Dialekt ist ein Bestandteil der Heimat

Foto: Konrad Kröll

Zum Internationalen Tag der Muttersprache am 21. Februar 2023 hat unser Stettfelder Mundartbeauftragter und Gründungsmitglied Konrad Kröll nachstehenden Bericht verfasst, wofür ihm der Heimatverein herzlich dankt.

Als dieses Bild vor etwa 65 Jahren in der alten Schule in Stettfeld aufgenommen wurde, haben noch alle Kinder Dialekt gesprochen. Der Dialekt war die normale Umgangssprache, die Muttersprache, mit der sie aufgewachsen sind und die im ganzen Ort gesprochen wurde, mit nur wenigen Ausnahmen (Pfarrer, Lehrer, …). Fernsehen gab es noch nicht, Radio wurde wenig gehört, so dass Hochdeutsch den Kindern im Alltag kaum begegnete. Hochdeutsch lernten sie allmählich in der Schule, sozusagen als erste Fremdsprache, beim Lesen und Schreiben und am Beispiel der Lehrer/innen.

Den Dialekt benutzten sie aber weiterhin auf dem Schulhof und natürlich außerhalb der Schule.

Hört man heute Kindern und Jugendlichen in Alltagssituationen zu, bekommt man den Eindruck, dass sie unseren Dialekt nicht mehr sprechen können oder nicht mehr sprechen wollen. Sie versuchen – manchmal fast krampfhaft – hochdeutsch zu sprechen und den Dialekt zu vermeiden, obwohl oft ihre Eltern und Großeltern im Alltag durchaus noch oft Dialekt sprechen. Eine landesweite Studie der Universität Tübingen an über 13.000 Kindern und Jugendlichen bestätigt diesen Eindruck. Sie hat ergeben, dass auf dem Land in der Großelterngeneration noch durchgängig Dialekt gesprochen wird, bei der Enkelgeneration (Kindergarten- und Schulalter) aber nur noch etwa 10 % (mit regionalen Unterschieden).

Der Trend ist eindeutig: In nur zwei bis drei Generationen gehen die alten Ortsdialekte größtenteils verloren. Es bilden sich allmählich regionale, schwächere Dialekte (Regiolekte) aus und – vor allem auch in den Städten – ein regional gefärbtes Hochdeutsch. Bei öffentlichen Auftritten spricht z. B. Ministerpräsident Kretschmann kein Schwäbisch (was viele meinen), sondern ein schwäbisch gefärbtes Hochdeutsch. Man kann noch deutlich hören, aus welchem Sprachraum er kommt.

Was sind die Gründe für das allmähliche Verschwinden der Dialekte?

Ein Grund ist sicher die stark gestiegene räumliche Mobilität. Die meisten Menschen arbeiten heute außerhalb ihres Wohnortes. Kinder ab der 4. Klasse und Jugendliche besuchen Bildungseinrichtungen in Nachbarorten oder in Städten, zum Teil weit weg von zu Hause. In den letzten Jahrzehnten kam es in den Dörfern verstärkt zum Zuzug von Neubürgern mit oft anderen Sprachgewohnheiten. Ein weiterer Grund für die Sprachentwicklung weg vom Dialekt sind die allgegenwärtigen Massenmedien durch die Kinder und Erwachsene viel häufiger und viel intensiver mit der Standardsprache (Hochdeutsch) in Berührung kommen.

Durch diese Veränderungen sind Dialektsprecher heute viel mehr gezwungen, sich auf andere Sprachgewohnheiten einzustellen. Das ist aber kein zwingender Grund, den Dialekt ganz aufzugeben. Viele Dialektsprecher haben gelernt – abhängig von der Gesprächssituation – zwischen Dialekt und Hochdeutsch zu wechseln.

Ab den 60er Jahren ist der Dialekt zunehmend in die Kritik geraten. Dialekte wurden als minderwertiges, schlechtes Deutsch dargestellt, welches die Sprachfähigkeit behindere. Viele dialektsprechenden Eltern und Großeltern haben Angst, dass ihre Kinder und Enkel Nachteile in der Schule und im Beruf haben könnten, wenn sie Dialekt sprechen. Sie versuchen deshalb, mit dem Nachwuchs nur noch hochdeutsch zu sprechen (was oft recht gekünstelt wirkt).

Ist diese Angst berechtigt?

Goethe hat zeitlebens hessisch und Schiller breites schwäbisch gesprochen.

So gefährlich für eine erfolgreiche Sprachentwicklung kann der Dialekt also nicht sein.

Sonst müssten auch alle Schweizer große Probleme in Deutsch haben. In der deutschsprachigen Schweiz wird nämlich – quer durch alle Gesellschaftsschichten – nur Dialekt (Schwyzerdütsch) gesprochen. Trotzdem haben dort – das zeigen verschiedene Untersuchungen – Kinder und Jugendliche nicht mehr Sprachprobleme in der Schule.

Untersuchungen haben auch ergeben, dass beim Erlernen von Fremdsprachen Kinder, die „zweisprachig“ (mit Dialekt und Hochdeutsch) aufgewachsen sind, sogar im Vorteil sind. Ihr Gehirn ist sozusagen schon zweisprachig trainiert. Sie haben schon früh gelernt, auf Sprachunterschiede zu achten und verschiedene Sprachmuster nebeneinander zu benutzen. Auch die Behauptung „Wer Dialekt spricht, hat mehr Probleme mit der Rechtschreibung!“ wurde mehrfach durch Studien widerlegt.

Dialekt und Standardsprache: Beide haben ihre Berechtigung. Kinder müssen heute natürlich nach und nach lernen, diese Sprachen nebeneinander zu nutzen. Eltern und Großeltern können den Wechsel vom Dialekt zur Standardsprache vorleben (z. B. beim Arzt Hochdeutsch, in der Familie Dialekt). Sie sollten aber ihren Dialekt, ihre seit Kindheit gewohnte Muttersprache, den Kindern gegenüber nicht verleugnen und sie nicht durch ein oft künstlich und gestelzt wirkendes Hochdeutsch ersetzen wollen.

In Kindergarten und Schule, im Fernsehen, im Radio und in den sozialen Medien kommen die Kinder und Jugendlichen heute ständig mit Hochdeutsch in Berührung.

Wir brauchen also keine Angst haben: Sie werden auch mit Dialekt auf jeden Fall Hochdeutsch lernen, gerne auch mit regionaler, süddeutscher Färbung.

Dialekte sind ein Bestandteil der Heimat, sind wichtiges Element unserer regionalen Kultur und Geschichte. Sie bedeuten für Dialektsprecher sprachliches Wohlfühlen, Identität und Zugehörigkeit. Sie sollten nicht als schlechtes Deutsch oder als minderwertiger Gegensatz zum Hochdeutschen dargestellt werden. Sie sind nichts Negatives, sondern eine Bereicherung. Dialekt ist eine zusätzliche sprachliche Fähigkeit, eine Erweiterung der sprachlichen Kompetenz eines Sprechers.

„Mundart ist wie eine bunte Wiese, Hochdeutsch dagegen wie ein englischer Rasen.“ (Hermann Dischinger, Mundartautor, Östringen)

„Dialekt ist ein mobiles Stück Heimat, das man überall hin mitnehmen kann.“ (Winfried Kretschmann, Ministerpräsident)

Konrad Kröll, Autor, im Februar 2023

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