
Die kleine Elisabeth Leuser, geb. am 12. Mai 1932 in Ubstadt, wuchs zusammen mit zwei Brüdern in der Oberen Straße 44 in Ubstadt auf. Die Familie betrieb eine Nebenerwerbslandwirtschaft, bei der die Kinder selbstverständlich tüchtig mitarbeiten mussten. Zusätzlich half man noch bei einem Bauern und erhielt dafür Lebensmittel. Ein paar Ziegen, Hühner und Schweine ernährten außerdem die Familie. Wie in unserer Gegend üblich, musste während der Kriegs- und Nachkriegszeit niemand Hunger leiden. Allerdings wurde das Brot bei Familie Leuser für das Vesper am Abend aufgespart. Zum Frühstück gab es daher „greschde Grummbiere“, also Bratkartoffeln, mit Lindeskaffee oder Caro. Elisabeth kann sich noch erinnern, wie wenig beliebt bei ihr in dieser Zeit der sehr nahrhafte Maisbrei mit Ziegenmilch war.
Elisabeths Vater wurde früh zur Wehrmacht eingezogen und war einige Zeit auch in Russland stationiert. Während des Krieges hielt Hermann Leuser mit Postkarten den Kontakt zur Familie. Die Feldpost war ein sehnsüchtig erwartetes Lebenszeichen. Eine Karte zu Silvester 1941 erfreute die Familie ganz besonders.
Kurz nach Kriegsende 1945, als die Mutter, die zwei Brüder und der Nachbar im Wald waren zum Holzmachen, sollte Elisabeth in der Küche das Geschirr spülen. Sie stellte sich dazu gerade ein „Wäschwändl“ auf den Tisch und hatte vorsichtshalber die Wohnungstür abgeschlossen, als plötzlich ein fremder Mann an der Türklinke rüttelte. Da Elisabeth allein zuhause war, bekam sie es mit der Angst zu tun. Der fremde Man rief „Cäzille“, das war der Vorname von Elisabeths Mutter, und klopfte laut. Elisabeth schaute vorsichtig hinter dem Vorhang aus dem Fenster. Der Mann sah sie und rief: „Mach mer doch uff! Ich bin doch de „Babba“. Voller Freude öffnete sie die Tür, nahm den Vater in die Arme und rannte anschließend so schnell sie konnte zu der restlichen Familie in den Wald, um sie von der freudigen Heimkehr zu unterrichten. Die Brüder glaubten Elisabeth zunächst nicht, aber dann liefen auch sie schnell zusammen mit der Mutter nach Hause. Was war das für ein glückliches Wiedersehen! Hermann Leuser (1901 – 1956) hatte vor den heranrückenden Russen fliehen können, geriet dann allerdings kurze Zeit in französische Gefangenschaft.
Aufgrund seiner Kriegsbeschädigung wurde Hermann Leuser bei der Gemeinde als Polizeidiener eingestellt. Zusätzlich erwarb er eine Kuh, um die Landwirtschaft für den Eigenbedarf zu vergrößern.
Elisabeth erzählt über die Kriegstage, dass die Familie Leuser selbst einen großen alten Gewölbekeller besaß und bei Fliegeralarm die gesamte Nachbarschaft zu ihnen flüchtete. Jeden Abend richtete die Mutter für jedes Familienmitglied ein Päckchen mit überlebensnotwendigen Dingen. Diese kleinen Pakete mit Kleidung, Lebensmitteln und Papieren lagen immer griffbereit auf dem Tisch und jedes Kind schnappte sich seines auf dem Weg in den Keller. Zusätzlich hatte die Mutter im Keller Lebensmittel, Kerzen und Kleidung aufbewahrt.
Wenn vor 24 Uhr Fliegeralarm war, mussten die Kinder am nächsten Tag trotzdem um 8 Uhr in der Schule sein, war der Alarm erst nach Mitternacht, durften sie eine Stunde später kommen.
Während der Schulzeit sammelten die Schulkinder verschiedene Heilkräuter für Tee. Die Kräuter wurden in der Kelterhalle zusammengetragen und getrocknet. Scharfgarbe wurde zu kleinen Sträußchen gebunden und so getrocknet. Verschiedene andere Materialien wurden ebenfalls von den Schulkindern gesammelt, wie z. B. Flaschen etc.. Ebenso wurden die Kinder bei der Schädlingsbekämpfung in der Landwirtschaft eingesetzt und waren auf der Jagd nach Feldmäusen oder sammelten Kartoffelkäfer ab. So wurde den Menschen und den Kindern vermittelt, wie sie die „Heimatfront“ unterstützen konnten.
Eine Episode, vermutlich aus dem vorletzten Kriegsjahr, als sich die Fliegerangriffe verstärkten, ist Elisabeth noch in guter Erinnerung: Als sie mit einer Freundin im freien Feld unterwegs war, wurden sie durch einen Fliegerangriff überrascht. Elisabeth und die Freundin schlugen sich in ein Gebüsch und merkten erst anschließend, dass sie in einem Brennesselstrauch Zuflucht gesucht hatten. Von den Bomben waren sie glücklicherweise verschont geblieben, aber die Nesseln hatten die beiden Mädchen übel gezeichnet.
Dass Elisabeth ein besonderes Gesangstalent hatte, stand bereits im frühen Alter von zehn Jahren fest. So sang sie bereits als Kind beim Kirchenchor mit und durfte dort auch schon solo singen. Damals wurde jeden Morgen vor der Schule eine Messe gelesen. Dabei sang Elisabeth zusammen mit vier älteren Frauen die lateinische Messe, obwohl sie alle keinerlei Lateinkenntnisse hatten. Bei den in jener Zeit häufig gehaltenen Totenmessen sang die Zehn- bis Zwölfjährige für die Seelen der gefallenen Soldaten.
Dem Singen blieb Elisabeth bis ins hohe Alter treu und bereicherte damit im Laufe der Zeit zahllose Hochzeitsfeiern.
Auch der 1. März 1945 ist Elisabeth im Gedächtnis geblieben. Es war ein wunderschöner Frühlingstag und zusammen mit der Mutter arbeitete sie im Garten, als plötzlich wieder einmal Fliegeralarm ertönte. Schnell flüchtete die Familie ins Haus und in den Schutzraum im Keller, als bereits die ersten Bomben fielen. Der Tochter einer Nachbarsfamilie, die aus Bruchsal an diesem Tage bei ihren Eltern in Ubstadt zu Besuch war, rettete diese Tatsache das Leben. Leider wurde jedoch durch das Bombardement auf Bruchsal an diesem ersten Märztag deren komplette Familie mit ihrem Ehemann, ihren drei Kindern und einer Hausangestellten ausgelöscht sowie das Wohnhaus zerstört. Elisabeth denkt noch immer mit Schrecken an den Tag, als mit einem Traktor und Anhänger die Verstorbenen, nur mit einem Tuch bedeckt, zur Beerdigung nach Ubstadt überführt wurden.
An den Einmarsch der Alliierten am Ostersonntag 1945 kann sich Elisabeth ebenfalls noch gut erinnern. Sie berichtet, dass die marokkanischen Soldaten aus dem französischen Heer die Hühner der Bewohner mitnahmen und sie lebend an die Autos banden. Familie Leuser versteckte deshalb ihre Hühner auf dem Speicher. Zum guten Glück wurde die Familie verschont. Viele Jahre später ging der mittlerweile erwachsenen Elisabeth erst die Tragweite dessen auf, warum man den Frauen und Mädchen nahelegte, sich am besten komplett von der Straße fernzuhalten, oder, wenn dies nicht möglich sein sollte, dies nur in alten, unvorteilhaften Kleidern zu tun.
Vielen Familien ging es nach dem Krieg schlecht, sie hatten Angehörige verloren, mussten Haus und Hof verlassen oder standen vor Ruinen. Gerade in Ubstadt haben viele Menschen aus den Ostgebieten wieder eine neue Heimat gefunden. Familie Leuser war sehr froh, dass der Vater, zwar angeschlagen, aber immerhin früh aus dem Krieg wieder heimkam.
Autorin: Beate Harder mit den Erinnerungen von Elisabeth Oßfeld