Der ganz besondere Überraschungs-Schokoladen-Nikolaus

Foto: Werner Mönig

Geboren bin ich im Vorkriegsjahr 1938. Die Kriegsjahre von 1939 bis 1945 waren für alle Menschen in Deutschland sehr belastend und auch die Nachkriegsjahre finanziell noch nicht gut. Es gab viel nachzuholen und zu kaufen, was man in den Kriegsjahren nicht bekommen konnte. So gab es daher für die wenigsten Kinder jedes Jahr am Nikolaustag als Geschenk einen Schokoladen-Nikolaus.

Erst 1947, nach der Währungsreform, ging es mit der Industrie in Deutschland aufwärts und die Menschen bekamen wieder Arbeit und konnten Geld verdienen. Aber auch da wurde das Geld bei manchen Familien für andere Sachen notwendiger gebraucht als für Schokoladen-Nikoläuse für die Kinder.

Wie ein Schokoladen-Nikolaus aussieht, bekam ich erst 1945 nach dem Kriege mit. Vorher spielte mein Bruder Heinz, der fünf Jahre älter war als ich, den Knecht Ruprecht. Aus einem sauberen Sack schnitt er für Augen, Nase und Mund Löcher aus. Die beiden Enden des Sackes wurden abgebunden, so dass sie wie Ohren aussahen. Um den Bauch ward ein Strick gebunden. Die Rute waren drei zusammengebundene Reisigzweige. Ich musste beten und singen, als Belohnung bekam ich dann Äpfel und Nüsse sowie die ersten Weihnachtsplätzchen.

Später wusste ich, dass Heinz mich gerne hätte die Rute spüren lassen. Denn er musste oft auf mich aufpassen, wenn Mutter bei der Arbeit und Großvater auf dem Feld war, während sich unser Vater im Krieg befand, und ich war häufig frech zu ihm. Aber da war noch der Großvater, der auf seinem Stuhl saß. Zu ihm flüchtete ich mich auf den Schoß, denn ich wusste genau, er würde nie zulassen, dass seinem kleinen Mädchen ein Schmerz zugefügt wird.

Wir hatten zu Hause eine Schuhmacherei. Nach der Schule und dem Mittagessen mussten mein Bruder und ich die reparierten Schuhe zur Kundschaft bringen, da bekamen wir meistens fünf oder zehn Pfennige, so hatten wir immer ein wenig eigenes Geld. Wenn wir etwas über Schokoladen-Nikoläuse sprachen, sagte unsere Mutter: “Ihr habt doch Geld, wenn ihr einen Schokoladen-Nikolaus wollt, dann kauft ihn euch doch.“ Sie konnte einfach nicht verstehen, dass es da nicht nur um die Gelüste nach Schokolade ging, sondern vielmehr auch um den Überraschungseffekt, einmal etwas geschenkt zu bekommen, an das man gar nicht gedacht hatte.

Als meine Freundin und ich unsere späteren Ehemänner kennenlernten, bekam diese von ihrem Freund zum Nikolaustag einen großen Schokoladen-Nikolaus. Da bekam ich auch wieder Hoffnung. Doch der Nikolaus musste mich wirklich vergessen haben. Meine zwei Jungs bekamen später jedes Jahr ihren Schokoladen-Nikolaus, bis zu dem Alter, als ihnen dann Pralinen besser schmeckten.

Die Jahre vergingen und der Stress des Alltags und später die Beschwerden des Alterns ließen mich die Wichtigkeit eines Schokoladen-Nikolauses ganz vergessen. Bis zum Nikolaustag 2021. Ich hatte das Radio an und irgendwie hatte ich im Ohr, als ob es an der Haustüre geklingelt hätte. Als ich öffnete, war aber niemand da. Doch plötzlich sah ich, dass auf dem Sims des Badfensters neben der Haustüre ein niedlicher Schokoladen-Nikolaus mit einem eingesteckten kleinen und zusammengerollten Zettel stand. Im ersten Moment dachte ich, das ist für meine kleine Enkelin. Als ich jedoch den Zettel aufgerollt hatte, las ich zu meiner Überraschung: „Liebe Frau Staudt! Der Heimatverein Ubstadt-Weiher und der Nikolaus sagen von Herzen danke für die wertvolle Unterstützung und Begleitung! Wir sind sehr froh darüber! Herzliche Grüße Ursula Hohl.“
Als ich mich bei Frau Hohl bedankte, sagte diese, dass sie nicht an der Haustüre geklingelt hätte, sondern nur den Nikolaus abgestellt habe und dann wieder still und leise weggegangen wäre. Anscheinend war es die Musik im Radio, die mich meinen ließ, dass es geklingelt hätte. Die Überraschung war gelungen! Jetzt habe ich mit 83 Jahren, noch bevor ich an der Himmelstür anklopfen muss, meinen Überraschungs-Schokoladen-Nikolaus, den ich mir in meiner Kindheit und Jugend so sehr gewünscht habe, bekommen. Nochmals danke an die 1. Vorsitzende des Heimatvereins Ubstadt-Weiher, Frau Ursula Hohl, und den Heimatverein.

Stettfeld, im November 2022 Maria Staudt

 

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