Aus der Reihe „Handel und Handwerk im Wandel der Zeit“ Heute: Gerberei Wilhelm Pfisterer in Zeutern – Schluss

Foto: Familie Pfisterer

Mit einer kleinen Nebenerwerbslandwirtschaft und Weinbau hielt sich die Familie Pfisterer in den 1930er Jahren über Wasser, bis sich Wilhelm Pfisterer in den späten 1930er Jahren dazu entschloss, einen eigenen Gerbereibetrieb zu eröffnen. Ein geeigneter Platz für die Neugründung wurde in der damaligen Bahnhofsstraße 107-110 (Bachgässchen) in Zeutern, hinter dem elterlichen Anwesen, gefunden. Es war ein idealer Ort für die Gerberei, direkt an der Katzbach und unmittelbar am Bahnhof. Neben dem Wohnhaus wurde entlang des Bachs eine große zweigeschossige Werkstatt errichtet.

Auch bei Wilhelm Pfisterer wurden vornehmlich Felle des Schwarzkopfschafes gegerbt. Das Material kam von mehreren Lederbetrieben, unter anderem der Lederfabrik Eisele in Balingen, in deren Auftrag gegerbt wurde. Angeliefert wurde bequem mit der nahen Bahn. Nach Fertigstellung wurde das Leder ebenso mit der Bahn wieder abtransportiert und zu den Lederfabriken zurückgesendet, wo es zu Handschuhen, Taschen und anderen Erzeugnissen verarbeitet wurde.

Nach Anlieferung des Rohproduktes wurden die Häute zunächst in einem gemauerten Bassin mit Wasser und Kalk mehrere Wochen eingeweicht und häufig gewendet. Anschließend wurden die Felle auf Rahmen gespannt und mit dem Schabeisen Haare, Fett und Unebenheiten entfernt. Das war eine sehr anstrengende und unangenehme Tätigkeit. Bis das Fell zu Leder verarbeitet werden konnte, waren viel Handarbeit, körperliche Anstrengung und eine lange Arbeitsprozedur erforderlich. Nun erfolgte das eigentliche Gerben. Bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nutzte man pflanzliche Gerbstoffe. Zur Gewinnung der Gerberlohe wurden zum Beispiel Eichenholz oder sonstige Pflanzenteile als Rindengerbstoffe eingesetzt. Die pflanzlichen Gerbmittel wurden in einer Lohmühle gemahlen und mit Wasser ausgelaugt. Nach der Gerbung mit den Gerbstoffen in den großen Trommeln folgte das mechanische Entwässern (Abwelken). Die Trocknung erfolgte durch Aufhängen und Aufspannen auf Rahmen.

Die beim Entfleischen anfallenden Abfälle wurden als Leimleder bezeichnet und zu Hautleim und Gelatine verarbeitet. Die Fellhaare wurden in einem großen metallenen Lochkorb im Bach gewaschen. Nach dem Waschen wurden die Haare dünnflächig auf einem mit Jute bespannten Gestell ausgebreitet, auseinandergezupft und getrocknet. Die gereinigten Haare verkaufte man an eine Matratzenfabrik.

Ein weiterer Geschäftszweig der Gerberei Wilhelm Pfisterer war das Gerben von Fellen, die direkt von Personen aus der näheren Umgebung gebracht wurden und zumeist zu Pelzen gegerbt wurden. Hasen, Rehe, Schafe, Ziegen, Hunde, Katzen, Marder, Iltisse, Füchse, Nutrias, alle landeten am Ende ihres kurzen Lebens in der Gerberlohe in Zeutern (siehe Foto). Aus den überwiegenden Teilen der gegerbten Pelze entstanden anschließend Bettvorleger, Stuhlkissen, Pelzkrägen, Muffe zum Händewärmen, aber auch Mäntel, Jacken und Capes. Besonders Katzenfelle waren bei den Menschen im Kraichgau wegen ihrer lindernden Funktion bei Rheuma und Gliederschmerzen beliebt. Mädchen und Frauen liebten Pelzjacken aus dem günstigen Rohstoff Stallhase. Da in beinahe jedem landwirtschaftlichen Haushalt auch Hasen zur Fleischgewinnung gehalten wurden, fielen natürlich auch deren Felle an.

Die Familie Pfisterer, die mittlerweile um zwei Kinder, Brunhilde (1926 – 2014) und David (1935 – 2017), gewachsen war, arbeitete nach dem Krieg und der Ausbildung der Kinder alle zusammen in der Gerberei.

Der Vater Wilhelm wurde anfangs der 1940er Jahre zum Kriegsdienst eingezogen und war während seiner Militärzeit hauptsächlich bei der Gefangenenbetreuung und in der Feldküche in Heilbronn eingesetzt. Auch Tochter Brunhilde wurde 1942 mit 17 Jahren zum BDM (Bund Deutscher Mädchen) in den Kriegshilfsdienst verpflichtet und war bei verschiedenen Bauern und Geschäftsleuten im Arbeitseinsatz. Den verheerenden Bombenangriff auf Heilbronn hat sie miterlebt und verletzte und sterbende Menschen auf dem Hauptverbandsplatz versorgt.

Nach Kriegsende beendete Tochter Brunhilde ihre Ausbildung zur Kürschnerin und verarbeitete zusammen mit ihrer Mutter Dominika und der Angestellten Friedel Müller geb. Hasenfuß die Pelze und Felle in ansprechende Kleidungsstücke. Sie hatte sich eine gebrauchte Pelznähmaschine gekauft, das war besonders für die größeren zu nähenden Teile eine Erleichterung. Trotzdem wurde noch vieles von Hand genäht. Nach Wunsch des Kunden und mit eigenen Ideen wurden Mäntel, Jacken, Capes, Krägen und Muffe hergestellt. Änderungen, Ausbesserungen und Beratung zur Pelzpflege gehörten ebenso zum Angebot.

Erfolgte ein Auftrag, wurden Schnittmuster erstellt und aus dem jeweiligen Material die passende Fellanordnung nach Zeichnung, Farbe und Struktur zusammengestellt. Mit dem Kürschnermesser wurde sorgfältig zugeschnitten, zu einer harmonischen Fläche zusammengefügt, unterfüttert, mit einem weichen Stoff unterlegt und mit der Pelznähmaschine genäht.

Mit dem Aufkommen von Kaufhausware von der „Stange“ war das Maßanfertigen von Bekleidungsstücken rückläufig, nicht mehr rentabel und wurde in den 1960er Jahren eingestellt. Brunhilde war anschließend noch viele Jahre beim Kaufhaus Schneider in Bruchsal im Verkauf beschäftigt und anschließend bis zur Rente im Krankenhaus Bruchsal als Stationshilfe tätig.

David Pfisterer (1935 – 2017) erlernte ebenso wie sein Vater Wilhelm das Gerberhandwerk und war im Familienbetrieb eine wichtige Stütze. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1963 und dem Rückgang des Geschäftes gab die Familie Pfisterer das Unternehmen komplett auf. David Pfisterer arbeitete danach im damals neu gegründeten Industrieunternehmen ICI (Europa) in Östringen.

Wilhelm Pfisterer und seine Familie waren angesehene Mitglieder der Gemeinde Zeutern. Den einst schlechten Ruf des Gerbers aufgrund der Gerüche gab es mit dem Einsatz von pflanzlichen und chemischen Gerbstoffen nicht mehr.

Wilhelms Wanderjahre, vor allem in Süddeutschland und im nahen Allgäu, prägten seine Persönlichkeit und auch seine Vorlieben. So hatte er sein ganzes Leben eine Vorliebe für Trachten und alles Bayrische. Man kannte ihn in Zeutern mit seiner Trachtenweste mit den „Grandel“-Knöpfen, den Zähnen von Hirschen. Er hatte so ein gewisses „Weitgereiste“, „Weltmännische“ an sich. Gerne erzählte er von seinen Abenteuern während der Wanderschaft. Laut Zeitzeugen war er ein wunderbarer Unterhalter und ein sehr geselliger Mensch.

Ganz herzlich bedanken wir uns bei Dominika Grefen, Enkelin des Gründers Wilhelm Pfisterer und Erbin des schönen außergewöhnlichen Vornamens der Großmutter. Sie konnte uns noch viel vom Familienbetrieb erzählen, vor allem von der Kürschnerei ihrer Mutter Brunhilde. Wir konnten auch die auserlesenen Familienerbstücke, einen Muff und eine Pelzstola, bei ihr bewundern und uns heute noch von der Qualität der verarbeiteten Produkte überzeugen.“

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