
Karl Simon, geboren am 15. September 1930 in Karlsruhe, verbrachte nach dem frühen Tod seiner Mutter im Jahr 1935 und des Vaters 1942 einen Großteil seiner Kindheit bei seiner Großmutter Maria Simon geb. Brenner in der Hirschstraße 45 in Weiher. Mit zwölf Reichsmark Witwenrente fristeten die beiden ein karges Leben. Durch den Garten und eine kleine Landwirtschaft waren Karl und seine Großmutter aber so versorgt, dass kein Hunger gelitten werden musste. Auch steuerten freundliche Nachbarn ab und zu etwas zur Versorgung bei.
Nach dem Tod des Vaters unterrichtete ihn der damalige Ortspfarrer Karl Vogel in Latein, sodass Karl im Jahr 1942 noch in die Klasse „Quinta“ des damaligen altsprachlichen Schlossgymnasiums Bruchsal eingeschult werden konnte und somit unter gleichaltrigen Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums war. Mit dem Zug, der häufig Verspätung wegen Fliegerangriffen auf Mannheim hatte, fuhr er täglich zur Schule. Ende des Jahres 1944 durften die auswärtigen Schüler der Schule fernbleiben, weil es mit zunehmenden Fliegerangriffen zu gefährlich für sie wurde.
Nun nahm sich die NSDAP-Kreisleitung der Schüler an und verpflichtete sie im Rüstungsbetrieb oder zum Schanzen im Kraichgauer Hügelland. Mit 14 Jahren war Karl somit in seinem ersten Arbeitsverhältnis bei der Firma Klaiber, Kehr & Co, ehemals Zigarrenfabrik, jetzt Rüstungsbetrieb, in der Brunnenstraße in Weiher. Hier wurden im Geheimen im Keller Teile für U-Boot-Armaturen gestanzt, während im Erdgeschoß weiter Zigarren hergestellt wurden.
Auch Karl kann sich lebhaft an den Absturz des britischen Fernbombers am 23. Oktober 1941 im Gewann “Weidlach“ erinnern. Bei einem Nachtangriff auf Mannheim hatte dieser einen Flaktreffer erhalten und die Navigation fiel aus. So kam das brennende Flugzeug steuerungslos in Richtung Weiher und über der Ortschaft versuchte die Besatzung, die Maschine mit aufheulenden Motoren in die Höhe zu ziehen. Zum Absprung war das Flugzeug jedoch zu tief, deshalb konnten die Insassen erst Richtung Forst mit den Fallschirmen abspringen. Dabei verstarb der Pilot, nur ein Besatzungsmitglied konnte sich retten. Er lief in der Nacht nach Weiher, man sperrte ihn im Rathaus ein, bis er anderntags durch die Wehrmacht in die Gefangenschaft abgeholt wurde. Eine Angestellte des Rathauses gab dem abgestürzten Besatzungsmitglied ein Glas Wasser und wurde dafür vom Bürgermeister gerügt.
Über den Einmarsch der Amerikaner am Ostersonntag, dem 1. April 1945, erzählt Karl Simon folgendes: “Einige Jungs aus der Nachbarschaft in der Hirschstraße und ich standen an der Ecke Hirschstraße / Heerstraße, beim heutigen Baumarkt Westermann, und beobachteten die sich aus dem Wald herausschälenden Panzer. Wir hörten Kettengerassel und Motorengeräusche. Die Amerikaner schossen über die Häuser von Weiher in östliche Richtung. Wir liefen schnell zurück nach Hause. Vom Hof aus beobachtete ich die einrückenden amerikanischen Soldaten auf ihren Panzern, die durch die Hirschstraße in Richtung Ortsmitte fuhren. Manche Frauen gingen auf die Straße und winkten mit weißen Tüchern und riefen „Jetzt sind wir frei!“, als plötzlich Granaten der deutschen Artillerie im Kraichgau fielen. Bei diesem Beschuss starben zwei Weiherer Bürger, die einzigen die den Einmarsch der Amerikaner nicht überlebten.
Die amerikanischen Panzerbesatzungen verbrachten diese Nacht im Dorf und bezogen Quartier. Die Bevölkerung ging in dieser Zeit soweit möglich in die Luftschutzkeller. Ein Soldat kam in die Küche meiner Großmutter, diese hatte gerade Mehlsuppe gekocht und ihn dazu eingeladen. Mit Händen und Füßen versuchte sie ihm zu erklären, dass ihr Bruder nach Amerika ausgewandert war. Daraufhin riet er uns, in einen Bunker zu gehen, weil man nicht wissen konnte, was die Nacht noch bringen würde. Er gab uns eine Wolldecke und wir gingen durch unseren Garten in den Luftschutzkeller bei der Zigarrenfabrik Neuhaus. Der US-Soldat hatte einen Rosenkranz umhängen, was ich bis dahin noch bei keinem Soldaten gesehen hatte. Am nächsten Morgen fanden wir unser Haus unversehrt vor und die Amerikaner waren weitergezogen.“
Am darauffolgenden Ostermontag rückten französische Truppen in Weiher ein, darunter ein Truppenteil Marokkaner, die neben anderen Dingen auch Rinder und Kühe holten und auf ihre Art schlachteten (muslimisches Schächten der Schlachttiere). Für die Bevölkerung von Weiher begann von nun an die Zeit der Demütigung, Plünderei, Beschlagnahme und vieler anderen Beeinträchtigungen durch die französischen Besatzungstruppen.
Ihre Geschütze stellten die französischen Besatzer in den Gärten zwischen der Hirsch- und Brunnenstraße in Richtung Kraichgau auf. Dabei fiel auch der geliebte Birnenbaum der Großmutter dem Krieg zum Opfer, da man sich ein freies Schussfeld schaffte. Weiher stand bis in den Sommer 1945 unter französischer Besatzung. Ohne Strom lebte man mit den Stalllaternen auf dem Tisch.
Nach einiger Zeit informierte die französische Besatzung über die Gemeindeverwaltung, dass ein sogenannter „Plünderungstag“ angesetzt sei und die Bevölkerung sich nicht dagegen wehren darf, weil dann eventuell von Schusswaffen Gebrauch gemacht werden würde. Es ging hierbei vor allem um Wertsachen.
Nachdem die französische Zonengrenze weiter nach Süden verlegt worden war, kam Weiher unter amerikanische Militärregierung. Diese zeigte im Gasthaus „Rose“ Filme über die Befreiung der Konzentrationslager, was die Bevölkerung sehr betroffen machte.
Die Offiziere bezogen in ausgewählten Häusern Quartier, die Mannschaft war in der „Krone“, dem „Löwen“ und im „Badischen Hof“ in den Sälen untergebracht. Im Gasthaus „Zum Hirsch“ wurde die Verpflegung hergerichtet. Was den Soldaten an Speisen nicht genehm war und weggeworfen wurde, nahm die zum Teil hungrige Bevölkerung gerne mit.
Karl und ein Schulkamerad wurden, da sie besonders bedürftig waren, bei der amerikanischen Armee als Tellerwäscher eingestellt und konnten somit ein kleines Zubrot verdienen, das von der Gemeinde bezahlt wurde. Die stets hungrigen 15jährigen Buben konnten sich hier auch wieder richtig satt essen.
Der kleine Schlingel Karl vertauschte dabei eines Tages einmal die Zucker- mit der Salzdose und versalzte damit den Soldaten den Kaffee. Zum guten Glück waren diese nicht nachtragend und außer einem Gelächter hatte die“Verwechslung“ keine Folgen.
Die französische Militärregierung setzte gleich zu Beginn der Besatzung Hermann Lang als neuen Bürgermeister ein. Als im Spätjahr die amerikanischen Besatzer abzogen und die Souveränität der BRD fast wieder hergestellt war, kehrte so langsam Ruhe in Weiher ein. Große Sorgen bereitete der Landbevölkerung noch die laufende Geldentwertung, die erst mit der Währungsreform im Jahr 1948 ein Ende fand.
Autorin: Beate Harder mit den Erinnerungen und Aufzeichnungen von Karl Simon