letzten Teil: Alltag des Telefonierens und Kosten – Mingolsheim wird zentrale Vermittlungsstelle – Einführung der „Vorwahlen“

 

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