Vor 400 Jahren: der Auftakt zum Dreißigjährigen Krieg

Zweiter Prager Fenstersturz
Foto: Jürgen Regel

Die sog. „Basler Kompaktaten“ beendeten 1435 die fünfzehnjährigen Hussitenkriege, die in Sachsen, Brandenburg, Bayern, Österreich, aber auch in Böhmen, das Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war, schwere Verwüstungen verursacht hatten. Die Bestimmungen dieses Vertrags gewährten den Anhängern des böhmischen Reformators Jan Hus den Laienkelch und verfügten die Konfiszierung eines Großteils des kirchlichen Besitzes. Die Folgen waren für die innere Lage Böhmens einschneidend: Die bisher weitgehend dominierende katholische Kirche war entmachtet und die in ihrer Mehrheit den Gedanken von Hus anhängenden führenden Schichten von Adel und Bürgertum vergrößerten Besitz, Einfluss und Selbstbewusstsein. Sie bildeten nunmehr ein starkes Gegengewicht gegenüber der Landesherrschaft. Diese lag schon 1437 für einige Jahre und ab 1526 für fast vier Jahrhunderte beim Hause Habsburg, dessen Angehörige meist in Personalunion deutsche Kaiser und böhmische Könige waren. Die einzelnen Herrscher widmeten sich in unterschiedlicher Intensität den innerböhmischen Angelegenheiten.

In dem bekenntnismäßig gespaltenen Land fiel dann im 16. Jahrhundert die Lehre Luthers auf fruchtbaren Boden: Immer mehr Angehörige der Führungsschicht bekannten sich zum Protestantismus und schickten ihre Söhne zum Studium nach Wittenberg. Diese Entwicklung konnten auch die nach der Mitte des 16. Jahrhunderts als Träger der Gegenreformation nach Prag berufenen Jesuiten nicht umkehren. Der Glaubensgraben zwischen der an der alten Lehre festhaltenden Landesherrschaft und großen Teilen des Adels und des Bürgertums wurde immer breiter.

1609 ertrotzten die böhmischen Stände vom römisch-deutschen Kaiser und ihrem König Rudolf II. (1576-1612) einen „Majestätsbrief“, der ihnen die volle Religionsfreiheit und ihre ständischen Vorrechte garantierte. Inzwischen waren – glaubt man den zeitgenössischen Quellen – fast drei Viertel der Bevölkerung evangelisch geworden, und es fehlte nicht an Spannungen zwischen den Bekenntnissen.

Als der streng katholische Ferdinand II. 1617 böhmischer König wurde und eine Rekatholisierung des Landes betreiben wollte, kam es zur Rebellion des Adels. Auslöser des Aufstandes war der Abriss einer und die Schließung einer weiteren Kirche. Rund 200 Vertreter der protestantischen Stände zogen am 23. Mai 1618 in die Prager Burg und inszenierten einen Schauprozess gegen zwei dort anwesende königliche Statthalter. In der eskalierenden Auseinandersetzung wurden die beiden Vertreter der Krone und ihr Geheimschreiber aus Fenstern der Burg in den Burggraben geworfen. Dank der Landung auf einem Misthaufen überlebten die Unglücklichen. Ein Fenstersturz missliebiger Vertreter der Obrigkeit war gute Prager Tradition, denn schon zwei Jahrhunderte zuvor, am 30. Juli 1419, hatten aufgebrachte Anhänger des Reformators Hus zwei katholische Ratsherren aus einem Fenster des Neustädter Rathauses gestürzt und damit das Signal für die Hussitenkriege gegeben.

1619 setzten die protestantischen Stände Böhmens ihren Aufstand fort. Sie proklamierten Böhmen zu einem Wahlkönigreich, setzten Ferdinand II. ab und wählten im August 1619 den Pfälzer Kurfürsten Friedrich V., den Führer der Union der protestantischen Stände des Reiches, zum neuen Herrscher. Ferdinand bat das Bündnis der katholischen Fürsten, die Liga, um Hilfe, eine kriegerische Auseinandersetzung war unvermeidlich. In der Schlacht am Weißen Berg bei Prag am 8. November 1620 wurde der „Winterkönig“ Friedrich, spöttisch so genannt, weil er nur einen Winter regiert hatte, vernichtend geschlagen, flüchtete in die Niederlande und verlor auch seine Pfälzer Kurwürde, die an den bayerischen Herzog Maximilian I. fiel.
Ferdinand II. begann sofort eine gewaltsame Rekatholisierung Böhmens: 27 Führer des Aufstandes wurden auf dem Altstädter Ring enthauptet (Gedenktafel am Rathaus), der Adel und das Bürgertum, soweit sie sich zum Protestantismus bekannten, enteignet und vertrieben, desgleichen die nichtkatholische Geistlichkeit. Insgesamt verließen rund 30 000 protestantische Familien das Land – Böhmen verlor seine hohe Bedeutung im Reich und versank in die Provinzialität einer Randregion des Habsburger Herrschaftsbereichs.

Mit dem Prager Fenstersturz und den nachfolgenden kriegerischen Auseinandersetzungen, die immer mehr sich vom Glaubenskrieg zu einem europäischen Machtkampf um Territorien und Einflusszonen veränderten, begann der Erste Dreißigjährige Krieg, der „Erste“ deshalb, weil eine Reihe von Historikern die Zeit 1914 bis 1945 als den „Zweiten Dreißigjährigen Krieg“ deuten, der wie jener von 1618 bis 1648 um die politische Gestaltung Europas im Allgemeinen und Mitteleuropas im Besonderen geführt wurde. Beide „Dreißigjährigen Kriege“ hinterließen vor allem in Mitteleuropa schwerste Zerstörungen und verursachten gewaltige Menschenverluste.

Autor: Dr. Waldis Greiselis

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