Aus der Reihe „Handel und Handwerk im Wandel der Zeit“ Heute: Gerberei Wilhelm Pfisterer in Zeutern – Teil 1

Foto: Familie Pfisterer

Ein besonderes und für unsere Gemeinde äußerst seltenes Handwerk, das des Gerbers in Zeutern, konnte unsere Ortsteilvertreterin von Weiher, Beate Harder, zusammen mit der Nachfahrin Dominika Grefen und dem Ortsteilvertreter von Zeutern, Theodor Stengel, erforschen und so für die Nachwelt erhalten. Ihre gesammelten Informationen geben einen Einblick in die damalige Zeit und in den Alltag eines Gerbereibetriebes.  Der Heimatverein Ubstadt-Weiher e.V. dankt seinem Vorstandsmitglied Beate Harder für ihre Recherchearbeit, Frau Grefen, der Nachfahrin der Familie, für die Informationen und Theodor Stengel für die Unterstützung.

Hier ihr Bericht:

„Die Geschichte des Gerbereibetriebes Wilhelm Pfisterer ist eng mit den Badischen Lederwerken in der ehemaligen Waldmühle verbunden (siehe Foto). Hier, ca. zwei Kilometer außerhalb von Zeutern, in Richtung Odenheim, stand bereits in historischer Zeit eine Mahlmühle. Auf diesem Gelände errichtete 1854 die Zuckerfabrik Waghäusel ein Trockenhaus. Die Badischen Lederwerke übernahmen die Fabrikanlagen in der Mitte der 1890er Jahre.  Die Inhaber, ein Unternehmen mit Sitz in Frankfurt, zogen hier den noch heute stehenden, massiven dreistöckigen Fabrikbau hoch und nahmen die Tätigkeit der Großgerberei auf. Aufgrund der Größe und Bedeutung des neuen Industriezweiges erhielt der Gerbereibetrieb 1898 beim Bau der Nebenbahn sogar einen eigenen Gleisanschluss.

Durch den guten Geschäftsgang der Lederfabrik wurde auf der gegenüberliegenden Straßenseite bereits im Jahre 1898 die Wirtschaft „Zur Waldmühle“ erbaut (siehe Foto). Man erhoffte sich durch das zunehmende Einkommen der Arbeiter gute Geschäfte.

Der Betrieb florierte schon gleich in den Anfangsjahren, bis zu 110 Beschäftigte fanden in der neuen Gerberei eine Anstellung. Nicht nur Arbeiter aus der Umgebung, auch mancher heimische Bauer fand in dem Unternehmen genügend Verdienst. Zur Einführung und Beaufsichtigung dieses hier völlig neuen Gewerbes holte die Firmenleitung Fachkräfte aus Böhmen, Mähren, Schwaben und Hessen. Mit diesen neuen Bürgern kam auch ein junger Mann, David Pfisterer (1875 – 1947), Weißgerber, aus Ötlingen bei Kirchheim unter Teck, nach Zeutern.

 

Im Jahre 1900 heiratete David Pfisterer Wilhelmine geb. Geiß (1879 – 1941), Bürgertochter aus Zeutern. Der Familie waren vier Kinder beschert, Wilhelm (1901 – 1962), Luise (1902 – 1977), Emil (1904 – 1904) und Eugen (1909 – 1967). Der älteste Sohn, Wilhelm Pfisterer, ging nach dem Abschluss der Volksschule vermutlich bei der Firma Badische Lederwerke in eine Gerberlehre.

Um zu verstehen, was eine Gerberlehre beinhaltete zunächst ein Blick in die Anfänge der Lederbearbeitung. Bereits in der Altsteinzeit wurde von Neandertalern und Homo sapiens Leder bearbeitet. Mit der Beherrschung des Feuers wurde die gerbende Wirkung des Rauches bekannt. Die Rauchgerbung zählt mit der Gerbung durch tierische Fette zu den ältesten Gerbmethoden. In der Jungsteinzeit entwickelten sich die Lederherstellung und die Produktion lederner Kleidungsstücke weiter. Auch in Ägypten ist die Verarbeitung von Fellen und Häuten schon seit 5000 Jahren bekannt. Die Wirkung gerbstoffhaltiger Pflanzen und von Alaun waren bekannt. Zur Zeit der Griechen, aber natürlich auch bei den Römern, trat das Gerberhandwerk als selbständiger Beruf auf. Vermutlich wegen der unhygienischen Arbeitsbedingungen, der Umweltbelastung und nicht zuletzt wegen des starken Aasgeruchs, der auch den Gerbern anhaftete, waren diese nicht sehr geachtet; die Arbeit wurde hauptsächlich von Sklaven verrichtet. Auch verwendeten die römischen Handwerker menschlichen Urin, der im Moment seiner bakteriellen Zersetzung alkalischen Ammoniak freisetzt.

 

Im Mittelalter war Leder ein bevorzugtes Material. In Europa entstanden Lederwerkstätten in der Nähe von Klöstern und in Städten. Die Gerbereien erreichten oft eindrucksvolle Größen. Allerdings mussten sich ihre Betreiber in den Städten in eigene Viertel zurückziehen: Die Herstellung von Leder war ein schmutziges und buchstäblich anrüchiges Gewerbe, daher war die Gerberei eine gesellschaftlich nicht sehr anerkannte und gefährliche Arbeit. Das Zunftwesen regelte den Markt und auch das Handwerk.

 

Ab etwa 1700 beschäftigte man sich wissenschaftlich mit der Gerberei. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Dampfmaschinen eingesetzt. Neben dem Antrieb der Maschinen wurde der Dampf auch zur Herstellung konzentrierter Gerbextrakte verwendet. Diese ermöglichten eine Verkürzung der Gerbzeiten von mehreren Monaten auf einige Wochen. Dadurch entstand eine rationell arbeitende, stark wachsende Gerbindustrie. Mitte des 19. Jahrhunderts war das Lederhandwerk der drittgrößte Gewerbezweig in dem Gebiet, das sich 1871 als Deutsches Reich konstituieren sollte.

 

Dies alles und die praktischen Handgriffe lernte auch der junge Wilhelm Pfisterer während seiner Ausbildung.  Wie üblich im Handwerk, wurde er ausgebildet, um anschließend noch weitere drei Jahre als Handwerksbursche auf die „Walz“ zu gehen, d. h. seine Arbeitskraft anderen Betrieben anzubieten. In dieser Zeit knüpfte er enge Kontakte mit der Firma Leder Eberhard in Hindelang im Allgäu, wo er vermutlich auch seine Meisterprüfung ablegte (siehe Foto).

 

Seine zukünftige Frau, Dominika geb. Hartmann (1903 – 1987), lernte er im Haushalt dieses Unternehmens kennen (siehe Foto). Dominika war hier als Haushaltshilfe beschäftigt. Nach der Verheiratung (1925) wohnte das junge Paar zuerst in dem Gebäude der Badischen Lederwerke in der Waldmühle in Zeutern, wo Wilhelm Pfisterer nun als angesehener Facharbeiter beschäftigt war. Später zogen sie in das Obergeschoß der gegenüberliegenden Gaststätte „Zur Waldmühle“ (siehe Foto).

 

Verarbeitet wurden in der Großgerberei ausschließlich Häute der Fettschwanz- und Schwarzkopfschafe. Allgemeine Schwankungen in den Krisenjahren gegen Ende der 1920er Jahre, stetiger Auftragsrückgang und Verluste führten zur Stilllegung des Betriebes im Jahr 1930.

Schluss folgt.

 

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