Aus der Reihe „Handel und Handwerk im Wandel der Zeit“ Heute: Bäckerhandwerk in Weiher

Bäckerei s'Roter Bäckers. Foto: Archiv Heimatverein Ubstadt-Weiher e.V.

Nach nunmehr zehn Berichten im Rahmen der Reihe „Handel und Handwerk“ konnte unsere Ortsteilvertreterin von Weiher, Beate Harder, die Geschichte eines wichtigen Handwerks, namentlich des Bäckerhandwerks in Ubstadt-Weiher, Ortsteil Weiher, erforschen und so für die Nachwelt erhalten. Ihre gesammelten Informationen geben einen Einblick in die damalige Zeit und in den Alltag der Bäckereien. Der Heimatverein dankt seinem Vorstandsmitglied Beate Harder für ihre aufwändige Recherchearbeit und den Nachkommen der Bäckersfamilien für die Informationen, Fotos und die Interviews sehr herzlich.

„Unser tägliches Brot gib uns heute …“

Auch im wichtigsten Gebet der Christenheit wird das Brot als Inbegriff für Nahrung, Arbeit und Auskommen verwendet. Seit mindestens 9000 Jahren wird Getreide gemahlen und mit Wasser vermengt auf heißen Steinen oder in der Asche als Fladenbrot gebacken.

In den Regionen, die heute zu Deutschland gehören, ist der Beruf des Bäckers mindestens seit der Zeit Karls des Großen (768 – 814) bekannt. Damals arbeiteten überwiegend Leibeigene an Fronöfen oder Klosterknechte an Klosteröfen. Durch das Wachstum der Städte bildete sich im 10. Jahrhundert der Bäckerberuf als „freier“ Berufsstand heraus und war in Gilden oder Zünften organisiert. Eine der ältesten bekannten Urkunden über die Zunft der Bäcker ist aus dem Jahre 1111. Kaiser  Heinrich V. sicherte damit die Bäckerzunft in der Stadt Speyer vor jeder Gewalttat seiner Präfekten und Abgesandten, die sonst gewohnt waren, ihre Bedürfnisse von den Bäckern ohne Entgelt mit Gewalt zu nehmen.

Nach einer meist dreijährigen Ausbildung im Bäckerhandwerk wird vor der regional zuständigen Innung die Gesellenprüfung abgelegt. Es erfolgt die Eintragung in der Handwerksrolle. Früher gingen die Gesellen meistens drei Jahre auf „Wanderschaft“ d. h. sie wanderten von Stadt zu Stadt und boten ihre Dienste in Bäckereien an. Im Anschluss besteht für den Bäckergesellen die Möglichkeit, sich weiterzubilden und anschließend vor der Handwerkskammer die Meisterprüfung abzulegen. Dies ist Voraussetzung zur Führung eins eigenen Geschäfts.

Während der bäuerliche Haushalt als Selbstversorger mit Brot angesehen werden kann, war der Stadtbewohner darauf angewiesen, über die Bäcker mit dem Hauptnahrungs-mittel versorgt zu werden. Mit der industriellen Revolution, als immer mehr Menschen außerhalb der Landwirtschaft in Arbeit waren, stand die Grundzutat für das Brot, das Mehl, nicht mehr in jedem Haushalt zur Verfügung. Das führte dazu, dass der Stellenwert des Bäckers im städtischen Bereich an Bedeutung gewann.

Da schon seit mindestens Anfang des 19. Jahrhunderts das Backen im eigenen Haus aus feuer- und baupolizeilichen Gründen untersagt war, wurde in gemeinschaftlich genutzten Backhäusern im Ort gebacken. Meistens wurden diese von Landwirten im Nebenerwerb betrieben. Von ihnen wurde mehrmals die Woche der Backofen mit Holz angeheizt, damit die Hausfrauen ihr Brot backen konnten. Häufig wurden diese Backhäuser gegen Mitte des 19. Jahrhunderts von ausgebildeten Bäckern übernommen. Eine für den ländlichen Raum wichtige Funktion der Bäckerei bestand weiterhin in der Zurverfügungstellung des Backofens für das Backen der Brote, die im Privathaushalt hergestellt wurden.

In den Akten des fürstbischöflich-speyerischen Oberamtes Kislau finden wir Aufzeichnungen über die Handwerker aus dem Jahre 1700. Zu dieser Zeit befand sich im Gegensatz zum wohlhabenden Zeutern, das bereits über drei niedergelassene Bäcker verfügte, im dagegen armen Bruhraindorf Weiher noch kein Handwerker des Berufes Bäcker. Hier backten die Hausfrauen den selbst zubereiteten Teig im heimischen Steinofen und später im öffentlichen Backhaus. Diese Situation hielt bis mindestens Mitte des 19. Jahrhunderts an. Im Sippenbuch von Michael Prestel finden wir den ersten Bürger Weihers mit dem Beruf Bäcker, Johann Wendelin Gärtner mit dem Geburtsjahr 1838. Allerdings ist nicht bekannt, ob dieser auch bereits eine Bäckerei betrieben hat.

Bäckerei Karl Herzog und Nachfolger Rudolf Herzog, Hauptstraße 97 (s‘Roter Bäckers)

Was wir genau wissen ist, dass die Familie Karl Herzog (siehe Foto) seit 1907 eine Bäckerei betrieb und gleich drei Söhne das Bäckerhandwerk erlernten. Karl Herzog (1882 – 1943), der erste Bäcker der Familie, verheiratet mit Bertha geb. Schilb (1887 – 1953) aus Zeutern, erlernte vermutlich in der Bäckerei der Eltern der Ehefrau das Bäckerhandwerk. Nach der Verheiratung eröffnete er eine Bäckerei in Weiher in der Hauptstraße 97.

Seine drei Söhne Karl Martin, Rudolf und Anton gingen bei ihm in die Lehre und führten das Familienunternehmen weiter. Anton, der jüngste Sohn (1915 – 1944), ist im Zweiten Weltkrieg gefallen.

Nach dem Tode von Karl Herzog sen. im Jahr 1943 und der Rückkehr des Sohnes Rudolf (1913 – 1972) aus französischer Kriegsgefangenschaft im Jahr 1947 übernahm dieser am 1. Januar 1948 die Stammbäckerei in der Hauptstraße 97. Da Rudolf Herzog und seiner Ehefrau Elisabeth geb. Mahlschnee (1913 – 2005) keine männlichen Nachkommen beschert waren, wurde Tochter Hilde verh. Becker (geb. 1940) angelernt und die Bäckerei zusammen mit einem weiteren Gesellen betrieben. Da es in der damaligen Zeit weder üblich noch sittsam war, dass ein Mädchen einen Handwerksberuf ergriff, versagten die Eltern der jungen Hilde die Ausbildung bzw. Lehre zur Bäckerin.

Trotzdem arbeitete Hilde bis zur Auflösung des Geschäftes zusammen mit ihrem Vater Rudolf in der Bäckerei und der Backstube als vollwertige Bäckerin mit. Dazu gehörten das mitternächtliche Aufstehen, das Teigmachen, Formen der Teigstücke, Anheizen des Ofens und alle sonstigen im Bäckerbetrieb anfallenden Arbeiten. Auch alle anderen anstehenden Arbeiten in Verkauf, Backstube, Einkauf und Lager wurden von Hilde und den übrigen Familienangehörigen übernommen.

Angeboten wurden drei Brotsorten, zwei Sorten Brötchen, Brezeln, „Schneckennudel“ und sonstiges Kleingebäck, verschiedene Kuchen und Torten wie „Schwarzwälder Kirschtorte“ usw. Im Sommer wurde Speiseeis hergestellt und angeboten, auch von den mitgebrachten Zutaten der Kunden. Mit dem Verkauf von geschlagener Sahne hatte man eine besondere Leckerei im Angebot. Besonders zur Adventszeit ging es hoch her in der Backstube, wenn blechweise Springerlen, Anisplätzchen, Lebkuchen, Spritzgebackenes und Zimtsterne gebacken wurden.

Ein weiteres wichtiges Angebot war das Backen von Brot und Kuchen der Weiherer Hausfrauen. Mit dem Leiterwagen, in Netzen oder auf dem Fahrrad transportierte die Kundschaft die Gebäckstücke zur Backstube. Ein besonderes Erlebnis war das Abholen der fertig gebackenen Brote und Kuchen, ein verführerischer Duft zog durch die Straßen, so manche Leckerei wurde angeknabbert und auch einige Streusel waren schon mal verschwunden. Das Angebot wurde abgerundet durch den Verkauf von Gemischtwaren und Lebensmitteln. Vor der Schule war das Geschäft Anlaufstelle der Schüler für Mohrenkopfweck, Eistörtchenbrötchen und sonstige Süßigkeiten.

Nach dem Tod von Rudolf Herzog im Jahr 1972 wurde die Bäckerei noch kurz von der Familie weiterbetrieben und dann das Geschäft aufgelöst. Im Zuge der Modernisierung der Ortsmitte und der Verlagerung der Hauptstraße wurde das Gebäude Hauptstraße 97 abgerissen.

Fortsetzung folgt.

 

 

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