
Maria Staudt geb. Sapandowski wurde 1938 kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Stettfeld geboren. Mit ihren Eltern Agnes (1906 – 1987) und Eugen Sapandowski (1906 – 62) und dem älteren Bruder Heinz (1933 – 2014) bewohnte sie ein kleines Haus bei der unteren Mühle. Der Großvater mütterlicherseits, Friedrich Kreiner (1861 – 1947), lebte ebenfalls bei der Familie. Vater und Großvater betrieben eine kleine Schuhmacherwerkstatt. Die Mutter arbeitete in der örtlichen Zigarrenindustrie als Zigarrenmacherin und trug somit maßgeblich zum Lebensunterhalt bei. Ein kleiner Kartoffelacker wurde bewirtschaftet und etwas Getreide sowie Obst und Gemüse wurden angebaut. Dementsprechend musste die Familie auch in den schweren Tagen des Krieges keinen Hunger leiden.
Bereits 1939 wurde Eugen Sapandowski als einer der Ältesten zum Kriegsdienst einberufen. Beim Militär arbeitete er zunächst in seinem gelernten Handwerk, wurde aber bald zu den Kriegsgeschehnissen hinzugezogen. Bei heftigen Kämpfen der 6. Armee vor Stalingrad wurde er im Januar 1943 durch einen Bauchschuss schwer verletzt. Unter Waffengewalt konnte er die Sanitäter überzeugen, ihn ins Lazarett mitzunehmen, wo er umgehend operiert wurde. Die Tatsache, dass er bereits seit zwei Tagen nichts gegessen hatte, rettete ihm vermutlich das Leben. Durch die heranrückende Front musste das Lazarett immer weiter nach Westen verlegt werden und so kam Eugen Sapandowski in amerikanische Kriegsgefangenschaft und galt zunächst als vermisst.
Während dieser schlimmen Geschehnisse ging in der Heimat das Leben noch normal weiter. Als Maria 1944 in die Schule kam, fiel jedoch bereits durch ständigen Fliegeralarm immer wieder der Unterricht aus. Fand dann der Unterricht doch einmal statt, mussten die Schulkinder häufig Kräuter für Tee sammeln. Zusätzlich wurden sie zum Ablesen von Schädlingen wie Kartoffelkäfern herangezogen. Das machten die Kinder gerne, blieben ihnen doch somit die Hausaufgaben erspart.
Bei Fliegeralarm flüchtete die Familie Sapandowski in die Mühle, die einen stabilen Gewölbekeller hatte. Oftmals nur halb angezogen, rannte man bei Nacht und Nebel über den Hof in den Keller.
Maria kann sich gut an den 1. März 1945 erinnern. Die Kinder spielten im Mühlgässle am Bach, es war ein warmer Tag und man konnte schon mit kurzen Ärmeln draußen sein.
Plötzlich flog sehr langsam ein Flieger über die Kinder. Aus dem Flugzeug hing ein langes Transparent. Maria rief ihren Großvater heraus und zeigte ihm ihre Beobachtung. Er meinte gleich, dass es ein Angriffszeichen sei. Kurz darauf hörten die Anwohner dann auch schon das Brausen und Toben der Motoren des heranrückenden Flugzeuggeschwaders, das bei Bruchsal seine tödliche Last ablud.
Den Stettfeldern war sofort klar, dass es in Bruchsal viele Tote und Verletzte gegeben haben musste. Nachbarn, deren Schwiegertochter und Enkel in Bruchsal lebten, waren voller Sorge und Aufregung, wie es den Angehörigen wohl gehe. So blieb die ganze Nachbarschaft in dieser Nacht wach und wartete auf ein Lebenszeichen der Verwandten aus Bruchsal. Plötzlich, mitten in der Nacht, kam die ausgebombte Familie bei den Eltern in Stettfeld an. Nur mit dem, was sie an verkohlter Kleidung auf dem Leib trugen, und mit Brandwunden am ganzen Körper hatten sie sich zu Fuß nach Stettfeld gerettet. Schnell suchte die ganze Nachbarschaft Kleidung für die Opfer zusammen.
Beim Einmarsch der Amerikaner am Ostermontag 1945 fuhr ein Panzer direkt auf die Mühlgasse zu und schüchterte die Bevölkerung ein. Auf der Suche nach Quartier durchsuchten die amerikanischen Soldaten die Gebäude. Dabei kamen sie auch in die Wohnung von Marias Familie. Diese hatte von einer anderen Familie ein kleines Ferkel bei sich aufgenommen, das überzählig war. Liebevoll wurde es mit der Flasche aufgezogen. In dem allgemeinen Tumult um den Einmarsch nahm die Familie das kleine Schweinchen mit in die Wohnung. Aus Angst und vor Aufregung verrichtete es seine Notdurft in der Küche. Der amerikanische Soldat schaute in den Raum, sah die Bescherung, drehte sich sofort wieder um und verließ fluchtartig die Wohnung. So hatte die Familie nochmal „Schwein“ gehabt. Später erheiterte diese Geschichte häufig die Familie und man vermutete, dass in Amerika angenommen wurde, dass die Deutschen mit ihren Schweinen in der Wohnung leben.
Nach dem Einmarsch der Alliierten und der Kapitulation am 9. Mai 1945 kehrte im beschaulichen Stettfeld ein fragiler Frieden ein. Nur die Zahl der vielen vermissten und gefallenen Väter, Brüder und Söhne erinnerte noch an die schlimme Zeit.
Eugen Sapandowski, der Vater von Maria, kam erst im Laufe des Sommers 1945 heim. Beim Transport in das Entlassungslager in Heilbronn kam der Zug an Stettfeld vorbei. Eugen Sapandowski schaffte es, mittels einer Zettelnotiz in einer Cornedbeef-Dose, die er Passanten aus dem Zug heraus zuwarf, seine Familie über seine baldige Heimkehr zu benachrichtigen. Das war die erste Nachricht von dem vermissten Vater seit 1942. Diese Dose wurde in all den vergangenen Jahrzehnten in der Familie behütet und hat heute noch einen Ehrenplatz bei Maria.
Wie groß war die Freude der Familie, als Eugen Sapandowski schließlich endlich zu Fuß vom Bahnhof Bruchsal nach Hause kam. Als erstes bat er seine Frau darum, Pfannkuchen zu backen, die hatte er am meisten vermisst. Bald begann er wieder seine Arbeit in der Schuhmacherwerkstatt, allerdings verstarb er recht jung mit 57 Jahren. Die Folgen der schlimmen Kriegsjahre und die schwere Bauchverletzung ließen ihn vorzeitig altern.
Maria besuchte wieder die Volksschule, war eine begeisterte Näherin und arbeitete nach dem Abschluss der Schule in verschiedenen Nähbetrieben, unter anderem als Filialleiterin der Firma Bleyle in Stettfeld.
Autorin: Beate Harder mit den Erinnerungen und Aufzeichnungen von Maria Staudt.